Nessi Tausendschön und ihre "Wunderbare Welt der Amnesie"

Lahr. Als Kind hat sie Blut geleckt. Nur die Eltern sind schuld, dass Nessi Tausendschön (Annette Maria Marx), statt Medizin zu studieren den Weg ins Kabarett gehen musste. In "der wunderbaren Welt der Amnesie", Freitagabend im gut besuchten Schlachthof, ist aber – rhetorisch betrachtet – ordentlich Blut geflossen.

Was Vergessen für Vorteile hat, beschreibt sie so: "Originalität ist die Kunst sich Bonmots zu merken, aber zu vergessen von wem sie stammen." Ihre Parodie von Max Raabe ("Kein Schwein ruft mich an") war eine gelungene Gratwanderung zwischen Peinlichkeit und Persiflage. Das hätte den Gästen eigentlich wehtun müssen – wenn die Sängerin hier nicht zum Schreien komisch gewesen wäre.

Der Sänger Raabe lag da, um im Bild der Medizin zu bleiben, auf dem Seziertisch – mausetot. Bei der Parodie setzte sie das Skalpell sehr präzise bei den Stimmbändern der Vorlage an. Soll heißen: Annette Maria Marx kann richtig gut singen. Kongenial war die Begleitung durch William Mackenzie (Gitarre). Das Zusammenspiel Gitarre samt Bottleneck und Marx‘ Virtuosität, eine Säge mittels Geigenbogen zum Singen zu bringen, war so schaurig wie es die Kombination vermuten lässt.

Nessi Tausendschön ist, wenn es nottut, schrill oder quietschig, drückt im nächsten Moment auf die Tränendrüse und balanciert mit der Stimme über alle Untiefen von Parodie und Humor. Sie gräbt anderen eine Grube und sieht – betont mäßig – interessiert zu, wie der ganze Saal da hineinstolpert. "Was ich mache, ist ein einziger Schrei nach Liebe." Wiederum die Schuld der Eltern: Ihr Kuscheltier sei ein Holzhase gewesen. Mit der Folge, dass sie keine andere Wahl hatte, als eine "Kaspeuse" werden zu müssen. Die sorge nur aus Not für die Belustigung des gelangweilten Publikums. Aber: "Ich habe keinen Bock, mich für Sie zu echauffieren."

Ihre Witze haben also in der Regel eine überraschende Wendung. Sie kippt von einem Augenblick zum anderen von der gut gemimten "Wutbürgerin" zur Heulsuse um. Für die erstgenannte Spezies hatte sie sicher die einzig sinnvolle Verwendung parat. Man sollte den "Wutburger" neben anderem Fastfood künftig an der Frittenbude um die Ecke kaufen können. Was dann damit geschieht, ließ sie wiederum weg.

Der Mann fürs Leben sollte schwarze Haare haben, wenn er inzwischen eine Glatze hat, sollte er sich aber an die Farbe der Haare erinnern können. Eine andere Bedingung lautete, dass er alle Glieder haben sollte. "Die Mutter sollte tot sein." Das komplexe Verhältnis Schwiegertöchter zu -müttern musste bei dem Bonmot nicht weiter erörtert werden. Humor kann sein, im entscheidenden Moment den Mund zu halten. Eine andere Balance gelang ihr beim Auftritt mit beinahe ausgestorbenen Wörtern.