Ein psychiatrische Gutachter bescheinigte Yves R. großes Entwicklungspotenzial durch eine Psychotherapie. Foto: von Ditfurth

Prozess: Gutachter diagnostiziert bei Yves R. Persönlichkeitsstörung / Anklage sieht Geiselnahme als erwiesen

Offenburg - Die Staatsanwaltschaft hat am Dienstag für den "Oppenauer Waldläufer" Yves R. eine mehrjährige Haftstrafe gefordert – der Tatbestand der Geiselnahme sei erwiesen. Die Verteidigung sah das freilich anders und plädierte gar auf eine Bewährungsstrafe.

Kombinierte Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten

Der letzte Verhandlungstag im Fall Yves R. war thematisch zweigeteilt. Gehörte der Vormittag hauptsächlich dem Gutachten eines forensischen Psychiaters, so folgten am Nachmittag die Plädoyers.

Der Gutachter stellte für Yves R. zunächst die Diagnose der "kombinierten Persönlichkeitsstörung". Seine Verhaltensmuster wichen erheblich von gesellschaftlichen Erwartungen ab, konstatierte der Experte. Beim Angeklagten falle die Störung allerdings moderat aus, immerhin sei sie aber so ausgeprägt, dass dessen Verhalten in vielen Situation unangepasst oder unangebracht sei.

Das mache ihn jedoch nicht schuldunfähig, so die Einschätzung des Tübinger Gutachters. Denn eine "kombinierte Persönlichkeitsstörung" alleine erfülle nicht die juristischen Anforderungen für eine Schuldunfähigkeit. Daher sei R. bei der Entwaffnung der vier Beamten am 12. Juli voll schuldfähig gewesen.

Anders sehe es bei seiner Festnahme am 17. Juli aus, damals hatte er einen SEK-Beamten mit einem Beil verletzt. "Herr R. War fünf Tage alleine im Wald auf der Flucht", erklärt der Psychiater. Er habe unter Hunger, Durst und Schlafmangel gelitten – dann kam der Beschuss mit dem Elektroschocker.

Beim Schlag mit dem Beil habe R. im Affekt gehandelt, daher sei hier eine Verminderung der Steuerungsfähigkeit festzustellen. Die Voraussetzungen für eine Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik sah der Experte nicht gegeben. Aus seiner Sicht habe der Angeklagte ein großes Potenzial, seine Situation durch eine ambulante Psychotherapie zu verbessern. Hilfe müsse R. dafür aber auch annehmen wollen.

Die Vertreterin der Staatsanwaltschaft sah im wesentlichen den Sachverhalt, wie in der Anklage formuliert, bestätigt. Yves R. Habe am 12. Juli mit einer täuschend echt aussehenden Schreckschusswaffe zunächst zwei Beamte in der Oppenauer Gartenhütte, später die zwei Beamten außerhalb der Hütte, zum Ablegen ihrer Dienstpistolen gezwungen, in dem er mit dieser fortwährend auf einen der Polizisten gezielt habe.

"Der Sachverhalt erfüllt aus Sicht der Staatsanwaltschaft den Tatbestand der Geiselnahme", erklärte die Staatsanwältin. Unter anderem weil es sich jedoch nicht um eine typische Form handele, liege nur ein minderschwerer Fall vor.

Allerdings sei sowohl bei der Polizeikontrolle als auch bei seiner Verhaftung die "Stufe zur Eskalation vom Angeklagten überschritten" worden, so die Staatsanwältin. Sie plädierte für eine kombinierte Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten.

Seine Perspektive sei gut

Die beiden Verteidiger des Angeklagten kamen zu einem ganz anderen Schluss als die Staatsanwaltschaft. Es liege keine Geiselnahme vor, viel mehr ein Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in einem besonders schweren Fall – dementsprechend ergebe sich ein ganz anderes Strafmaß.

Von manchen der eingesetzten Polizeikräfte seien zudem "vermeidbare Fehler" begangen worden. So zum Beispiel bei der Situation in der Hütte, in der Yves R. verweigert worden sei mit einem anderen Beamten zu sprechen, mit dem er sich besser verstanden habe.

Ihr Mandant sei völlig unverhofft in Situation geschlittert, die schwere Vorstrafe (Schwere Körperverletzung) liege viele Jahre zurück, so seine Verteidigerin. Er sei lediglich "auf der Suche nach einer Nische, die Raum für seine Persönlichkeit bietet".

Seine Perspektive sei gut, er habe aus dem Gefängnis heraus eine neue Beziehung begonnen und wolle eine ambulante Psychotherapie in Angriff nehmen. Die Verteidigung plädierte daher auf ein Jahr und sechs Monate auf Bewährung.

Das letzte Wort schließlich gehörte Yves R. selbst. "Ich schließe mich nur an. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen", so seine knappe Antwort.

Noch diese Woche wird das Urteil im Prozess um den "Oppenauer Waldläufer" Yves R. erwartet. Dann versammelt sich das Landgericht Offenburg gegen 14 Uhr zum vorerst letzten Mal in der zum Gerichtssaal umfunktionierten Reithalle.