Gegen die Veränderungen in der Ortenauer Kliniklandschaft hat sich bereits vergangenes Jahr Protest gerührt. Hier demonstrierten Offenburger Gymnasiasten vor dem Landratsamt. Am Samstag ist eine Kundgebung in Ettenheim geplant. Foto: Archiv: Braun

Bündnis-Sprecher plädiert für mehr Solidarität. Demo am Samstag in Ettenheim

Ettenheim - Das "Bündnis für den Erhalt und Ausbau aller Ortenauer Krankenhäuser" ruft auf den morgigen Samstag ab 10.30 Uhr zur Demo auf dem Marienplatz in Ettenheim auf. Yannik Hinzmann, Sprecher der Allianz aus Gewerkschaften und Linke, erklärt im Interview, was er sich von der Kundgebung erhofft, was er von der Politik fordert und wie die Menschen zur Rettung ihrer Kliniken beitragen können.

Herr Hinzmann, Ettenheim hat mehr als 20 000 Unterschriften für den Erhalt seines Krankenhauses gesammelt. Wie viele Menschen erwarten Sie am Samstag?

Es ist für die meisten immer einfacher, ihre Unterschrift irgendwo drunter zu setzten, doch wir haben schon bei Gengenbach gesehen, dass das die Politiker nicht wirklich beeindruckt. Deshalb rufen wir die Menschen auf, endlich auf die Straße zu gehen und dort Druck zu machen. Zu zeigen, dass wir das Thema nicht einfach so von oben herab bestimmen lassen. Wie viele es am Ende sind, wird sich zeigen, wir haben keine konkrete Zahl im Kopf. Unser Hauptziel ist es, möglichst große Unterstützung für die gemeinsame Demonstration am 9. Juni am Offenburger Busbahnhof zu bekommen.

Die Tendenz im Krankenhausausschuss ging zuletzt klar in Richtung vier Standorte. Wie realistisch ist das Szenario, dass am Ende alle Standorte überleben?

Wenn die Politik es will, sehr realistisch. Etwaige angebliche Defizite könnten mit dem Kreisüberschüssen oder einer Erhöhung der Kreisumlage gegenfinanziert werden. Wir sind uns aber auch bewusst, dass wir gemeinsam als Kreis Druck auf das Land Baden-Württemberg ausüben müssen, damit endlich wieder Investitions- und Unterhaltungskosten bezahlt werden. Am Ende müssen wir entscheiden, was uns wichtiger ist – unsere Gesundheit oder die Wirtschaftlichkeit.

Wie machen Sie den Menschen in der südlichen Ortenau Mut, dass Ettenheim auch über 2030 hinaus ein Akutkrankenhaus bleibt?

Das haben die Menschen selbst in der Hand. Es hängt davon ab, wie viel Kraft und Lust sie haben, für ihr Haus zu kämpfen. Wenn wir nach dem Gutachten von Pro-Klinik gehen, dann haben alle neun Standorte eine Zukunft. Wenn man aber Krankenhäuser schließen will, dann geht man natürlich eher nach dem Gutachten von Lohfert und Lohfert. Wir wissen aber ja noch nicht einmal, woher die Gutachten-Firma ihre Zahlen nimmt und ob ihre Prognosen überhaupt eintreffen werden.

Da ist wahrscheinlich nicht alles, was Sie zu kritisieren haben ...

Nein. Das Gutachten schlägt Schließungen vor, bietet aber keine Alternativen für die dadurch entstehenden Versorgungslücken. Wir brauchen einen Ausbau der wohnortnahen Gesundheitsversorgung, keinen Abbau. Zudem stand spätestens, als man Christian Keller als Geschäftsführer ans Ortenau-Klinikum holte, fest, dass die Gutachten pro Klinikschließung ausfallen werden. Ich erinnere an die Verflechtungen von Keller und der CMK, die bereits vergangenes Jahr für Klinikschließungen plädierte. Ich würde aber gerne noch etwas Weiterführendes sagen.

Bitte.

Unsere Kritik richtet sich weniger an den beiden Gutachten aus, da die Kreisräte ja selber schon kapiert haben, dass diese nicht wirklich wasserdicht sind. Uns geht es um die Wirtschaftlichkeit, die in den Vordergrund gerückt wird. Für Militär, Banken und ausländische Diktatoren ist genügend Geld da, aber für unsere Gesundheit nicht? Das will ich nicht verstehen.

Immer wieder taucht in der Klinik-Debatte das Modell "Vier plus X" auf. Fürchten Sie, dass es am Ende ein Hauen und Stechen unter den Wackelkandidaten Ettenheim, Kehl und Oberkirch geben könnte?

Das gibt es ja leider jetzt schon, weil die Politiker unbedingt ihre Wiederwahl bei den Kommunalwahlen im kommenden Jahr absichern wollen und somit "ihren" Standort in den Vordergrund stellen. Wir müssen zur Einsicht kommen, dass wir nur gemeinsam diese Klinikschließungen verhindern können. Wenn wir für den Erhalt aller Standorte eintreten. Sonst nimmt man uns die Krankenhäuser in Salami-Taktik eines nach dem anderen weg. Fragen Sie mal im Schwarzwald-Baar-Kreis oder in Herbolzheim nach.

Lahrs Oberbürgermeister Müller hat sich zuletzt für den Erhalt Ettenheims ausgesprochen, um bei der Anzahl der Betten gegenüber Offenburg nicht ins Hintertreffen zu geraten. Vorteil Ettenheim?

Das würde ich gerne glauben. Müllers Vorschlag aber gibt Ettenheim – wenn überhaupt – nur mehr Zeit zum geplanten Sterben. Das Landessozialministerium will seit 2003 nur noch drei Standorte in der Ortenau. Wenn wir nicht langsam anfangen, uns gemeinsam gegen diese Wirtschaftslogik zu wehren, wird Ettenheim auch mit Müllers Plan früher oder später dicht gemacht. Außerdem sehen wir in Achern und Oberkirch, wie schnell sich Bürgermeister gegeneinander ausspielen lassen, sobald es um "ihren" Standort geht.

Sie sprechen es an: In jüngster Zeit fiel häufiger der Begriff der "Endsolidarisierung". Manche Gemeinden vermeiden ein klares Bekenntnis, weil sie keine gravierenden Einschnitte für ihre Bürger befürchten. Wie nehmen Sie die Stimmung wahr?

Wie schon gesagt, die Politiker fokussieren sich auf ihre Wiederwahl im nächsten Jahr und dabei ist ihnen Solidarität ein Fremdwort. Bei der Bevölkerung sind wir aber auf regen Zuspruch für den Erhalt aller Standorte gestoßen. Den meisten scheint klar zu sein, dass, wenn man sagt: "Schließt doch lieber einen anderen Standort", früher oder später auch ihr Krankenhaus dran glauben muss. Als Patienten sollten wir übrigens auch noch an andere denken.

Nämlich?

An das Personal in den Kliniken. Wir müssen den Pflege- und Reinigungskräften zur Seite stehen im Kampf um bessere Arbeitsbedingungen, mehr Personal und höhere Löhne. Derzeit trauen sich viele leider noch nicht, sich gegen die Missstände zu organisieren. Letzten Endes geht es aber um unsere Gesundheit, an der da gespart wird.

Haben Sie in der Ortenau konkrete Missstände im Kopf?

Ja. Uns wird immer etwas von Fachkräftemangel erzählt, gleichzeitig verheizt man im Ortenau-Klinikum jedoch die Auszubildenden. In Achern sind wohl 14 und in Offenburg sieben oder acht Azubis durch die Prüfung gefallen. Nur mit guten Arbeitsbedingungen kann man Personal an die Kliniken locken und eine menschliche, wohnortnahe Gesundheitsversorgung erreichen. Darum sollte sich der Kreis mal kümmern, anstatt Krankenhäuser zu schließen und sich auf Fließbandkliniken zu fokussieren.

> Die Fragen stellte Felix Bender.

Info: Die Motivation

Yannik Hinzmann, 24 Jahre, ist seit 2012 in der Linksjugend aktiv. Er "brennt" nach eigener Aussage für das Thema Gesundheitsversorgung, "weil sie auch mich betrifft". Hinzmann: "Ich stand schon mehrmals in überfüllten Notaufnahmen und habe viele Freunde, die von schlechten Arbeitsbedingungen berichten." Er sagt, er kämpfe lieber jetzt für eine wohnortnahe Gesundheitsversorgung, "bevor es zu spät ist und ich irgendwann in einer Fließbandklinik lande, in der ich mich mit irgendwelchen Keimen anstecke, weil das Pflege- und Putzpersonal abgewirtschaftet wurde".