Prozess: 23-Jähriger muss sich vor dem Schöffengericht verantworten / Zwei Versionen zum Tathergang

Von Michael Masson

Es ist ein schwerer Vorwurf: Wegen sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen in Tateinheit mit Beischlaf unter Verwandten hat gestern ein 23-jähriger Mann vor dem Schöffengericht gestanden. Das mutmaßliche Opfer: die eigene Mutter.

Emmendingen/Ettenheim. Weil die Staatsanwaltschaft offenbar vorab ein Strafmaß von mehr als zwei Jahren ins Auge gefasst hatte, fand die Verhandlung nicht in Ettenheim, sondern mit Richter Günter Schmalen und zwei ehrenamtlichen Schöffinnen, wie für solche Strafverfahren vorgesehen, im Amtsbezirk Emmendingen statt.

Vorab: Ein Urteil wurde noch nicht gefällt, der Prozess wird Montag, 23. Mai, fortgesetzt. Bislang hat der Angeklagte eingeräumt, am 9. Februar mit seiner Mutter zweimal den Beischlaf ausgeübt zu haben. Wie es dazu kam, ist allerdings noch unklar.

Zur Vorgeschichte: Der zuvor in Rastatt lebende Mann schlug sich nach dem Werkrealschulabschluss mit Gelegenheitsjobs durch. Ende vergangenen Jahres war er arbeitslos. Seine Halbschwester bot ihm Ende vergangenen Jahres an, in Ettenheim unterzukommen – in der Wohnung der gemeinsamen Mutter. Dieser sei das anfangs nicht so recht gewesen. Doch habe sie sich dann doch gefreut, ihren Sohn nach vielen Jahren wiederzusehen. Zu dieser Zeit, so der Angeklagte gestenreich untermalend, habe er eine frühere Drogenabhängigkeit (Alkohol, Amphetamine und Ecstasy) überwinden, "neu Fuß fassen" wollen.

Just nach der Hexenverbrennung an Fastnacht suchten Mutter und Sohn eine Ettenheimer Gaststätte auf. Seinen eigenen Alkoholkonsum bezifferte der Angeklagte dabei auf vier Bier und drei Liköre, den der Mutter auf zwei Gläser Rotwein. Sie habe mit ihm und anderen Gästen getanzt, nach Eindruck eines Zeugen war sie "leicht angeschwipst", jedenfalls "gut drauf".

Was nach der Rückkehr in die Wohnung geschah, beschreibt der Angeklagte wie folgt: Er habe der Mutter, die ihm auf dem Heimweg trotz einiger Stolperer nicht den Eindruck gemacht habe, betrunken zu sein, sondern dies nur vorzutäuschen ("Sie wollte mal Schauspielerin werden"), die Stiefel ausgezogen, nachdem sie ihn darum gebeten habe. Gemeinsam auf dem Sofa sitzend, habe er ihr ("Sie hat immer wieder so gestöhnt"), weil ihn das trotz großer Müdigkeit erregt und sie ihn auch im Intimbereich berührt habe, die Hose heruntergezogen und den ersten Beischlaf vollzogen.

Gutachter soll Grund für Blackout klären

Später, im Schlafzimmer, sei es zu weiterem Geschlechtsverkehr gekommen. Da habe er seiner Mutter auch die Oberkörperbekleidung ausgezogen. Der Angeklagte machte geltend, dass er eigentlich recht müde gewesen sei, sich nur durch das Gestöhne durch "innere Triebe" zum Beischlaf habe verleiten lassen: "Ich bin ein gutmütiger Mensch."

Die 50-jährige Mutter sieht das völlig anders. Am Morgen des nächsten Tages hätte sie, berichtete sie als Zeugin und Nebenklägerin, nur wenige Erinnerungen gehabt, etwa an das Schuhe-Ausziehen, dann sei sie "weg gewesen". Ein Erinnerungsfetzen setzt bei den weiteren Geschehnissen im Schlafzimmer ein.

Die Prozessbeteiligten horchten auf, als die um Fassung ringende Mutter bestätigte, dass sie nach zwei Gläsern Wein nicht habe volltrunken gewesen sein können. Jedoch sei ihr beim Verlassen der Gaststätte an der frischen Luft "komisch geworden". Ab dann habe das Erinnerungsvermögen weitgehend ausgesetzt.

Am nächsten Morgen stellte die Mutter ihren Sohn zur Rede. Das Gespräch führte zur Aufforderung an den Sohn, die Koffer zu packen. Nach Telefonaten mit Verwandten erstattete die Mutter Anzeige, seither sitzt der Sohn in Untersuchungshaft.

Dass nach bisherigen Aussagen der Alkoholkonsum der Mutter keinen "Blackout" erklärt, brachten Richter und Staatsanwältin schließlich einvernehmlich dazu, einen Rechtsmediziner als Gutachter einzuschalten. Der soll Auskunft geben, ob andere Ursachen für die langen Erinnerungslücken denkbar sind, zumal die Mutter sagte, dass sie am Tattag Schlaftabletten genommen habe. Das war bei den polizeilichen Ermittlungen wohl untergegangen.