Lahr/Ellwangen - Vor der Ellwanger Schwurgerichtskammer wird der Sechsfachmord von Rot am See verhandelt. Angeklagt ist der 27-jährige Adrian S., der lange Jahre in Lahr lebte. Wer ist dieser Mann? Der Versuch einer Näherung, nach zwei langen Prozesstagen. Zeugen der Tat und Kenner der Familie tragen mit ihren Aussagen ein Bild des jungen Mannes zusammen, das diesen als eigenwilligen Sonderling zeichnet.

 Seine Jugend: Zur Welt kommt Adrian S. vor 27 Jahren in Rothenburg ob der Tauber, er wächst in Rot am See auf, woher sein Vater stammt. Es ist der einzige Sohn der Eltern, die Mutter hat Zwillinge aus einer ersten Ehe, die gut zehn Jahre älter sind als Adrian. Der Vater betreibt in Rot am See eine Gaststätte, in der später die Bluttat mit sechs Toten geschieht. Die Mutter zieht nach Lahr, als Adrian im Kindergartenalter ist. Hintergrund des Umzugs soll der Wunsch der Mutter gewesen sein, sich am Ortenau-Klinikum zur Hebamme ausbilden zu lassen. Die Ehe läuft weiter, allerdings räumlich getrennt. "Eine Fernbeziehung. Das war für alle Seiten so okay", gibt eine Zeugin aus dem Umfeld der Familie vor Richter Gerhard Ilg zu Protokoll. Nur alle paar Monate habe es persönliche Kontakte gegeben.  Die Schulzeit: Adrian besucht in Lahr Kindergarten und Grundschule. In dieser Zeit leidet er unter urologischen Problemen. Er sei noch lange Bettnässer gewesen sein, legt der Angeklagte vor Gericht ausführlichst dar. Bis zum Ende der Grundschulzeit habe er nachts Windeln getragen. Der Junge ist schulisch begabt, wechselt aufs Gymnasium. Immer wieder schwänzt er die Schule, vor allem, wenn seine Mutter Dienst hat und nicht zu Hause ist. Er ist überdurchschnittlich intelligent, zeigt ein Test. Sein Abitur legt er mit einem sehr guten Abschluss ab, eine Eins steht vor dem Komma. Mit Anfang 20 zieht er in Lahr aus, verlegt seinen Lebensmittelpunkt nach Rot am See zum Vater. Studieren will er. Gleich zweimal beginnt er verschiedene Studiengänge, bricht aber immer wieder ab. Arbeiten geht er nicht, notfalls wollte er von Sozialhilfe leben, sagt der Angeklagte.

Der Einzelgänger: In Lahr habe er Freunde gehabt, gibt der Beschuldigte zu Protokoll. In der Verhandlung kommt zur Sprache, dass er keinen Kontakt zu Frauen, nie Sex gehabt habe, wie Adrian S. einräumt. Und er zieht sich immer mehr zurück, verbarrikadiert sich in seiner eigenen Welt, berichten mehrere Zeugen. Von Ordnung hält er nichts, sein Zimmer vermüllt regelmäßig. Er beginnt, sich selbst um seine Ernährung zu kümmern, besorgt sich Lebensmittel. Vor allem Milch. Erklärung: Die mache wenig Abfall, sagt der junge Mann auf Nachfrage. An den Essen der Familie nimmt Adrian S. nicht teil, aus Furcht, von seiner Mutter vergiftet zu werden, wie Adrian S. mit Vehemenz immer wieder vorträgt.

 Die Erziehung: Adrian hält sich als Kind nicht an Regeln, ist zornig, aufsässig, respektlos, frech und setzt seinen Kopf durch. Seine Eltern tolerieren das Verhalten, sagen Verwandte und Zeugen. "Er hat immer alles bekommen, was er wollte", bringt es eine Arbeitskollegin der Mutter auf den Punkt. Eine Freundin der Mutter will erkannt haben, dass er verhaltensauffällig war. Den "kleinen Loser" nennt ihn ein Zeuge.

Die Freizeit: Zuletzt verbringt Adrian S. fast seine ganze Zeit vor dem PC auf seinem Zimmer. Stundenlang. Er wollte sich ablenken von seiner beständigen Furcht, seine Mutter wolle ihm Böses. Auch brutale Ballerspiele habe er gespielt, sagt der Angeklagte.

 Die Panik: Adrian S. ist von panischer Angst besessen, seine Mutter wolle ihn mit weiblichen Hormonen vergiften. Deshalb verschanzt er sich in seinem Zimmer. Zuletzt, im Haus seines Vaters in Rot, mit geradezu technischer Perfektion. Darüber redet er im Gerichtssaal ausführlich. Er installiert Überwachungskameras, auch seinen PC programmiert er auf Raumkontrolle. Eine Infrarot-Schranke wird eingerichtet, die bei unerwünschten Besuchern anschlägt. Zusätzlich blockiert er die Zimmertüre mit einem Balken, einem Türriegel innen und abgeschlossen ist die Türe ohnehin immer. Er geht kaum nach draußen, nur auf die Toilette wenige Meter nebenan. Selbst K.o.-Tropfen stellt er selbst her, um sich zu schützen. Ein Gutachter wird herauszufinden versuchen, ob Adrian S. an paranoider Schizophrenie leidet.

 Die Finanzen: Adrian sei "von Beruf Sohn" gewesen, meint ein Zeuge. Er habe immer nur vom Geld anderer gelebt. Der junge Mann selbst beschreibt sich als geizig. Die Mutter unterstützt den Sohn zuverlässig und konstant, zahlt ihm Unterhalt. Auch als er von Lahr zum Vater zieht. Dort wohnt er ebenfalls mietfrei.

 Die Angst: Gleich mehrere Zeugen verweigern am Dienstag vor Gericht, anzugeben, wo sie wohnen. Sie haben Angst, dass der Angeklagte, sollte er verurteilt werden, nach seiner Freilassung Rache an ihnen üben könnte. Das respektiert der Vorsitzende Richter, die Adressen bleiben ungenannt.

Es folgen fünf Prozesstage.

Akten weg?

Die angebliche Absicht seiner Mutter, ihn mit weiblichen Hormonen zu vergiften, schilderte der Angeklagte minutiös. Er verstieg sich dabei in die Behauptung, die Mutter habe ärztliche Unterlagen über gesundheitliche Probleme des Sohnes manipulieren lassen. Konkret habe sie ehemalige Kollegen des Ortenau-Klinikums gebeten, angeblich belastende Unterlagen über den Gesundheitszustand ihres Sohnes verschwinden zu lassen. Das sei auch erfolgt, behauptet der junge Mann. Auf diese Behauptung wurde vor Gericht bisher nicht näher eingegangen.