Baby Mila, auf dem Arm von Oma Tetiana (Mitte), hat mit und ihre Familie in Altdorf Unterkunft gefunden. Quelle: Unbekannt

Hinter dem nationalen Elend des Ukraine-Krieges verstecken sich viele Einzelschicksale – so auch in der Region. Viele Flüchtlinge haben in Ettenheim eine Unterkunft gefunden und berichten über ihre Erlebnisse.

Ettenheim. Die Bilder aus dem ukrainischen Kriegsgebiet sind kaum zu glauben, kaum zu ertragen. Und begegnet man Menschen, die vor dem schier Unfassbaren geflohen sind, um ihr Leben und das ihrer Kinder zu retten, rücken die Schicksale der 44 Millionen Ukrainer noch einmal in jeder Frau, jedem Kind, im Einzelfall auch Männern, die hier bei ihren Gastgebern aufgenommen werden, näher an einen heran.

Hinter dem flächendeckenden Elend stehen unendlich viele Einzelschicksale. Da ist beispielsweise Elena, die mit ihren beiden Kindern in einer Wohnung in der Heimschule untergekommen ist. Als sei das Schicksal der Familie nicht ohnehin heftig. Die 25-jährige Tochter ist schwerstbehindert. Während uns die Mutter deren mit dem Fuß gemalten, eindrucksvollen Gemälde auf dem Tablet zeigt, schreibt die Tochter auf einem solchen mit Stift zwischen den Zehen eine Nachricht in die Heimat.

Nicht minder herzerweichend an anderem Ort die Begegnung mit Oma Tetiana und ihrer kleinen Enkelin, als wir ihre Gastgeber besuchen. Mit großen, strahlenden Augen schaut uns die kleine, sechs Monate alte Mila lachend an. Sie darf mit ihrer Oma im Kinderwagen spazieren fahren. Automatisch stellt man sich die Frage, ob dieses fröhliche Mädchen eine Ahnung davon hat, was in ihrer eigentlichen Heimat passiert. Auch ihre Oma ist dem zufälligen Besucher gegenüber sehr herzlich und freundlich. Dass sie immer wieder auch draußen im Garten ihrer derzeitigen Gastgeber in der Altdorfer Freiherr-von-Türckheim-Straße weinend mit den in der Ukraine zurückgebliebenen Verwandten telefoniert, das erfahren wir kurze Zeit später.

"Sie versuchen, ihr Heimweh zu meistern", schildert uns eine andere Gastgeberin, die mit ihrer Familie in den Siedlerhöfen in Münchweier drei Frauen und ein fünfjähriges Kind, Verwandte und Bekannte, aufgenommen hat. Dass die Gastgeberin selber gebürtige Ukrainerin ist, hilft natürlich beiden Seiten.

Die harten Schicksale bewegen. Beispielsweise das der 25-jährigen Alina, die gerade ihr Diplom-Studium als Psychologin abgeschlossen hat und in ihrer Heimat eine eigene Praxis aufmachen wollte. Das Haus, das sie mit ihrem Mann gebaut hat, stand kurz vor dem Bezug.

Die Sorge um die zurückgebliebenen Männer ist groß

Ihrer aller Hoffnung auf ein baldiges Kriegsende, auf die Möglichkeit zur Rückkehr, wird in unserem Gespräch immer wieder zur Sprache gebracht. Und dann bekommt man in den Nachrichten wieder mit, wie zum Teil genau diese Städte, die uns die Geflüchteten als ihre Heimatstädte benennen, besondere Angriffe der russischen Armee erleiden. So geht es uns mit Sumy im Nordosten der Ukraine, wo Elena mit ihrem Sohn und der schwerstbehinderten Tochter herkommt.

So geht es uns mit Charkiw, wo die kleine Mila mit Oma und Eltern zu Hause ist, so geht es uns mit Mykolaiv in der Nähe von Odessa, das just am Abend unseres Gesprächs die Schlagzeilen im Fernsehen beherrscht. Die Schicksale der Menschen bekommen durch das persönliche Kennenlernen noch einmal eine zusätzliche Dimension.

Praktisch alle Schilderungen prägt dasUnvorstellbare: Die Männer, die Väter – sie mussten in aller Regel zurückbleiben, mussten sich von Frau und Kindern spätestens an der Grenze verabschieden.

"Das Heimatland verteidigen, ohne jegliche militärische Erfahrung." Elenas Klage und Sorge, sie ziehen sich durch unsere Gespräche hindurch wie ein roter Faden. Eines aber betonen alle unsere Gesprächspartner ebenso durchgängig: Ihre Dankbarkeit für die Aufnahme hier in Deutschland, hier in Ettenheim. Und die Hilfsbereitschaft, die ihnen in einem fremden Land zuteil wird: beim Gang zu den Behörden, beim Besorgen von Lebensnotwendigem, in der Unterstützung bei dem, was sie zum Meistern des jetzigen Alltags brauchen. Das kann in manchen Fällen bedeuten, "die Flüchtlinge erst einmal ankommen zu lassen", wie es Julia Reichwein in Münchweier wichtig ist. In andern Fällen wollen die Geflüchteten so schnell als möglich irgendwas tun. Claudia König aus der Östlichen Ringstraße schildert, wie sie den Vater der geflüchteten Familie alle erdenklichen Arbeiten machen lässt.

Man wünscht sich, dass sich die Hoffnung der Frauen aus Mykolaiv, die sie auch immer wieder uns gegenüber äußern, erfüllt: Dass dieser Krieg absehbar ein Ende hat und eine Rückkehr in die Heimat wieder möglich ist.

Aktuell sind in Ettenheim 130 ukrainische Kriegsflüchtlinge untergebracht. Unter den Ankömmlingen befinden sich auch 50 Kinder. Die meisten Frauen mussten ihre Männer im Krieg zurücklassen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ordnete an, dass alle Männer zwischen 18 und 60 Jahren nicht mehr ausreisen dürfen. Sie müssen für ihr Land zu kämpfen.