Im gemeindeeignen Hofbauernhof, dem heutigen Mima, waren zum Kriegsende Familien aus Polen, der Ukraine und Slowenien untergebracht.Repro: Haas Foto: Schwarzwälder Bote

Reihe: Paul Schuler erinnert sich an seine Kindheit in den Kriegsjahren / Gefangene im heutigen Mima

Als Bub hat Paul Schuler schon recht genau beobachtet, was in den Baracken neben den Möbelwerken und im Hofbauernhof ereignete. "Ein trauriges Los war den Inhaftierten des Wolfacher Konzentrationslagers beschieden", erinnert er sich.

Oberwolfach. "Unter Aufsicht von Militärposten mussten diese Männer Straßen bauen. Niemand durfte ihnen Essbares zukommen lassen, ohne sein eigenes Leben zu riskieren. Bei Nacht und Nebel, so hörte man sagen, seien die Toten aus dem Lager geschafft worden, damit die Bevölkerung meinte, es befände sich hier wirklich nur eine Erziehungsanstalt", erinnert sich Paul Schuler zurück. "Gott sei Dank wurden diese Armen dann von den feindlichen Truppen erlöst.

Gefangene feindliche Soldaten, die im Hofbauernhof in Oberwolfach einquartiert waren, hatten es etwas besser. Es waren Polen, Ukrainer und Slowenen. Sie durften sich wenigstens im Dorf bewegen. Ich erinnere mich noch gut an Iwan. Der war froh und glücklich, wenn wir ihm wenigstens einen unreifen grünen Apfel gaben. Selbst einen Apfel auflesen war diesen armen Tröpfen verboten. Sie liefen durch unsere damals noch ungeteerten Straßen und schauten die Leute mit ihren bettelnden traurigen großen Augen an. Wir wussten, wann sie Ausgang hatten.

Kranke werden einfach erschossen

Mutter sagte, dass wir für die Armen etwas zusammentragen sollten. Es sind die dankbarsten Abnehmer gewesen, die ich je in meinem Leben kennengelernt habe.

Besonders traurig war es, wenn einer von den Gefangenen krank wurde. Weil ich immer meine Nase vorne dran hatte, bekam ich mit, wie ein deutscher Offizier sagte: ›Hier wird kein Krankenlager aufgemacht!‹ Noch am gleichen Abend wurde dieser Gefangene, wie man hörte, seiner Krankheit durch Erschießen entledigt. So jedenfalls hörte man es munkeln, und ich habe den kranken Mann auch nie mehr gesehen.

Es gilt auch noch eine ukrainische Familie mit vier Kindern zu erwähnen. Ein Sohn davon hieß Stanislaus. Er war ungefähr zehn Jahre alt und taubstumm. Doch ohne größere Schwierigkeiten hatten wir in der Zeichensprache einen Verständigungsmodus gefunden. Wie wir hat auch der Stanislaus gern im nahegelegenen Hofgumpen gebadet und herumgeplanscht und sogar schwimmen gelernt. Sein Mutter war immerzu schwarz gekleidet und machte einen traurigen Eindruck.

Franzosen und Marokkaner in der Nähe

Mitbekommen habe ich auch die Ermordung eines flüchtigen Deutschen (Konrad Wagner). Dies geschah einen Tag vor dem Einrücken der Franzosen. In der Früh um drei Uhr wurde er auf dem Oberwolfacher Dorffriedhof hingerichtet. Sein Grab musste er zuvor noch selbst schaufeln.

An diesem Vormittag hatte ich Ministrantendienst. Gegen 7.30 Uhr gab es eine gewaltige Detonation. Ich erfuhr, dass die Hofbrücke in die Luft gesprengt wurde. Das war die letzte Tat der deutschen Soldaten, die hiermit unser Dorf verließen.

Die darauf folgende Nacht war mit Unruhe erfüllt. Man wusste, dass die Franzosen und Marokkaner schon ganz in der Nähe waren. Gegen 1.30 Uhr hörte man Pferdegetrappel den Grünachweg herunter, denn drüben auf der Hauptstraße hatte die deutsche SS unsinnigerweise drei große Kastanienbäume in die Straße gefällt. Also gingen die Stoßtrupps einfach über die obere Grünachbrücke und das Problem war gelöst.

Diese und die nachfolgenden Nächte war eine Zeit der Einbrüche und Vergewaltigungen. Zum Glück war in unserer Nähe ein Offizierslager. Diese hatten doch noch bessere Manieren. Zeitweise haben die Franzosen in unserer Scheune ihr Quartier aufgeschlagen. Auf Dreikönigwirts Wiesen und Äcker hinter unserem Haus (heute Mühlengrün) sind Reit- und Springübungen abgehalten worden.

Paul Schuler, kürzlich in seiner Wahlheimat München 85 Jahre alt geworden, erlebte die Kriegs- und Nachkriegszeit auf dem Grünach in einer kinderreichen Familie besonders intensiv. Er hat sich in den 70er- Jahren in der Fremde hingesetzt und seine Kindheits- und Jugenderinnerungen auch im Blick auf das dörfliche Geschehen mit viel Herzblut zu Papier gebracht. In den nachfolgenden Teilen dieser losen Reihe wird ausführlich daraus zitiert.