Einsatzort Herbolzheimer Tafel (von links): die Heimschüler Steven, Peter und Leon zusammen mit Leiterin Lilli Ruddies Foto: privat

Heimschüler machen bei ihrem zweiwöchigen Sozialpraktikum viele tief gehende Erfahrungen

Dieser Donnerstag sieht, wie schon die Tage zuvor, für Steven, Peter und Leon, drei Gymnasiasten an der Heimschule St. Landolin, ganz anders aus als übliche Schultage. Sie sammeln überschüssige Lebensmittel bei Supermärkten, Bäckern, Metzgern und Bauern, bereiten sie ansprechend auf, verpacken sie, um sie dann zu äußerst erschwinglichen Preisen an bedürftige, finanzschwache Menschen weiterzugeben. Die drei absolvieren wie rund 100 andere Zehntklässler ein zweiwöchiges Sozialpraktikum, das sich "Compassion" nennt (siehe Info). Sie tauschen den "Lernort Schule" mit dem "Lernort Leben", wie es der verantwortliche Lehrer Matthias Küchle auf einen kurzen Nenner bringt. Der selbst gewählte Einsatzort der drei Freunde: die Herbolzheimer Tafel.

Stille Umarmung eines autistischen Kindes

Steven, Leon und Peter sehen "absoluten Sinn in dieser Arbeit". Sie sind beeindruckt, wie viele Menschen auf die segensreiche Arbeit des eingetragenen Vereins angewiesen sind. Auf rund 1000 Menschen vom südlichen Kaiserstuhl bis Ettenheim beziffert Ladenleiterin Lilli Ruddies die Zahl der Kartenbesitzer, die sich bei Sozialamt und Tafel diese Hilfe zum Lebensunterhalt haben einräumen lassen. Die drei Heimschüler sind "beeindruckt" sowohl von den sozialen Nöten, aber auch vom "super-netten Team der Helfer" um die Ladenleiterin, allesamt Ehrenamtliche.

Szenenwechsel: Montagmorgen, erster Schultag nach dem Praktikum, am gewohnten "Lernort", der Heimschule. Die Schüler sitzen im Kreis, reflektieren, was sie in den zurückliegenden zwei Praktikumswochen erlebt haben. Claudio war in St. Landolin in Ettenheimmünster, der Pflegeeinrichtung für psychisch Kranke, teilweise mit Suchthintergrund. "Ich fand krass, was Drogen mit Menschen anrichten können", so Claudio, für den es nach eigenen Worten gleichermaßen hilfreich war, "derlei Schattenseiten zu sehen, aber auch zu erleben, wie sich Menschen Gedanken machen, wie man den Betroffenen helfen kann".

Auch Zoes Rückblick auf ihr Praktikum in der Georg-Wimmer-Schule ist mit Licht- und Schatteneffekten verbunden. Bedrückend die Ohnmacht, als ein geistig behinderter Junge einen Mal-Auftrag nur noch schreiend kommentierte, Lehrkraft und sie es hilflos aushalten mussten. Und andererseits dann die stille Umarmung eines autistischen Schülers, als sie sich vom Praktikum verabschiedete.

Daniel, der 14 Tage in einem Seniorenheim war, berichtet seinen Mitschülern vom Tod einer Mitbewohnerin starb und dem Abschied, der "richtig würdig gestaltet" wurde.

Ann-Katrin hat derweil an der Vianova-Schule in Freiburg einen tiefen Einblick in das Leben von Menschen mit Migrationshintergrund bekommen. "Richtig erschüttert" war sie, als ein Jugendlicher, der alles daran setzte, die Schule zu schaffen, sich für eine Arbeit zu qualifizieren, plötzlich eine Abschiebungsankündigung erhielt. "Ohnmacht pur."

Die allermeisten im Stuhlkreis machen mit ihren Worten deutlich, dass für sie diese 14 Tage teilweise neue, wichtige Blickwinkel in ihrer bis dahin heilen Welt eröffnet hätten. Es wird deutlich: Das Praktikum scheint bei den meisten sein Ziel erreicht zu haben. Klaus Schade

INFO

Das stecke hinter "Compassion"

"Compassion – Mitfühlen, das zum Handeln treibt" ist eine Initiative der Deutschen Bischofskonferenz. 1995 entscheidet sich die Gesamtlehrerkonferenz an der Heimschule für dieses zweiwöchige Praktikum, das fortan zum jährlichen Standard in den Klassen 10 und 11 an Normal-, Wirtschafts- und Sozialgymnasium wird. Die christlich geprägte Heimschule will Heranwachsenden dabei den Blick auf die Situation von alten und kranken Menschen, von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit einer Behinderung, von Migranten und Ausländern, von Menschen am Rande der Gesellschaft öffnen – auch um sich dabei selbst besser kennen zu lernen. Die Teilnehmer suchen sich in der Regel ihren Praktikumsplatz selbst aus.