Der omnipräsente Präsidentschaftskandidat: Selbst die Schiffe auf dem Nil sind vollgehängt mit den Wahlkampfplakatenvon Abdel Fattah al-Sisi Foto: dpa

Die Ägypter wählen zum zweiten Mal seit dem dramatischen Sturz von Staatschef Hosni Mubarak einen Präsidenten. Der letzte Urnengang 2012 war aufregend, das Ergebnis war knapp. Dieses Mal kommt keine Spannung auf.

Die Ägypter wählen zum zweiten Mal seit dem dramatischen Sturz von Staatschef Hosni Mubarak einen Präsidenten. Der letzte Urnengang 2012 war aufregend, das Ergebnis war knapp. Dieses Mal kommt keine Spannung auf.

Kairo - „Hast du ein Sisi-Plakat für mich?“ Eine ältere Frau mit braunem, langem Kopftuch stürmt in das kleine Büro von Ali Hashem im Kairoer Stadtteil Gamaleya. Der Raum ist tapeziert mit Sisi-Postern. Hashem hat ihn zu einem Wahlkampfzentrum umfunktioniert, um den großen Sohn des Viertels zu unterstützen. Ex-Militärchef und Präsidentschaftskandidat Abdel Fattah Al-Sisi ist in Gamaleya aufgewachsen. Eigentlich muss hier niemand mehr davon überzeugt werden, dass er der richtige Mann ist. Doch Hashem will einen kleinen Beitrag leisten zum Wahlsieg, an dem niemand zweifelt. „Beende deinen Job“ hat Hashem seine Kampagne genannt und die Botschaft an Jugendfreund Al-Sisi ist klar: „Er hat unsere Nation vor den Muslimbrüdern gerettet, nun soll er das ganze Land retten.“

Wie Al-Sisi das machen will? Die Antwort bleibt der Ex-Feldmarschall bisher schuldig. Konkrete Pläne hat er in keinem seiner wenigen Fernseh-Interviews vorgestellt. Viel mehr hat er vor zu viel Meinungsfreiheit gewarnt. Und so geht Al-Sisi schon jetzt massiv gegen seine Kritiker vor, egal ob Muslimbrüder oder Demokratiebewegung.

„Wir sehen ein Comeback des Mubarak-Regimes, nur viel drastischer und schlimmer“, sagt Ayman Abdel Meguid, einer der führenden Köpfe der „Bewegung 6. April“. Seit ein paar Wochen ist die Organisation verboten, ihre Anhänger werden überwacht und festgenommen. Ihr Gründer Ahmed Maher wurde im Dezember zu drei Jahren Haft verurteilt, weil er gegen das neue Demonstrationsrecht verstoßen hatte. Viele Ägypter fänden das in Ordnung, befürchtet Abdel Meguid. „Sie sehnen sich nach den alten Zeiten. Es gab keine Proteste, weniger Stromausfälle und vor allem keinen Bombenterror.“

Ägypten gleicht vor der Wahl einem Meer aus Sisi-Bildern. Kein Café, kein Markt, kein Taxi, in dem nicht „Sisi, Sisi, mein Präsident“ zu vernehmen ist. Keine Hauswand, von der nicht der neue starke Mann Ägyptens gütig in die Ferne schaut. Auch ein Spaziergang über den Khan Khalili, den großen Markt in der Nachbarschaft von Sisis Geburtsviertel Gamaleya, macht das Ausmaß der Verehrung deutlich. Die Menschen setzen all ihre Hoffnung auf Al-Sisi, nur er, sagen sie, könne wieder Ordnung und Sicherheit herstellen.

Gamal Shousha hat ein kleines Geschäft für Kupferwaren. Davor sitzt einer seiner Mitarbeiter und graviert ein prächtiges Muster in einen Teller. Auch hier ein Sisi-Konterfei. „Ich hatte vor der Revolution neun Mitarbeiter, jetzt sind es nur noch drei.“ Shousha schaut sich die Gravur an, klopft seinem Mitarbeiter auf die Schulter und wendet sich einem Kunden zu. Ein Ägypter. Ausländer sehen sie hier nur noch selten. „Sisi stammt aus armen Verhältnissen. Er kann uns nicht verraten. Er ist einer von uns“, sagt Shousha und stört sich nicht daran, dass sich der Sohn des Viertels noch nicht einmal bei ihnen hat blicken lassen. Al-Sisi vermeidet öffentliche Auftritte – aus Angst vor Anschlägen, wie er sagt.

Hamdeen Sabbahi ist der Gegenentwurf zu Sisi. Von ihm gibt es kaum Plakate, er setzt auf Volksnähe. Einen teuren Wahlkampf kann er sich nicht leisten. Gerade einmal 10 000 Euro hatte er zur Verfügung, alles Spenden. Bescheiden im Vergleich zu den 1,2 Millionen Euro der Al-Sisi-Kampagne.

Eine Textilfabrik in Kafr-el Daouar, 50 Kilometer südlich von Alexandria. Eine der vielen Stationen auf Sabbahis Tour durch Ägypten. Nähmaschinen rattern, Frauen begrüßen den Präsidentschaftskandidaten mit grellem Ruf. Sabbahi ist umringt von Journalisten und Arbeitern. Seine Leibwächter sind überfordert. Doch Sabbahi scheinen weder die Enge noch die Fragen der Menschen zu stören. Geduldig wiederholt er sein Wahlkampf-Programm. Mindestlohn einführen, kleine Betriebe unterstützen, das Geld im Land gerechter verteilen. Dass an den Nähmaschinen, die ihm der Vorarbeiter gerade stolz präsentiert, Kinder sitzen, darauf geht Sabbahi nicht ein.

Überall wird er mit „Hamdeen“-Gesängen begrüßt. Seine Anhänger nennen ihn beim Vornamen, auch sie versichern: Er ist einer von uns. Vor allem bei jungen Ägyptern ist er beliebt, weil er ein Revolutionär der ersten Stunde ist. Das schätzt auch Ahmed Sameh: „Er ist ein guter Sohn der Revolution vom 25. Januar“, sagt der 24-Jährige. Sabbahi hatte 2011 gemeinsam mit Millionen anderer Ägypter auf dem Tahrir-Platz gestanden und den verhassten Präsidenten Hosni Mubarak verjagt. Drei Jahre später droht eine Rückkehr des alten Systems – und das wollen Sabbahi und seine Anhänger mit allen Kräften verhindern.

Deswegen reisen sie durch das Land, versuchen Menschen zu überzeugen, dass sie an die Ziele der Revolution glauben müssen. Dass es nur durch Freiheit, Gleichheit und Solidarität aufwärts gehen kann. „Hamdeen spricht mir aus der Seele“, sagt Ahmed. „Er drückt meinen Schmerz in Worten aus.“

Ahmed ist der Überzeugung, dass sein Kandidat, und damit die Revolution gewinnen wird. Er wagt die Prognose, dass Sabbahi 60 Prozent der Stimmen holen wird. Offizielle Umfragen sprechen von zwei. Der Corso aus Wahlkampfbussen schiebt sich durch die engen Gassen zur letzten Station des Tages. Kinder verfolgen die Kolonne. Rechts und links säumen Schaulustige die Straßen. Die meisten von ihnen rufen „Sisi“. Das ist die Realität, auch wenn Ahmed die nicht wahrhaben will.