Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble war Gast bei den Salmengesprächen in Offenburg. Foto: Schubert

Salmengespräch: "Architekt der Deutschen Einheit" im Dialog mit Schriftsteller aus der einstigen DDR

Offenburg - "30 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung wird der Beitritt der neuen Bundesländer zur Bundesrepublik Deutschland immer wieder kontrovers diskutiert", sagte Ursula Nusser, Redaktionsleiterin der Radiosendung SWR 2 Forum und Moderatorin des Salmengesprächs, das am Dienstag stattfand. Rund 100 zumeist ältere Zuhörer waren in den Salmen gekommen.

Zeitzeugen berichten über ihre Erfahrungen 

Bei dieser Veranstaltung teilten Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble und der aus Ostdeutschland stammende Schriftsteller Ingo Schulze ihre unterschiedlichen Erfahrungen hinsichtlich der deutschen Wiedervereinigung. Während Schäuble 1989 und 1990 erst Chef des Kanzleramtes und anschließend Innenminister der Bundesrepublik war, lebte der in Dresden geborene Ingo Schulze – zum damaligen Zeitpunkt Ende zwanzig – in der DDR.

Sein Studium hatte er abgeschlossen und arbeitete als Dramaturg am Landestheater Altenburg. 1989/90 – zu Zeiten der friedlichen Montagsdemonstrationen in Leipzig – habe sich bei ihm "Euphorie breit gemacht". "Wir wollten diesen Staat in die Hand nehmen", so Schulze.

Ihm habe vor allem ein "demokratischer Sozialismus" vorgeschwebt. "Damals war man kein Träumer, wenn man davon sprach. Für uns war das die unausweichliche Lösung".

Beitritt statt tatsächlicher Vereinigung 

So kam es nicht. Denn bei der ersten und einzigen freien Wahl des DDR-Parlaments 1990 habe sich, so Schäuble, "die klare Mehrheit der DDR-Bevölkerung für einen schnellen Beitritt zur Bundesrepublik" entschieden und "für nichts Anderes". Warum kein Konvent zur Erarbeitung einer gemeinsamen, neuen Verfassung stattgefunden habe, sei diskussionswürdig. "Aber die Zeit hatten wir nicht". Schulze zufolge hätten es die Ostdeutschen nicht geschafft, untereinander zu klären, dass statt eines Beitritts tatsächlich eine Vereinigung der beiden Staaten hätte stattfinden können.

Die Nachwehen der Wiedervereinigung sind noch heute zu spüren, wurde an diesem Abend deutlich. "Der Blick auf 1989/90 ist so wichtig, weil es dabei um das Heute geht", erklärte Schulz. Deshalb komme es heutzutage "trotz des Wohlwollens" vieler Menschen, immer wieder zu Abgrenzungen zwischen Ost- und Westdeutschen. Eingangs sei er als "ostdeutscher Schriftsteller" vorgestellt worden. Das finde er problematisch, denn das Gegenteil von "ostdeutsch" sei automatisch immer "deutsch". "Ich bin ein deutscher Schriftsteller", insistierte Schulze.

Interessierte können die Veranstaltung auf Youtube unter "Salmengespräch Offenburg 2020: 30 Jahre Wiedervereinigung" abrufen.