"Wir stellen aktuell viel Personal ein", sagt Evelyn Bressau, Leiterin des Ortenauer Gesundheitsamts. Foto: Privat

Gesundheit: Liste der meldepflichtigen Krankheiten im Ortenaukreis ist lang

Ortenau - Alles Corona? Bei Weitem nicht! Die Liste der meldepflichtigen Krankheiten, mit der sich das Gesundheitsamt Tag für Tag befasst, reicht von A wie Acetinobakter-Infektion bis Z wie Zikavirus-Erkrankung. Dazwischen: einige hochgefährliche Erreger.

Nachrichten werden von Meldungen über Corona dominiert 

Wie hoch sind die Infektionszahlen, welche Hygienemaßnahmen sinnvoll, wann kommt der Impfstoff? Die Nachrichten werden derzeit dominiert von Corona-Meldungen. Angesichts erneut steigender Infektionszahlen sicher nicht zu Unrecht. Doch sollte man beim ganzen Covid-19-Bohei nicht vergessen, dass noch mehr Viren und Bakterien lauern – auch im Ortenaukreis.

"Wir sehen die Gefahr, dass andere, vor allem mindestens genauso gefährliche Erkrankungen wie Masern, etwas aus dem Blickfeld geraten", sagt die Leiterin des Gesundheitsamts, Evelyn Bressau, auf Nachfrage der Lahrer Zeitung. Wohlgemerkt: aus dem öffentlichen Blickfeld.

Bressaus Behörde macht derzeit einen Spagat, zwischen Corona auf der einen und allen anderen Erregern auf der anderen Seite. "Dazu haben wir ein eigenständiges Team gebildet, das nahezu ausschließlich SARS-CoV-2-Fälle und damit einhergehende Anfragen bearbeitet. Andere Kollegen arbeiten in den zuvor schon existierenden Abteilungen, zum Beispiel in der Tuberkulosefürsorge, weiter."

Bis August übermittelte der Ortenaukreis fast 3300 Krankheitsfälle an das Landesgesundheitsamt. Im selben Zeitraum des vergangenen Jahres waren es nur etwas mehr als 2000.

Rückgang von Viren kann vielfältige Ursachen haben 

Dieser Anstieg, das zeigt der Blick auf die Statistik, ist hauptsächlich dem neuartigen Coronavirus geschuldet. Doch gibt es auch bei anderen Erregern Zunahmen, etwa bei FSME. Wurden in den ersten acht Monaten 2019 acht Fälle von Frühsommer-Meningoenzephalitis aktenkundig, waren es bis August 2020 schon 24. Dagegen hat die Zahl der Rotavirus- (2020: 35; 2019: 131) und Hepatitis-B-Fälle (2020: 11; 2019: 20) abgenommen.

Solche Veränderungen haben "meist vielschichtige Gründe", sagt Bressau. "Bei FSME spielen zum Beispiel Witterungsverhältnisse mit besseren Bedingungen für Zecken eine entscheidende Rolle." Der Rückgang des Rotavirus’ – die weltweit häufigste Ursache für schwere Durchfallerkrankungen bei Kindern und Säuglingen – sowie Hepatitis B könnte indes indirekt mit Corona zu tun haben, vermutet die Behördenleiterin.

Der Lockdown im Frühjahr habe zu weniger Sozial- und damit auch zu weniger Sexualkontakten geführt, was die Hepatitis-B-Übertragung gebremst haben dürfte. Die Schließung von Kitas und Schulen hätten derweil das Rotavirus eingedämmt. Auch Ausbrüche von Masern, die Anfang des Jahres in der Ortenau grassierten, habe es "während und nach dem Lockdown" nicht mehr gegeben, berichtet Bressau. In diesem Zusammenhang weist die Chefin des Gesundheitsamts auch auf das mittlerweile in Kraft getretene Masernschutzgesetz hin, das einen Impfschutz für Kita-Kinder vorschreibt.

Kontaktverfolgung auch am Wochenende

Welche Maßnahmen die Mitarbeiter des Gesundheitsamts bei Auftreten einer meldepflichtigen Krankheit ergreifen, sei sehr unterschiedlich und hänge vor allem von der Gefahr ab, die vom jeweiligen Erreger ausgeht, sagt Bressau: "Beispielsweise besteht durch eine Meningokokken-Erkrankung für Kinder und Jugendliche ein relativ hohes Sterberisiko, weshalb wir hier sogar schon im Verdachtsfall und auch am Wochenende im Rahmen des Bereitschaftsdiensts die Arbeit aufnehmen."

Dazu würden, wenn notwendig, Kontaktpersonen ermittelt oder Gemeinschaftseinrichtungen wie Schulen und Kitas informiert, um eine weitere Ausbreitung zu verhindern. Meningokokken sind Bakterien, die beim Menschen den Nasen-Rachen-Raum besiedeln und schwere Krankheiten wie Hirnhautentzündung und Blutvergiftungen auslösen können. Im Ortenaukreis trat der Erreger zuletzt im Jahr 2017 auf. Drei Fälle wurden damals gemeldet.

Aufgrund des Mehraufwands durch die Corona-Pandemie und der Tatsache, dass andere Aufgaben des Gesundheitsamts auch während der Pandeme "nicht verschwunden sind, stellen wir aktuell viel Personal ein", berichtet Bressau. Denn: "Das Gesundheitsamt muss seinem gesetzlichen Auftrag – der Verhinderung der Ausbreitung von Infektionskrankheiten – selbstverständlich in allen Bereichen weiter nachkommen."

Unterm Strich lässt die oberste Gesundheitswächterin des Ortenaukreises indes keinen Zweifel daran aufkommen, wo derzeit der Schwerpunkt ihrer Behörde liegt. Denn: Egal, wie ansteckend einzelne Krankheiten sind oder welches Risikopotenzial sie bergen – so wie die eine fordert das Gesundheitsamt derzeit keine, macht Bressau deutlich: "Grund zur Besorgnis gibt aktuell hauptsächlich Sars-Cov-2."

Die Dunkelziffer bei vielen Krankheiten ist hoch

Eine detaillierte Übersicht über Infektionskrankheiten und ihr Vorkommen in Deutschland gibt es auf einer speziellen Serviceseite des Robert-Koch-Instituts (survstat.rki.de). Klar ist aber: Die Listen können noch so penibel geführt werden, sie werden nie exakte Zahlen enthalten – Stichwort Dunkelziffer.

Nicht alle Kranken werden erfasst, sei es, weil sie nicht zum Arzt gehen, weil sie falsch diagnostiziert werden oder sie schlicht nicht wissen, dass sie krank sind, etwa weil sie nur schwache Symptome haben. So gibt es laut Evelyn Bressau vom Ortenauer Gesundheitsamt zum Beispiel bei der Zahl der gemeldeten Norovirus-Fälle stets Schwan-kungen. "Da bei Durchfallerkrankungen nicht immer auf Norovirus getestet wird", sei "von einer gewissen Dunkelziffer auszugehen".