Hatten die Kinder im Schuttertal in den 20er-Jahren genug Heidelbeeren gesammelt, ging es damit nach Lahr. Symbolfoto: Gateau Foto: Lahrer Zeitung

Geschichte: Schuttertäler Kinder sammelten in den 20er-Jahren die Beeren, um sie in Lahr zu verkaufen

Es ist soweit: Die Heidelbeeren sind reif. Sind die kleinen Früchte heute "nur noch" besonders schmackhaft, waren sie vor fast 100 Jahren im Schuttertal für viele Familien lebensnotwendig.

Dörlinbach. Es ist eine schlechte Zeit gewesen, damals in den 20er-Jahren nach dem ersten Weltkrieg, wie der gebürtige Dörlinbacher Wilhelm Fischer in seinen Lebenserinnerungen aus seiner frühen Kindheit und Jugendzeit niedergeschrieben hat. Armselig haben sich nicht nur die Eltern der vielköpfigen Schuhmacherfamilie des Heimatchronisten durchschlagen müssen, um der Familie die Existenz zu sichern.

So war es kein Wunder, dass auch die Kinder früh gefordert waren, um zum Unterhalt der Familie beizutragen. Eine willkommene Gelegenheit war es deshalb, in der Heidelbeerzeit die Wälder zu durchstreifen und durch das Sammeln der Beeren das Geld für Schuhe und Bekleidung zu verdienen.

Jeden Morgen in aller Herrgottsfrühe zog der kleine Wilhelm mit seinen Geschwistern und Kindern aus der Nachbarschaft los. Begleitet wurden sie meistens von einem Erwachsenen. Jeder hat sein kleines "Brechgeschirr" dabei gehabt und einen Korb, der am Abend voll sein musste. Wochenlang zog nun die Kinderschar in den Wäldern des oberen Schuttertales umher, mal in den Runzenbach, aufs Kaspereck, auf die Totenruh, manchmal bis zum Streitberg und auf den Fohrenbühl.

Was nun mühsam gesammelt wurde, musste natürlich auch vermarktet werden. Die beste Möglichkeit war dazu in der fast 20 Kilometer entfernten Kreisstadt geboten, wo am Dienstag und Samstag Markttag war.

An diesen Tagen zogen die Kinder schon früh um halb fünf mit der "Schääs" oder einem zweirädrigen Karren das Schuttertal hinunter nach Lahr. Einfach war es nicht, diese Tour mit dem "Heiberekarre". Gab es doch bis Seelbach keine geteerte Straße. Da musste aufgepasst werden, dass von der wertvollen Fracht nichts verschüttet wurde, da auf der Straße noch größere Steine lagen.

Vom alten Rathaustürmchen schlug es gerade acht Uhr, da war das Ziel erreicht. Nun ging es links hinab auf den Marktplatz, auf dem schon ein lebhaftes Markttreiben herrschte. Ein Mann mit einer Polizeimütze kassierte von jedem Verkäufer die Marktgebühren, erst dann durfte man die Waren anbieten. Immer mehr kamen mit ihren Heidelbeerkarren, sodass man schon Bedenken hatte, ob wohl alles verkauft werden kann.

Aber der kleine Wilhelm hatte Glück. Alle Heidelbeeren wurden an den Mann oder die Frau gebracht. Leer waren nun die Körbe. Als Belohnung bekamen nun die Kinder einen Weck und eine Servela. Jetzt war es Zeit, den Rückweg ins obere Schuttertal anzutreten. Nachmittags gegen halb zwei kamen die Kinder wieder daheim an, erwartet von der Mutter, die das Essen schon gerichtet hatte.

Aber noch war kein Feierabend. Ein paar Pfund "Heibere" müsst ihr schon noch holen, hieß es. So ging es halt noch in den Runzenbach

Müde, aber doch stolz auf das was man geleistet hat, gingen die Kinder ins Bett. Wilhelm träumte von der Fahrt nach Lahr, von der Geroldseck, vom Zügle, vom Rathaustürmchen und vom Lahrer Marktplatz.

Vom Frühjahr bis weit in den Spätsommer hinein wurden die Schuhe geschont, das heißt die Kinder liefen barfuß auch nach Schweighausen oder Schuttertal in die Kirche, bis 1923 die Dörlinbacher ein neues Gotteshaus bekamen.