Theater an einem ungewohnten Ort: Im Seelbacher Bauhof wurde der "(Heute kein) Jedermann" aufgeführt. Foto: Kiryakova

Freilichtspiele: Darsteller um die Regisseurin Katia Thost-Hauser überzeugen

Seelbach - Das Drama "Jedermann" ist schwere Kost. Ein großer Verdienst der Seelbacher Freilichtspiele ist es, den komplexen Stoff gut verdaulich und modern zu spielen. Die drei Aufführungen an ungewohnter Stelle sind sehr gut aufgenommen worden.

Die Regisseurin Katia Thost-Hauser (als "Tod" auf der Bühne) erklärte vor Beginn der Aufführungen zusammen mit Regieassistent Johannes Christopher Maier (auf der Bühne die "Buhlschaft"), warum "(Heute kein) Jedermann" in herkömmlicher Form gegeben wird. Die Kulisse Bauhof und die Kostüme – überwiegend Blaumänner – stehen in einem krassen Gegensatz zu den bewusst altmodisch geschriebenen Versen, die das gesamte Ensemble – unentwegt und mit Bravour – spricht. Gerade diese Gegensätze machen den Reiz dieser ungewöhnlichen Inszenierung aus.

"Gott" (Greta Armbruster) holt den "Jedermann" (Christian Hauser) aus dem Publikum auf die Bühne. Mit dieser Szene ist die Bedeutung des Wortes Jedermann – ein X-Beliebiger – sehr genau und ohne Worte erklärt. Der Jedermann wird in seiner Habgier und seiner Unbedenklichkeit vorgeführt. Die lustige Gesellschaft, ein Quintett mit Darstellern aus dem Schuttertal, bringt Farbe ins Spiel. Sigrid Schnurr, in einer Szene mit goldener Klobrille um den Hals, ist dabei eine Klasse für sich. Das toppt sie noch, als sie kreischend vor dem Tod über die Bühne in der gesamten Breite und dann zum Ausgang davonrennt. Glücklicherweise ist die Diagnose "Hysterie" dem Theater erhalten geblieben.

Das Drama – nach Jubel, Trubel, Heiterkeit für Jedermann – beginnt, als sich Tod und Teufel ankündigen. Katia Thost-Hauser spielt den Tod sehr zurückhaltend. Allerdings hat der Tod es in dieser Intention auch nicht nötig, viel Federlesen um das Sterben eines Jedermanns zu machen. Ein Glanzstück im insgesamt guten Spiel ist die Szene am Ende, als Jedermann, endlich geläutert, bereit ist, dem Schöpfer entgegenzutreten. Jetzt tritt der Teufel ohne Maskerade auf. Eines der Tore des Bauhofs öffnet sich, und Gernot Kogler hat mit Qualm und rotem Licht seinen großen Auftritt. Er beansprucht den Jedermann für die Hölle. Dem aber treten die Werke – gespielt von Lia Franke und Shania Bohy – sowie der Glaube – verkörpert von Verena Rohkohl – entgegen. Nesthäkchen Naemi Franke als Engel verpasst dem Teufel dazu einen kräftigen Seitenhieb, was für Szenenapplaus und Heiterkeit sorgte.

Es spricht für das gesamte Ensemble, das aus vier professionellen Schauspieler und einem gutem Dutzend Darstellern aus dem Schuttertal besteht. Alle zusammen gestalten seit Jahren die Freilichtspiele. Daher ist diese Werkstattaufführung mit gerade einmal vier gemeinsamen Proben in dieser Qualität auf die ungewöhnliche Bühne gekommen. Das große Lob gebührt ausnahmslos dem gesamten Ensemble auf und hinter der Bühne.

Aufgefallen ist dabei, dass Lia Franke mit zwölf Jahren ihre erste größere Sprechrolle mit Bravour absolviert hat. Die 16-jährige Greta Armbruster hat als Gott ihre erste Hauptrolle übernommen. Dabei hat sie – sicher nicht einfach – die Rolle des Chores oder des Kommentators in der Inszenierung mit gestemmt. So kündigte sie gleich zu Beginn an, was Jedermann zu erwarten hat, was das Stück bieten würde. Die Tatsache, dass sich das Ensemble immer wieder verjüngt, macht viel am Erfolg aus.

Das richtige Drama am passenden Ort

Das Fazit: Die Not, dass es in gewohnter Form aufgrund von Corona auch in diesem Jahr keine Aufführungen der Freilichtspiele hätte geben können, entpuppte sich als eine gute, ausgesprochen gelungene Aufführung. Der Name "Werkstattaufführung" ist daher kein Makel gewesen. Im Gegenteil: "(Heute kein) Jedermann" war in Form, Länge und der modernen Inszenierung genau das richtige Drama am passenden Ort. Dieses Wagnis hätte in der Zukunft – Pandemie hin oder her – im Bauhof sicher eine Wiederholung verdient.

"Jedermann, das Spiel vom Sterben eines reichen Mannes" des Autors Hugo von Hofmannsthal hat Max Reinhardt im Jahr 1911 in Berlin das erste Mal inszeniert. Da drängt sich der Begriff "Avantgarde" förmlich auf. Hofmannsthal hat auf eine Mysterienspiel "Everyman" aus England vom Anfang des 16. Jahrhunderts, deutlich vor der Blüte des englischen Theaters und ein Drama des spätmittelalterlichen deutschen Autors Hans Sachs zurückgegriffen. Das Drama ist in Knittelversen verfasst. Der reiche Jedermann soll vor seinen Schöpfer treten. Seinen Mammon oder seine Freunde wollen ihn nicht begleiten. Erst mit Hilfe seiner Werke und des Glaubens ist der dann – geläutert – bereit, seinen Weg zu gehen. Das Stück, eigentlich eine altmodische Moralität, wird seit 1920 jedes Jahr bei den Salzburger Festspielen aufgeführt.