Der Orschweierer Pflege-Experte Hermann Brandenburg sieht die Politik in Sachen Pflege unter Zugzwang. Foto: Decoux-Kone Foto: Lahrer Zeitung

Pflege: Themenabend der SPD Kippenheim-Mahlberg offenbart große Missstände / "Völlig alleingelassen"

Rund zwei Dutzend Zuhörer kamen am Mittwoch zu einer Veranstaltung der SPD Kippenheim-Mahlberg mit dem Titel "Alter – Pflege – gutes Leben". Neben grundsätzlichen Fragen stand auch die örtliche Pflegesituation im Fokus.

Mahlberg. Hermann Brandenburg, der in Orschweier lebt und einen Lehrstuhl für Gerontologische Pflege an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar hat, übernahm den ersten Part. Sein Credo: Angesichts einer beängstigenden demografischer Entwicklung sei die Politik unter absolutem Zugzwang. Noch würden zwei Millionen der Pflegebedürftigen (72 Prozent) zu Hause versorgt. Doch: Für 2030 werde schon mit 3,5 Millionen Hilfebedürftigen gerechnet. Deutschland hinke völlig hinterher, nicht zuletzt bei der Bezahlung von Pflegekräften. Dem müsse man mit besseren Tariflöhnen und beruflicher Qualifizierung begegnen.

Die Emmendinger SPD- Landtagsabgeordnete Sabine Wölfle vermisste eine umfassende Unterstützung von pflegenden Familienangehörigen. Die leisteten einen großen Teil der Betreuungsarbeit kostenlos zu Hause. Wölfle: "Wir müssen nicht nur die stationäre Pflege ausbauen, sondern auch mehr Plätze für alternative Tages- und Kurzzeitpflege zu schaffen." Personalmangel und Arbeitsbedingungen im Pflegebereich seien unerträglich.

Johannes Baur, Senioren- und Inklusionsbeauftragter der Stadt Emmendingen, berichtete von dortigen kommunalen Bemühungen, etwa einer gezielten Befragung älterer Bürger, die es bereits vor drei Jahren gegeben habe. Ergebnis: "Dem Rathaus ist dank der Bürgerbeteiligung samt Projektgruppe klarer geworden, wie bessere Rahmenbedingungen für ältere Bürger geschaffen werden können."

Deutliche Worte aus den Zuhörerreihen

Aus der Zuhörerschaft kamen anschließend deutliche Kommentare. Da wurde der schon zuvor beklagte "Pflegedschungel" bei Ämtern und Behörden aufgegriffen: "Mit einer kompetenten Pflege-Beratung wurde ich völlig allein gelassen." Oder: "Niemand konnte mir erklären, wie ich meine Mutter zu Hause pflegen kann, ohne meinen Beruf aufgeben zu müssen." Wölfle als Sozialexpertin kennt das: "Es klemmt sehr." Das derzeitige Verrechnungssystem sei unsäglich kompliziert. Weitere Anregung aus dem Publikum an die Kommunen: "Schafft kleinere Wohnräume für Ältere." Viele würden freiwillig zu groß gewordene Häuser oder Wohnungen verlassen. Doch wohin dann? Wer hilft beim Umzug? Bleibt deshalb nur der letzte Gang ins Pflegeheim? Und in welches? Überall gebe es lähmend lange Wartelisten. "Da muss zügig gestorben werden, damit wer nachrücken kann", stellte ein Zuhörer sarkastisch fest.

Die beiden Bürgermeister Dietmar Benz (Mahlberg) und Matthias Gutbrod (Kippenheim) berichteten über die Pflege-Situation vor Ort. Benz zählte die bisherigen Bemühungen seiner Stadt akribisch auf, von einem per Vorzugsbodenpreis subventioniertem privaten Pflegezentrum, einem längst laufenden Seniorentreff bis zur ehrenamtlichen Nachbarschaftshilfe, die es in Kippenheim und Mahlberg seit 30 Jahren gibt. Das reiche nicht mehr, räumte Benz ein. Er habe, verkündete er überraschend, schon einen Plan für weitere kommunalpolitische Maßnahmen in der Schublade, müsse jedoch erst noch eine Mehrheit im Gemeinderat davon überzeugen. Denn das werde kostenintensiv. Klar sei, so Benz, dass das stationäre Pflegeangebot auch in Mahlberg dringend ausgebaut werden müsse. 65 vorhandene Pflegeplätze seien bei Weitem zu wenig. Das könne seine kleine Kommune allerdings ohne finanzielle Unterstützung "von oben" nicht alleine schultern: "Die Pflegekosten bloß weiter in die Gemeinden durchzureichen, geht nicht." Auch Gutbrod sieht in seiner Gemeinde trotz Wohnanlage und Pflegeheim mit 54 Plätzen "alles ausgereizt". Man müsse frühzeitig kleinere Wohnungen für Senioren finden, um den Pflegeheim-Stau wenigstens zu verzögern. Ein gutes Leben in der eigenen Gemeinde, darüber waren sich die Bürgermeistern einig, geht nur, wenn ältere Menschen so lange wie möglich mit besserer Betreuung zu Hause leben können.