Die Krankenpflege ist – nicht erst seit der Corona-Krise – ein extrem anspruchsvoller Beruf. Foto: Kästle (Symbol)

Ortenau-Klinikum: Mitarbeiter erheben anonym schwere Vorwürfe / Verbund spricht von Einzelmeinungen

Druck von oben, Überlastung, fehlende Wertschätzung – Pflegekräfte des Ortenau-Klinikums haben ihren Arbeitgeber gegenüber Medienvertretern heftig kritisiert. Der Klinikverbund weist die Vorwürfe von sich und spricht von Einzelmeinungen.

Ortenau - "Wir können die Patienten nicht so versorgen, wie wir es gelernt haben", erklärt eine von neun Pflegekräften bei einem Gespräch zwischen Klinikumsmitarbeitern und Pressevertretern. Männer und Frauen aus verschiedenen Häusern des Klinikverbunds nehmen teil – manche sind laut eigenen Angaben "Jungpfleger", andere alte Hasen.

Seinen Namen nennen möchte sich bei dem Treffen niemand. Im Laufe des Gesprächs fällt immer wieder das Wort Angst – Angst vor Repressalien, aber auch davor, irgendwann einen Fehler zu machen.

Kostendruck und Personalmangel – dass das deutsche Gesundheitssystem an vielen Stellen krankt, ist nicht neu. Besonders schlimm sei es jedoch im Ortenau-Klinikum geworden, so der Tenor des Gesprächs.

Pflegekräfte klagen über fehlende Wertschätzung

Die Klinikleitung lasse Wertschätzung gegenüber den Mitarbeitern vermissen. Pflegekräfte müssten häufig die Station wechseln, es mangele an Einarbeitung, Führungskräfte würden Mitarbeiter unter Druck setzen. Kurzum: Die momentane Situation sei nur schwer auszuhalten.

Das Klinikum sieht die Lage freilich anders: "Grundsätzlich muss festgestellt werden, dass die ›Vorwürfe‹ Aussagen einzelner anonymer Personen sind und nicht die Auffassung der rund 6000 Mitarbeiter des Ortenau-Klinikums wiedergeben", konstatiert der Eigenbetrieb des Kreises auf Nachfrage unserer Zeitung.

Die Führungskräfte seien regelmäßig zu Stationsbegehungen in den Häusern und führten dabei Gespräche mit den Mitarbeitern. Dabei werde von diesen bei Problemen auch sehr deutliche Kritik geübt. Der Diskurs spiegele jedoch nicht das Bild wider, das "anonyme Einzelpersonen" zeichneten.

Darüber hinaus hat unsere Redaktion das Klinikum um eine Stellungnahme zu einzelnen Kritikpunkten gebeten:

Arbeitsbedingungen

Einhellig berichteten die Pflegekräfte von immer größerem Zeit- und Arbeitsdruck. "Die Schwestern hasten nur noch über den Flur", erklärte eine Teilnehmerin. "Ich habe nicht mal Zeit für einen Schluck Wasser", sagt eine andere. Belastungsanzeigen würden ignoriert, manche seien aufgefordert worden, gar keine mehr zu stellen. "Wir sind am Ende und es wird nicht reagiert", konstatiert eine Teilnehmerin.

Besonders heikel: Immer wieder würden aufgrund von Überlastung "gravierende Fehler" passieren. Die Pflegekräfte lieferten dafür auch Beispiele aus ihrem Alltag: So sollen Patienten aus Versehen falsche oder falsch dosierte Medikamente erhalten haben. Eine Pflegekraft berichtete zudem von einem Patienten mit Schluckstörungen, der beim Essen alleine gelassen worden sei und so beinahe erstickt wäre.

"Der Fachkräftemangel ist bundesweit ein großes Problem für Kliniken", betont das Klinikum. Man habe wiederholt öffentlich darauf hingewiesen, dass es immer schwieriger werde, gut ausgebildetes Personal zu finden. Mit verschiedensten Initiativen habe man reagiert.

"Auch die Umsetzung der Agenda 2030 wird die Attraktivität der Arbeitsplätze für ärztliches und pflegerisches Personal am Ortenau-Klinikum deutlich erhöhen", heißt es. Zudem arbeiteten die Kliniken unter Corona-Bedingungen und nicht mehr im Normalbetrieb – das Personal sei teilweise an der Belastungsgrenze. Auf die "gravierenden Fehler" geht das Klinikum in seiner Stellungnahme nicht ein.

Stationswechsel und Einarbeitung

"Es kann sein, dass eine Schwester zum Dienst kommt und dann heißt es, sie muss auf eine ganz andere Station", berichtet eine Teilnehmerin des Gesprächs. Früher habe es feste Teams gegeben, das Wir-Gefühl werde nun bewusst zerstört. "Plötzlich hat man ganz andere Patienten", ergänzt eine weitere Pflegerin. Es mangele an der nötigen Einarbeitung: "Nach drei Tagen Intensivschulung gelte ich als Vollkraft-Intensivpfleger", so ein Mitarbeiter.

In der Pflege sei es grundsätzlich gute Übung, dass sich Stationen gegenseitig aushelfen, wenn Personal ausfällt, betont das Klinikum. "Im Rahmen der Bewältigung der Corona-Krise und angesichts der Personalknappheit hat sich diese Situation weiter verschärft und fordert ein sehr hohes Maß an Flexibilität." Zudem habe jede Station ein Einarbeitungskonzept – eine strukturierte Einarbeitung sei die Regel. "Die Anzahl der Pflegeanleiter entspricht der vorgegebenen Quote."

Betriebsklima

Zur Hektik und Zeitnot komme auch Angst vor Vorgesetzten, berichten die Pflegekräfte. Diese würden versuchen, Druck aufzubauen. Es herrsche eine "miese Stimmung", der Umgangston sei rau. Ein Vorwurf lautet zudem, dass IT-Mitarbeiter Angestellte in sozialen Netzwerken überwachten.

"Jede Mitarbeiterin, jeder Mitarbeiter kann sich vertrauensvoll an Vorgesetzte oder Mitglieder der Personalräte wenden", betont indes das Klinikum. Man sei stets bemüht, Schwierigkeiten und Herausforderungen gemeinsam mit den Mitarbeitern im Dialog zu lösen. "Bei allen Unternehmen gibt es auch vereinzelte Mitarbeiter und ihr Verhalten, bei denen diese Prinzipien an ihre Grenzen stoßen." Zu pauschal und anonym geäußerten Vorwürfen könne man jedoch keine Lösungen im Dialog entwickeln.

Das Bündnis für den Erhalt und Ausbau aller Ortenauer Kliniken ruft gemeinsam mit weiteren Gruppen aus der Ortenau für den heutigen Samstag, 10. April, ab 14 Uhr zur Demonstration am Offenburger Busbahnhof auf. Themen sind der Kampf für bessere Arbeitsbedingungen sowie der Erhalt aller Ortenauer Kliniken, so die Ankündigung.