Viele Kinder empfinden die Pandemie-Situation zunehmend als belasten, berichtete Expertin Reta Pelz. Foto: Polizei

Jugendhilfeausschuss: Chefärztin berichtet von zunehmender Belastung / Rund 40 Prozent mehr Fälle

Offenburg - Experten haben am Dienstag im Jugendhilfeausschuss eine dramatische Entwicklung skizziert: Immer mehr Kinder leiden unter der psychischen Belastung der Corona-Krise. Depressionen, Essstörungen, Suizidgedanken sind die traurigen Folgen.

"Körperlich betrifft die Kinder und Jugendlichen Corona ja glücklicherweise gar nicht so sehr", erklärte Reta Pelz, Chefärztin der Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Lindenhöhe in Offenburg. Die jüngsten Ortenauer würden deutlich seltener erkranken und hätten falls doch oft nur leichte Verläufe. Große Sorgen mache sie sich jedoch um deren Psyche.

Was nationale und internationale Studien nach und nach aufzeigten, bekomme sie hautnah mit: Depressive Störungen, Angsterkrankungen, Ess- oder Schlafstörungen aber auch schlimme Krisen – Selbstmordgedanken, Selbstverletzung – nehmen bei Kindern und Jugendlichen zu. "Unsere Belegung liegt in den vergangenen Monaten über 100 Prozent" berichtete Pelz.

Klinik derzeit zu mehr als 100 Prozent ausgelastet

"Wir sind dauerhaft am Limit und konnten zwischenzeitlich Patienten in einer akuten Krise nicht aufnehmen." Seit Herbst verzeichnete die Psychiatrische Institutsambulanz der Klinik – Anlaufstelle für akute Krisen – rund 40 Prozent mehr Fälle.

Die Expertin sieht die Wirkung der Pandemie hinter dieser Entwicklung: Familie, Schule und Freizeit – zwei der drei so wichtigen Aspekte im Leben der jungen Ortenauer seien seit einem Jahr nur eingeschränkt möglich. Das sei eine ganz schöne Last.

Auch die Emotionen der Eltern spielten eine Rolle – "die Kinder haben da ganz feine Antennen". Zunehmend würden auch die Eltern unter der anhaltenden Mehrfachbelastung – Haushalt, Kinderbetreuung, Homeoffice – leiden.

Durch Schließungen seien Strukturen verloren gegangen und viele soziale Kontakte. "Dazu kommt auch die fehlende Perspektive, die Aussichtslosigkeit: Wie geht es weiter?", erläuterte die Psychiaterin. Die Folgen des zweiten Lockdowns seien dabei noch gar nicht absehbar. Sowohl Ullrich Böttinger, Leiter des Amts für Soziale und Psychologische Dienste, als auch Jugendamtsleiter Heiko Faller berichteten von einer ähnlichen Entwicklung in ihrem Zuständigkeitsbereich.

"Unser Fokus liegt nun auf Krisenintervention und den belasteten Kindern", erläuterte Pelz. Wartezeiten auf reguläre Behandlungen seien daher aktuell sehr lange. "Wir haben aber auch einen ganz großen Teil von Kindern, die das gut meistern werden, und einen Anteil, der daran wachsen wird", betonte Pelz. Dabei spielten Unterstützung, Halt und Geborgenheit, die Eltern und Familien den Kindern geben, eine große Rolle.

Der Bericht der Kinder- und Jugendpsychiaterin machte bei den Ausschussmitgliedern Eindruck – das zeigte die anschließende Fragerunde. "Wo müssen wir hinkucken? Was ist ihr Auftrag an uns?", wollte beispielsweise Kreisrätin Heike Dorow (Grüne) wissen. "Die niederschwelligen Angebote müsste man derzeit kräftig aufbauen, damit weniger zu uns kommt", erklärte Pelz.

Landrat Frank Scherer regte an, eine vom Kreis gesteuerte "Einsatzgruppe" einzurichten, um noch mehr Unterstützung bieten zu können, wofür er vom Gremium geschlossen grünes Licht erhielt. Sie werde ihre Arbeit aufnehmen, sobald weitere Daten und Studien vorlägen, so Scherer.

100. 000 Euro

Landrat Frank Scherer hatte zur Bewältigung der Pandemie unter anderem Mitarbeiter der Kommunalen Arbeitsförderung für die Kontaktnachverfolgung abgestellt. Das Bundesarbeitsamt will für diesen Einsatz abseits des Jobcenters jedoch nicht zahlen – es handelt sich um etwa 100. 000 Euro. Auch eine Intervention von CDU-Bundestagsabgeordneten Peter Weiß bei Arbeitsminister Hubertus Heil blieb erfolglos, berichtete Scherer. "Ich bin fassungslos", so der Landrat mit einem Kopfschütteln.