Für Menschen mit Angstgefühlen, kann die Corona-Krise noch bedrückender wirken. Foto: Gabbert Foto: Lahrer Zeitung

Corona: Psychosomatik-Chef des Ortenau-Klinikums spricht über Auswirkungen der Krise auf die Menschen

Offenburg. Das Coronavirus hat das Leben vieler Ortenauer durcheinandergewirbelt. Unsere Zeitung hat sich mit Andreas Joos, Leiter der Abteilung für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Ortenau-Klinikum, über Verunsicherung, psychische Gesundheit und die langfristigen Folgen der Corona-Krise unterhalten.

Herr Joos, was macht die Corona-Krise mit uns?

Die Covid-19-Pandemie stellt für viele Menschen zahlreiche und sehr vielfältige Herausforderungen dar. In der westlichen Welt, insbesondere in Deutschland, waren wir in den letzten Jahrzehnten gewohnt, in relativ großer Sicherheit zu leben. Große Ausbrüche mit infektiösen Erkrankungen waren kaum noch bekannt oder im Alltagsbewusstsein. Bezüglich des aktuellen Virus gab es zu Anfang ganz viele Unbekannte, was vielfältige Ängste auslöste. Aufgrund der notwendigen einschneidenden gesellschaftlichen Maßnahmen mit Hygiene-Regeln, Lockdown und so weiter brachte dies für die Menschen weitere massive Unsicherheiten. Zusätzlich kommt es in vielen Gesellschaftsschichten zu ökonomischen beziehungsweise wirtschaftlichen Problemen.

Was ist neu an der aktuellen Krise?

Das "Social Distancing" stellt ein bisher kaum bekanntes Phänomen und eine extreme Belastung für die Menschen dar. Schließlich sind wir aufgrund der sozialen Medien fast konstant mit dem Thema beschäftigt, wobei negative Nachrichten im Vordergrund stehen, so dass Ängste verstärkt werden können. Eine solche Informationsflut oder "Informationspandemie" kannte man bei anderen Krisen noch vor wenigen Jahrzehnten nicht.

Haben sich die Krankheits-

bilder verändert?                                          Zunächst sei betont, dass viele Patienten mit psychischen Erkrankungen oder psychischen Vulnerabilitäten durch die beschriebenen Veränderungen zusätzlich belastet sind, zum Beispiel Depressionen oder Ängste verstärkt werden können. Gerade durch mangelnde Kontakte und Einsamkeit werden Menschen weiter belastet. Eine Studie konnte gerade während des Lockdowns deutlich erhöhte Zahlen hinsichtlich Depressionen und Ängsten nachweisen. Auch Schlafstörungen scheinen häufiger zu sein. Ich nehme an, dass hypochondrische Beschwerden tendenziell zunehmen, wobei es diesbezüglich noch keine guten Daten gibt. Ähnlich wie bei der früheren HIV-Phobie gibt es wahrscheinlich Menschen mit einer "Coronaphobie". Schließlich wissen wir mittlerweile, dass neurologische Krankheitsbilder direkt durch die Viruserkrankung bedingt sein können und wahrscheinlich – wenn auch selten – psychische Symptome.

Spielt das Alter eine Rolle?

Die Altersgruppen sind sehr unterschiedlich betroffen. Für Kinder und Jugendliche ist sicher der Umgang und Kontakt mit Gleichaltrigen ganz essenziell – zumal wir heute oft nur noch kleinere Familienverbände kennen. Ältere Menschen sind bereits oft schon sozial isoliert, was sich massiv verschärft. Hinzu kommt, dass ältere Menschen mit dementiellen Erkrankungen diese Situationen nicht nachvollziehen können und verstehen. Schließlich sind Menschen im mittleren Erwachsenenalter oft sehr durch ökonomische Sorgen, Homeoffice und dem enormen Stress des "Home-Schooling" massiv belastet, sodass zum Beispiel schwelende Familienkonflikte sich verschärfen können.

Hat die Pandemie den Alltag auf der Psychosomatik verändert?

Ja, sehr. Aufgrund der Vorgaben von Bund und Land, alle nicht unbedingt notwendigen Behandlungen vorerst einzustellen, wurde die psychosomatische Station in Offenburg vorübergehend geschlossen. Meine Abteilung hat daraufhin sehr zeitnah einen psychologischen Unterstützungsdienst für die Beschäftigten des Ortenau-Klinikums aufgebaut, die in der Behandlung von Covid-19 Patienten besonders beansprucht waren. Mit sehr belasteten Patienten haben wir telefonisch Kontakt gehalten oder diese unter entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen direkt betreut. Seit Juli haben wir in enger Absprache mit der Krankenhaushygiene unsere Abteilung in Offenburg wieder geöffnet und können im Oktober in Lahr wieder behandeln. Darüber sind wir sehr froh und Patientinnen und Patienten nehmen dies sehr dankbar an. Die Situation am Klinikum ist exemplarisch für viele andere psychosomatische Kliniken in Deutschland, mit denen ich im engen Kontakt bin.

Was glauben Sie, wie könnte sich all das langfristig auf die Psyche auswirken?

Es gibt vielfältige und komplexe Folgen der Pandemie, die letztlich alle noch nicht absehbar sind, zum Beispiel wie lange und ausgeprägt wirtschaftliche und soziale Kollateralschäden sind. Diese sind außerdem miteinander verflochten: Wirtschaftliche Probleme wirken sich auf das soziale Leben, beispielsweise auf die Familie aus und umgekehrt. Außerdem ist nicht bekannt, inwieweit es sogenannte Mutationen des Virus gibt, die die Wirkung abschwächen oder auch verstärken.

Wie äußert sich das?

Man sieht schon jetzt, dass die Menschen ganz unterschiedlich reagieren; manche verleugnen die Situation, während andere überängstlich reagieren. Viele Menschen zeigten sich sehr erleichtert, als die ganz strengen Maßnahmen zurückgenommen wurden. Idealerweise wurden auch Arbeitsmöglichkeiten wie Homeoffice zukünftig vermehrt genutzt. Letztlich stecken wir aber noch zu sehr in der Pandemie, um Prognosen abgeben zu können. Aus meiner Erfahrung ist der Mensch jedoch relativ "hart gesotten" beziehungsweise robust, und Verhaltensweisen ändern sich – zumindest auf grundsätzliche Art – nicht sehr schnell.              Die Fragen stellte Marco Armbruster. 

Die Psychosomatik in Lahr musste unter anderem wegen der Pandemie geschlossen bleiben. Zum Oktober soll die Arbeit dort wieder starten. Andreas Joos leitet die Abteilung seit Dezember. Zuvor war er lang an der Uni-Klinik Freiburg tätig und leitete die Sektion Psychosomatischer Konsil- und Liaisondienst sowie an den Kliniken Schmieder die Abteilung Psychotherapeutische Neurologie. Er ist nicht nur Psychosomatiker und Psychotherapeut sondern auch Psychiater und Neurologe.