Ein Vater hält zum ersten und vermutlich zum letzten Mal die Hand seines Babys. Foto: Dein Sternenkind

"Dein Sternkind": Letzte Erinnerung für Eltern von verstorbenen Neugeborenen. Ehrensache für die Helfer.

Offenburg - Für Eltern gibt es wohl nichts Schlimmeres, als ihr Kind zu verlieren – erst recht kurz nach der Geburt. Wenn dann nichts übrig zu bleiben droht als die Erinnerung, kommen die Fotografen von "Dein Sternenkind" zum Einsatz.

Markus Dietze hebt den Blick von seinem Telefon und schüttelt langsam den Kopf. "Die Liste wird immer länger", sagt der Fotograf aus Offenburg. Es sind Wünsche nach einem besonderen Foto. Auf dem Display des 43-Jährigen reiht sich eine Anfrage an die nächste. Doch bei denen geht es nicht um Porträts für Unternehmenspräsentationen, Produktfotos für Kataloge und Online-Shops oder Reportagen für Magazine: Es geht um ein Foto, hinter dem Gefühle und Geschichten stehen, die sich nur schwer in Worte fassen lassen.

"Das erste und das letzte Bild"

Dietze ist – wie mehr als 600 Fotografen in Deutschland und mittlerweile darüber hinaus – ehrenamtlich bei "Dein Sternenkind" engagiert. Sie alle haben es sich zur Aufgabe gemacht, sofern es sich zeitlich realisieren lässt, Sternenkinder zu fotografieren. "Das erste und das letzte Bild" – darum geht es. Oft liegen dazwischen nur Minuten, denn als Sternenkinder werden Säuglinge bezeichnet, die kurz vor oder nach der Geburt sterben.

Für diese eine Erinnerung nehmen sich Dietze und viele andere Fotografen extra Zeit. "Oft ist es noch viel mehr", weiß Kai Gebel. Der freiberufliche Fotograf und Familienvater hat die Initiative "Dein Sternenkind" vor sechs Jahren ins Leben gerufen. "Ein Foto des kleinen Menschen kann Eltern erheblich bei der Trauerbewältigung helfen. Und genau das ist es, was ›Dein Sternenkind‹ ausmacht", sagt Gebel. Markus Dietze, selbst Vater, ist seit mehr als einem Jahr dabei – und einer von wenigen Fotografen aus dem Ortenaukreis.

Es ist eine ganz andere Welt, der Dietze oder seine Kollegen da begegnen. "Trauer, Angst, Unsicherheit, Leid, Gefühlsausbrüche, ganz selten Wut und ganz viel Menschlichkeit", zählt er auf. Denn der Fotograf ist hier nah dabei. Mit dem Annehmen einer sogenannten Fotografenanforderung, von Eltern oder Hebammen veranlasst, sind die Fotografen Teil des inneren Zirkels, wenngleich als Beobachter. "Es ist ja nicht so, dass wir da zu einem festen Termin in ein schmuckes Fotostudio kommen und sich alle auf dieses Foto freuen", berichtet der 43-Jährige. "Die Hebammen und Schwestern, die oft auch diejenigen sind, die Eltern auf ›Sternenkind‹ aufmerksam machen, bereiten die Umgebung vor." Das Kindchen, manchmal nicht größer als die Hand eines Erwachsenen, wird angezogen oder in Decken und Tüchern eingebettet. Das verleiht ihm eine Würde, es ist in diesem kurzen Augenblick die Tochter oder der Sohn, und nicht eine Nummer in der Krankenakte.

Die dahinterliegende Geschichte ist allgegenwärtig

Die Fotos, die bei so einem Termin entstehen, sind voller Gefühl – und lassen keinen Betrachter kalt. Die Gesichter der Kinder, ihre Hände oder Füße – alles ist klein, feingliedrig, unglaublich zart und verletzlich wirkend. Selbst wenn nur ein Detail zwischen Mütze und Decke hervorblitzt oder allein ein Finger zu sehen ist, die dahinterliegende Geschichte ist allgegenwärtig. Denn natürlich schwingt das Wissen mit: Dieses Kind gibt es nicht mehr. "Das Handwerk sollte man beherrschen, um sich entsprechend eher auf die Eltern und das Kind konzentrieren zu können", sagt der 43-Jährige über die Herausforderungen. "Trotz aller Technik sind, denke ich, Mitgefühl und Einfühlungsvermögen das Wichtigste." Und auch das Nachher ist intensiv: "Wir schicken den Eltern ja nicht alle Fotos, die da entstehen, sondern wählen – wie bei jedem anderen Kunden auch – aus. Dafür klickt man sich durch unzählige Bilder, wobei man das Ganze noch einmal erlebt." Dietze schließt kurz die Augen. "Da muss man sich schon überlegen, wie viel Pause man sich zwischen diesen Einsätzen nimmt, um das Erlebte eventuell zu verarbeiten."

Für die Eltern sind diese Fotos komplett kostenlos. Ganz unabhängig, ob die verantwortlichen Fotografen dafür 50 oder 100 Kilometer gefahren sind und vor dem Patientenzimmer mehrere Stunden warten mussten. "Darüber denke ich auch nicht nach, wenn ich zusage", erläutert Dietze, der ansonsten für Magazine und Kataloge gebucht wird: Wenn sich im Kalender eine Lücke auftut und die Entfernung passt, sagt er zu. Denn die erste Information, die jeder der engagierten Fotografen auf seine App erhält, besteht aus dem jeweiligen Krankenhaus, der Diagnose, der Schwangerschaftswoche und dem möglichen Entbindungstermin.

Die Initiative geht oft von den Hebammen aus

Manchmal steht der kurz bevor, in anderen Fällen ist er grob abzuschätzen – "und manchmal sind die Kinder auch schon da." Worum es genau geht, erfahren die Sternenkind-Fotografen, die den Auftrag annehmen könnten, in einem gesonderten Online-Forum. Ob wir angefordert werden oder nicht, hängt weniger von den betroffenen Eltern ab, sondern von den Beschäftigten oder Hebammen in den Krankenhäusern", erläutert Initiator Gebel. "Zum einen müssen sie die Initiative kennen, zum anderen natürlich dann auch bereit sein, das in einem konkreten Fall anzusprechen." Das sei manchmal ein längerer Prozess – zumal auch die Verantwortlichen in den Häusern entweder unterstützend oder bremsend wirken können.

Sternenkinder

Seit knapp sechs Jahren darf laut Gesetzgeber jedes Kind, selbst bei einem Gewicht von 500 Gramm, bei Standesämtern registriert und als "Mensch" erfasst werden. Damit wird Eltern die Möglichkeit eingeräumt, ihren totgeborenen Kindern einen Vornamen zu geben und sie im Stammbuch der Familie einzutragen. Auch das Beerdigen der Sternenkinder ist mittlerweile gestattet. Die Bezeichnung "Sternenkind" rührt daher, dass diese Kinder den Himmel – und damit die Sterne – erreicht haben, noch bevor sie das Licht der Welt erblicken durften.