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Sucht: Drogenhilfe Lahr verzeichnete 2019 so viele Hilfesuchende wie noch nie, Telefonleitungen in der Krise teils überlastet

Lahr - Die Drogenhilfe in Lahr ist auch während der Krise gefordert. Trotz Kontaktsperre können Suchtkranke für Ersatzmittel täglich in die Praxis kommen. Beratungen fanden zuletzt nur übers Telefon statt, waren aber stark gefragt.

Mehr Arbeit wegen der Krise 

"Durch die aktuelle Krise haben wir mehr Arbeit und stellen uns darauf ein, dass das auch erst einmal so bleiben wird. Wir konnten in den vergangenen Wochen die Beratung nur übers Telefon machen, dennoch hatten wir gleichbleibend viele Anfragen. In den sechs bis sieben Wochen hatten wir genauso viele Neuaufnahmen wie im Jahr davor", schildert Leiter Hermann Gilsbach die momentane Lage in der Drogenberatungsstelle.

Sorge vor Ansteckung spürbar

Das Haus in der Jammstraße, in das die fünf Mitarbeiter im Mai 2016 gezogen sind, beherbergt seit zwei Jahren auch eine eigene Praxis für Suchtmedizin. Dort werden knapp 80 von Opioiden wie Heroin oder Kokain abhängige Suchtkranke mit Ersatzmitteln versorgt (siehe Info). Bis zu 40 davon kommen täglich in die Praxis, die anderen konnten auf unterschiedliche Tage in der Woche verteilt werden. Dies sei zu Beginn der Kontaktbeschränkungen eine Herausforderung gewesen, so Gilsbach.

Suchtkranke zählen ebenfalls zur Risikogruppe

Auch, weil die Suchtkranken zur Risikogruppe gehören. "Die Sorge unserer Klienten vor einer Ansteckung haben wir schon gespürt. Wir haben in den letzten Wochen viele psychische und auch gesundheitliche Krisen miterlebt", erzählt Stephan Lindner, Berater und stellvertretender Leiter.

Die Zahl der Hilfesuchenden sei im vergangen Jahr mit 549 so hoch wie nie zuvor gewesen und steige voraussichtlich weiter an. "Zunächst hatten wir Sorge, dass die Telefonberatung, die wir seit dem 17. März anbieten, nicht gut angenommen wird, aber das Gegenteil ist der Fall. Wir mussten sogar teilweise auf Handys ausweichen, weil die Leitungen überlastet waren. Es melden sich auch mehr Angehörige, die nun, vielleicht weil sie öfter zuhause sind, erst realisieren, dass ihr Partner oder das Kind ein Suchtproblem hat", so Gilsbach.

Schwerpunkt der Beratung liegt auf illegalen Drogen 

Die beiden Berater seien zuletzt vermehrt wegen Computer- und Mediensucht kontaktiert worden. Der Schwerpunkt der Suchtberatungsstelle liege aber vor allem bei illegalen Suchtmitteln. Cannabis sei aufgrund der Diskussionen um die Legalisierung ein großes Thema, vor allem bei Jugendlichen. Viele von ihnen wüssten gar nicht, dass der Konsum generell noch verboten und nur zu medizinischen Zwecken erlaubt ist.

Abhängige aus allen Gesellschaftsschichten

2019 gaben 57 der insgesamt 549 Klienten, die Hilfe in der Lahrer Jammstraße suchten, als Hauptdroge Opioide an. 21 Prozent der Personen nannten Cannabis und neun Prozent Alkohol als Suchtmittel. Dass alle Abhängigen keine Arbeit hätten und obdachlos seien, wie es in der Gesellschaft verbreitete Stereotype seien, können Gilsbach und Lindner nicht bestätigen. "Die Hälfte der Patienten, die zur Substitution in unsere Praxis kommen, haben eine Arbeitsstelle und somit ein festes Einkommen. Mit unserem Arbeitsprojekt "Do IT 2019" konnten wir den meisten der sechs Lahrer Teilnehmer eine Arbeitsstelle verschaffen." Eine feste Tagesstruktur sei generell wichtig, um aus der Abhängigkeit wieder herauszufinden. Viele ihrer Klienten seien aber auch bei Leiharbeitern beschäftigt, was aktuell ein großes Problem darstelle.

Viele Probleme bestehen schon seit Jahren 

Aufgrund von Corona sei auch die Nachfrage bei der Schulden- und Sozialberatung gestiegen. Gilsbach relativiert dennoch auf die Frage, ob die momentane Situation ein Anstoß in die Sucht sein kann: "Der Beratungsbedarf ist aktuell zwar hoch, aber hinter jeder Sucht stecken auch andere soziale oder familiäre Probleme, die manchmal schon seit Jahren bestehen", so der Leiter.

Dennoch sei es naheliegend, dass die Menschen durch die Krise schneller rückfällig werden könnten. Die Dunkelziffer der Suchtkranken, die allein zuhause ihrer Abhängigkeit nachgehen, sei vermutlich hoch, das zeige sich aber erst im Lauf der Zeit, ob mehr Menschen bei der persönlichen Beratung Hilfe suchen.

Info: Substitution

Suchtkranken, die von Opioiden wie Heroin abhängig sind, kann in der Praxis im Erdgeschoss der Beratungsstelle ein Ersatzmittel (Substitut) gespritzt werden, das nicht so schnell abhängig macht. So soll eine schrittweise Entwöhnung der Drogen gelingen.