Vier Jahre lang lebte Gerrit Bartsch seinen Traum vom Profihandball in Ostwestfalen. Vor vier Jahren kehrte der Schutterwälder in die Ortenau zurück. Heute ist er seinem Lieblingssport nur noch passiv verbunden - als Jugendtrainer und im Internet.

So unverhofft wie Gerrit Bartsch in den Handball trudelt, so unvermittelt ist er auch wieder weg von der Platte. Mit 12 Jahren nimmt der in Gengenbach geborene und in Schutterwald-Höfen aufgewachsene Bartsch das erste Mal einen Ball in die Hand. Dass es Bartsch erst im für Handballerverhältnisse eigentlich schon gesegneten Alter zu jenem Sport zieht, in dem er es einige Jahre später als Profi bis in die Bundesliga schaffen soll, ist jedoch die eigentliche Überraschung. Schließlich prägt der Handball das Leben im Schutterwald seiner Jugend. Die "Roten Teufel der Ortenau" sorgen in der Bundesliga Süd für Furore, die A-Jugend des Vereins setzt sich in der Spielzeit 1988/89 die Meisterkrone auf. Kurzum: Schutterwald zu Beginn der 1990er Jahre atmet förmlich Handballluft.  

Ostwestfälische Handball-Leidenschaft: Eine ähnliche Brise hatte Gerrits Eltern ihr Leben lang um die Nasen geweht. Vor der Geburt ihres Sprösslings im November 1989 waren die Bartschs aus Bielefeld in die Ortenau gezogen. Und auch wenn Gerrits Eltern nie selbst so ganz dem Reiz des Handballs erlagen, konnten sie sich doch dem schnellen Spiel im handballbesessenen Ostwestfalen nicht entziehen. Das nahe gelegene Grün-Weiß Dankersen, das heutige GWD Minden war nach dem Zweiten Weltkrieg eine Hochburg im Feldhandball. In den siebziger Jahren kam der TuS Nettelstedt, der heute TuS N-Lübbecke heißt, dazu. In den achtziger Jahren folgte der TBV Lemgo. Wohl keine Region in Deutschland ist so handballverrückt, wie die ostwestfälische Provinz – außer vielleicht die Ortenau, in die es Gerrit Bartschs Eltern jetzt verschlug. "Die Begeisterung für den Sport war bei uns überall spürbar", erinnert sich Bartsch an die frühen 1990er Jahre.  

Das Talent: Dass der Spätberufene auf der Mittelposition durchaus Begabung aufweist, wird Bartschs Jugendtrainern schon früh klar. Der Junge bringt alles mit: Ein gutes Auge, Spielverständnis und ein ordentliches Pfund aus dem Rückraum. Die Belohnung: viele Spielanteile beim TuS sowie zahlreiche Berufungen in die regionalen Auswahlmannschaften. Bereits mit 17 Jahren, in seinem ersten A-Jugendjahr, wird Bartsch mit zusätzlichen Einsätzen in der 1. Mannschaft in der Oberliga belohnt. Einige der Gegenspieler von damals, wie Kai Häfner oder Patrick Groetzki sorgen heute als "Bad Boys" mit der deutschen Nationalmannschaft dafür, dass die ostwestfälische und Ortenauer Handballbegeisterung langsam auch den Rest der Republik erfasst.  

Profihandball: Mit 19 Jahren zieht es Bartsch schließlich selbst nach Ostwestfalen. Nachdem ein Probetraining beim TBV Lemgo scheitert, heuert der Ortenauer beim Drittligisten TVG Nordhemmern, dem Kooperationsverein des Zweitligisten TuS N-Lübbecke an.

Gewohnt wird zunächst bei der Oma in Bielefeld, ganz nebenbei wird für die Abiturprüfungen gebüffelt. So schlecht kann sich der angehende Abiturient beim Drittligisten nicht gemacht haben, denn nur zwei Monate später folgt die Vertragsunterschrift in Nettelstedt.

In der 2. Liga spielt Bartsch dann auf Linksaußen. Sein neues Team um den polnischen Spitzenspieler Michal Jurecki ist eigentlich viel zu gut für den Unterbau. Mit nur zwei Minuspunkten steigt die Mannschaft in die Bundesliga auf. "Ich habe viel gelernt und für einen Newcomer auch echt viele Spielanteile bekommen", sagt Bartsch über seine Debütsaison im Profihandball.

Während es eine Liga höher für den TuS weiterhin gut läuft - die Mannschaft holt als Aufsteiger auf Anhieb einen Mittelfeldplatz und qualifiziert sich für das Final Four im Pokal – sieht es für Bartsch persönlich etwas düsterer aus: "Ich war auf meiner Position plötzlich nur noch dritte Wahl. Dementsprechend waren meine Einsatzzeiten."

2010 folgt deshalb der Wechsel zum großen Lokalrivalen nach Minden. Zwar eine Liga tiefer, dafür fühlt sich Bartsch endlich wieder gebraucht. In jedem Meisterschaftsspiel steht er in seiner Debütsaison auf der Platte. Und auch im zweiten Jahr läuft es trotz weniger Spielanteile noch recht gut: Auch dank der Treffer des Ortenauers kehrt Minden am Saisonende in Liga 1 zurück.

Traum von Bundesliga war plötzlich vorbei

>  Sinnkrise in Konstanz: Es sollte nicht die einzige Rückkehr werden. Auch Bartsch selbst entscheidet sich nach zwei Jahren in Minden, in die Heimat zurückzuziehen. Bei der HSG Konstanz in der 3. Liga will sich der Schutterwälder vor allem auf sein Wirtschafts-Studium konzentrieren, dass er während seiner Zeit in der 2. Liga in Oldenburg begonnen hatte. Schwergefallen sei ihm der Abschied vom Profihandball nicht, betont Bartsch: "Der Alltag als Profi ist einfach nur antizyklisch und langweilig". Außerdem sei ein Spieler zu sehr von den Launen des Trainers abhängig: "In Minden hatte ich zuletzt gut gespielt und viele Tore gemacht. Doch plötzlich saß ich nur noch auf der Bank." Zwar habe GWD-Manager Horst Bredemeier alles versucht, ihn zum Bleiben zu überreden, jedoch ohne Erfolg.

Statt bis zu zehnmal Training in der Woche, steht Bartsch plötzlich in Konstanz nur noch drei oder viermal in der Halle. Da auch die erbrachten Studienleistungen aus Oldenburg nicht anerkannt werden, weiß der Ex-Profi plötzlich nicht mehr wirklich viel mit sich und seiner Zeit anzufangen: "Mein Traum von der Bundesliga war plötzlich ausgeträumt, weshalb ich dann in ein Loch gefallen bin." Bartsch gibt zu, damals eine "Sinnkrise" durchlaufen zu haben. "Wenn man bereits ganz oben gespielt hat, bietet auch ein möglicher Aufstieg in die 2. Liga mit Konstanz keinen Anreiz mehr."   Rückkehr in die Ortenau: Nach einem Jahr bittet Bartsch den Präsidenten um die Vertragsauflösung. "Ich habe dann meine Koffer gepackt und bin zurück in die Ortenau." Der Schutterwälder will eigentlich nur seine Ruhe – was er stattdessen bekommt, ist ein ständig klingelndes Handy: "Viele Trainer von Vereinen aus der Region wollten wissen, ob ich nicht Interesse hätte, für sie zu spielen", so Bartsch, der sogar mit dem Gedanken spielt, ganz mit dem Handball aufzuhören.

Am Ende überzeugen ihn einige Handballfreunde aus Willstätt, es noch einmal dort in der 4. Liga zu versuchen. "Es waren zwei wirklich schöne Jahre, mit einer tollen Kameradschaft", sagt Bartsch, der schließlich 2015 zu seinem Heimatverein TuS Schutterwald zurückkehrt. Zwar steht er noch einmal kurz für einige Partien selbst auf der Platte, um seinem Verein im Abstiegskampf zu helfen, hauptsächlich kümmert er sich aber um die D- und C-Jugendspieler des Klubs.

Info: Leben danach

Und so ganz hat der 28-Jährige Gerrit Bartsch dem Handball auch heute nicht abgeschworen. Mit seinem Internetportal "Ortenau ist Handball" versucht der Ex-Profi Handballklubs aus der Region besser zu vermarkten. Und auch mit seinen alten Gegnern Groetzki und Häfner wird Bartsch bald ein Wiedersehen feiern. Für den Sportartikelhersteller Kempa ist der Schutterwälder im Januar bei der WM in Kroatien im Einsatz, um seine alten Weggefährten zu interviewen.