Er fasste mir an die Brüste und sagte: "Geile Ti**en!" – von dieser Erfahrung berichtet eine Instagram-Abonnentin auf dem Account "Catcallsofortenau". Erlebt habe sie das bei einer Fastnachtsveranstaltung – keiner habe ihr geholfen. Mila und Nadja, die Gründerinnen des Instagram-Accounts, "kreiden" die Belästigungs-Erfahrungen ihrer Abonnentinnen an. Foto: Schubert

Sicherheit: Sexuelle Belästigung wird angeprangert / Zwei Offenburgerinnen bieten Opfern eine Plattform

Ortenau - Ob verbal oder körperlich – sexualisierte Belästigung im öffentlichen Raum ist nicht nur ein Phänomen der Großstadt. Auch Frauen in der Ortenau erleben es. Für zwei Freundinnen aus Offenburg war das Maß voll, zusammen "kreiden" sie nun die Täter an.

"Er verfolgte mich, dann stand er nackt vor mir und masturbierte", "Sein Geschlecht hing aus der Hose und er filmte mich" oder "Er sagte: Geiler Arsch, zieh die Hose doch ganz aus" – dies ist eine Kostprobe der Nachrichten, die Mila und Nadja (Namen von der Redaktion geändert – siehe Info) über ihren Instagram-Account "Catcallsofortenau" erhalten.

"Catcalling", das bedeute so viel wie Belästigung oder sexualisierte Belästigung in der Öffentlichkeit, erklärt Nadja. Menschen, die Opfer dieser Art von Belästigung wurden, können sich seit November an die 24- und die 25-Jährige wenden.

Auf Instagram erhalten Mila und Nadja seither Nachrichten mit Belästigungserfahrung von Frauen aus dem ganzen Ortenaukreis. Mit ihrer Aktion wollen die beiden "der Gesellschaft die Augen öffnen und Opfern als anonyme Freundin eine virtuelle Schulter" bieten.

Erste Belästigungen oft schon mit 13 Jahren

Mit bunter Straßenkreide ziehen die jungen Frauen "bei Nacht und Nebel" los, um die Geschichten ihrer Instagram-Abonnenten in Innenstädten und Bahnhöfen der Region auf den Asphalt zu schreiben. Lahr, Friesenheim, Kehl, nicht nur dort waren die zwei Frauen Täter "ankreiden".

So nennen sie ihr Engagement. Eine komplette Ankreide-Aktion nimmt bis zu vier Stunden in Anspruch: Hinfahren, Zitat auf den Boden schreiben – schnell ein Foto – das dann neben den zig anderen Belästigungszitaten auf ihrem Account "Catcallsofortenau" gepostet wird. Ergänzend zum Foto wird immer eine Kopie der ursprünglichen Nachricht des Opfers gepostet – anonym selbstverständlich.

Wichtig für ihre Aktionen sei den jungen Frauen das Zweigleisige. Während man über Instagram riskiere, vor allem Menschen zu erreichen, die das Thema ohnehin interessiere, sollen Passanten beim Einkauf in der Innenstadt geradezu über die mit Kreide geschriebenen Zitate stolpern. Wichtig zu erwähnen sei, dass die beiden Offenburgerinnen keine Spezialistinnen seien: "Wir wissen nie, in welcher Verfassung sich die Person befindet, die uns geschrieben hat." Deshalb bieten die Frauen immer weiterführende Hilfe an.

Warum sie neben ihren Vollzeitjobs "ankreiden" gehen? Bei der Antwort ist kein Zögern zu spüren: Ein Jahrzehnt hätten beide – wie viele andere Frauen auch – Belästigungs-Erfahrungen in der Öffentlichkeit machen müssen. "Bei manchen Nachrichten, die wir bekommen, denke ich schon ›Die ist haarschaf davon gekommen‹", berichtet Nadja und Mila fügt hinzu: "Ich hab keinen Bock, das jetzt noch einmal ein Jahrzehnt mitzumachen und ich finde auch, dass die jungen Mädels, die neue Generation, das nicht mittragen sollen."

Auch Freunde erzählen nicht immer alles

Belästigungserfahrungen würden schon früh auf dem Schulweg, mit 12 oder 13 Jahren, beginnen. Das fiele ihnen auch bei ihrem Instagram-Account auf. Die Mädchen, die ihnen schreiben, seien oft sehr jung. "Oder auch Mädels, die von Erfahrungen berichten, die in diesem jungen Alter begonnen haben."

Viel ausgetauscht hätten sich die beiden über eigens erlebte Belästigungen, die auch über das sogenannte "Catcalling" hinaus gegangen seien. Innerliche Rebellion habe letztendlich, dazu geführt, die Instagram-Seite zu starten, berichtet Nadja. Was ihnen bei ihren Gesprächen aufgefallen sei, war, dass sie trotz ihrer engen Freundschaft, Belästigungs-Geschichten, für sich behalten hätten – aus Scham.

Und aus dem Gedanken heraus, man hätte selber in der Situation etwas falsch gemacht. "Das ist das Krasse, man hat sich unter den besten Freunden nicht zeitnah ausgetauscht, weil man immer noch denkt, man wäre selber schuld – und das sollte sich ändern", so Nadja weiter, "es sollte endlich aufhören, dass Täter geschützt werden und man sollte endlich mal hingehen und Opfer schützen." Nur weil Nadja etwa im Kleid durch die Stadt laufe, hieße das nicht, dass sie irgendjemandem durch ihr Outfit provozieren wolle, sie anzusprechen oder gar zu belästigen.

Vor Kurzem hätten sie auf ihrem Account über Fastnacht geredet: "Fastnacht ist super, aber nicht nur. Gerade wenn man an sexuelle Belästigung denkt. Dass man mehr flirtet und alle Alkohol trinken und hemmungsloser sind, ist gar nicht verwerflich, solange es auf Gegenseitigkeit beruht", fahren sie fort, "denn auch ein sexy Outfit ist kein Ja." Auf diese Instagram-Aktion hin hätten sie wieder mehr Erfahrungsberichte von ihren Followern erhalten.

Info

Aus mehreren Gründen wollen die Offenburgerinnen anonym bleiben, wie sie im Gespräch gegenüber unserer Zeitung erklären. Zum einen wollen sie sich vor eventuellem Hass im Internet schützen. Zum anderen soll ihre Instagram-Initiative im Mittelpunkt stehen und nicht sie als Personen. "Wir halten die Plattform am Leben, nicht mehr und nicht weniger. Jeder kann sich bei uns melden, ob Mann oder Frau, egal, wie lange die Geschichte her ist, wir haben ein offenes Ohr."