Lahr/Rot am See - Der 26-jährige Adrian S., der am Freitag in Rot am See bei einer Familientragödie sechs Menschen erschossen haben soll, ist in Lahr aufgewachsen. Er hat hier Abitur gemacht. Drei der Opfer stammen aus Lahr, seine Mutter und die beiden Halbgeschwister.

Fassungslosigkeit machte sich übers Wochenende in Lahr breit, nachdem bekannt wurde, dass der mutmaßliche Täter von Rot am See Wurzeln in der Stadt hat. In Lahr kennen ihn viele Menschen, vor allem ehemalige Mitschüler und Lehrer am Clara-Schumann-Gymnasium (CSG), wo er 2012 Abitur gemacht hat. Er erhielt damals bei der Abiturfeier eine Auszeichnung für gute Leistungen. Auf Bildern der Preisverleihung, die von der Schule ins Netz gestellt wurden, ist der damals 18-Jährige stolz mit der Urkunde des Gymnasiums zu sehen, in Anzug und Krawatte, mit ernstem Blick. Auf anderen Fotos lächelt er fröhlich. Die Bilder des mutmaßlichen Täters gingen am Wochenende durchs Internet und füllten eine halbe Seite der »Bild am Sonntag«.

Der Todesschütze lebte lange Zeit in Lahr bei seiner Mutter

Der mutmaßliche Todesschütze lebte nach Informationen der Lahrer Zeitung damals bei seiner Mutter in Lahr. Seine Eltern hatten sich getrennt, woraufhin er bei seiner Mutter aufgewachsen ist. Später, nach seinem Abitur, ist er zu seinem Vater in die 5300-Einwohner-Gemeinde Rot am See gezogen, die zwischen Crailsheim (Baden-Württemberg) und Rothenburg ob der Tauber (Bayern) liegt. Sein Vater betrieb dort das traditionsreiche Gasthaus »Deutscher Kaiser«. Zunächst hatte die Familie dort gemeinsam gelebt. Nach der Trennung war die Mutter dann von Rot am See wieder nach Lahr gezogen, wo sie zuvor schon gelebt hatte, und hatte den Jungen mitgenommen.

Jetzt kam es zu einem Wiedersehen, das für sechs Familienmitglieder tödlich endete. Bei der Bluttat in Rot am See soll der 26-Jährige seine Mutter, seinen Vater, seine Halbschwester, einen Halbbruder sowie eine Tante und einen Onkel erschossen haben. Zwei weitere Verwandte, die Großeltern des 26-Jährigen väterlicherseits, wurden mit Schusswunden ins Krankenhaus eingeliefert. Nach der Tät wählte der 26-Jährige selbst den Notruf. Er ließ sich widerstandslos festnehmen.

Unter den Opfern sind drei Lahrer: die Mutter (56) des mutmaßlichen Schützen, die Halbschwester (36) und der Halbbruder (36). Zwei zwölf und 14 Jahre alte Jungen, die Söhne der Halbschwester, hat der Täter laut Polizei zwar bedroht, dann aber weggeschickt. Der Vater der beiden Jungen lebte nach LZ-Informationen schon länger von der Mutter getrennt. Er kommt ebenfalls aus Lahr.

Der 26-Jährige geht mit geladener Pistole zum Familientreffen

Zu dem Familientreffen waren mehrere Familienmitglieder aus Lahr aufgebrochen. Dabei sollte das Gasthaus in Rot am See offenbar nur eine Zwischenstation sein. Die Familie war eigentlich zum Begräbnis der Großmutter des 26-Jährigen in Schwepnitz (Sachsen) unterwegs, wie die Bild-Zeitung zuerst berichtet hat. Dort wollte die 56-jährige Lahrerin am Samstag von ihrer im Dezember verstorbenen Mutter Abschied nehmen.

Von Beruf war die 56-Jährige Hebamme, sie arbeitete am Klinikum in Achern und betreute auch im Raum Lahr Familien (siehe unten). Auch der getötete Halbbruder des 26-Jährigen lebte in Lahr. Er gewann vor drei Jahren bei einer Aktion der Stadt ein Fahrrad, das der damalige OB Wolfgang G. Müller ihm überreichte. Er lebte mit seiner Mutter in einer Doppelhaushälfte in Lahr. Die Halbschwester des mutmaßlichen Täters, die ebenfalls mit Schüssen getötet wurde, wohnte auch in Lahr, unweit des Stadtparks. Die Pädagogin hatte vor drei Jahren ein Referendariat am Clara-Schumann-Gymnasium Lahr absolviert. Ihre zwei Söhne waren bei der Tat dabei, blieben aber körperlich unverletzt. Sie werden seit der Bluttat psychologisch betreut.

Der mutmaßliche Täter war Sportschütze, wobei er dieses Hobby offenbar noch nicht ausübte, als er in Lahr wohnte. In Rot am See wurde er dann Mitglied in einem Schützenverein. Der Vorsitzende hat gegenüber dem Spiegel (Online-Ausgabe) angegeben, dass der 26-Jährige vor sechs Jahren mit dem Sportschießen begonnen habe. Nach einem halben Jahr sei er in einen anderen Verein gewechselt, da man dort mit größeren Kalibern schieße. Das Schießen mit der Luftpistole habe ihm nicht genügt.

Die Bluttat vom Freitag verübte der 26-Jährige Medienberichten zufolge offenbar mit einer Pistole mit dem Kaliber neun Millimeter, die er als Sportschütze offenbar legal besessen hatte.

»Das waren herzensgute und freundliche Menschen«

»Es waren so herzensgute, offene und freundliche Menschen. Ich kann nicht begreifen, wie so etwas geschehen konnte. Ich bin völlig schockiert.« Die junge Frau am Telefon stammt aus Lahr und ist  eine gute Bekannte  der drei Lahrer, die bei der Familientragödie in Rot am See erschossen wurden. Sie erzählt uns Hintergründe zur Familie, bittet aber darum, ihren Namen nicht in die Zeitung zu bringen.

Die letzte Nachricht an die getötete Mutter bleibt jetzt ungelesen

Erst am Wochenende noch hat sie Sylvia, der Mutter,  eine Nachricht geschrieben. Sie wollte sich mal wieder mit ihr treffen, plaudern, sich austauschen. Doch es kam keine Antwort. »Die Nachricht bleibt jetzt ungelesen, Sylvia ist tot«, sagt die Bekannte. Die Fassungslosigkeit über diese Bluttat,  sie ist selbst durchs Telefon zu greifen.

»Sylvia war ein toller  Mensch, eine wundervolle Hebamme, die uns als junger Familie mit viel Wärme und Erfahrung geholfen hat«. Aus reiner Hebammen-Betreuung sei rasch mehr geworden, eine freundschaftliche Bekanntschaft. In Achern, am dortigen Klinikum, habe sie in leitender Funktion gearbeitet und  darüber hinaus auch Mütter über das Projekt der »frühen Hilfe« im Raum Lahr betreut. Freizeit habe sie kaum gekannt, ihre Arbeit für die Neugeborenen und deren Familien habe sie völlig gefordert. Man habe sie jederzeit anrufen können, wenn es Probleme gab. »Eine Hebamme, wie man sie sich nicht besser wünschen könnte«, schwärmt die Mutter aus Lahr über die getötete Bekannte.

Zu den beiden Kindern der Mutter, Carolin und Holger, hatte sie  ebenfalls immer wieder persönlichen Kontakt.  »Das war eine wunderbare Familie, die wie eine eigene für mich war.« Man traf sich oft bei Festen und Feiern. Mit Sohn Holger sei die Mutter derzeit auf Wohnungssuche gewesen, sie wollten weiterhin zusammen leben, unter einem Dach, möglichst auch in Lahr, nah bei der Tochter.</p><p>Zum mutmaßlichen Täter, Sohn Adrian, hatte die Lahrerin keinen direkten Kontakt, erfuhr über die Mutter aber hautnah sehr viel über den jungen Mann. »Er war immer schon komisch. Seine Mutter hat alles versucht, ihn bei sich zu halten, aber er wollte nicht. Er hatte offenbar keinerlei Interesse am Familienleben und verbrachte die meiste Zeit in seinem Zimmer, alleine, abgeschieden von den anderen, meist am PC. Nicht mal zum Essen kam er aus seinem Zimmer. Abweisend war er, überhaupt nicht herzlich, hat seine Mutter  berichtet.«

Zu den Hintergründen der Bluttat kann sich die Bekannte  noch keinen Reim machen. Sie berichtet  aber von Gesprächen, in denen es darum ging, dass der Sohn seine Mutter für die ganze familiäre Situation verantwortlich gemacht haben soll.

Im Nachhinein schaudert es  die junge Lahrerin, wenn sie sich an den 26-Jährigen  erinnert. Sie hatte von der Mutter erfahren, dass der junge Mann waffenbegeistert gewesen war. »Ich habe mit seiner Mutter schon vor einiger Zeit darüber gesprochen, dass er für mich ein typischer Fall von jenen Leuten war, die nicht richtig sozialisiert sind,  irgendwann durchdrehen und am Ende  wild um sich schießen«, schildert die junge Frau ihre Einschätzung. Sie sollte schrecklich recht behalten.

OB ist schockiert

OB Markus Ibert nannte die Bluttat in einer ersten Reaktion »eine Katastrophe, die unfassbar schrecklich ist.« Er kündigte für Montag eine  Erklärung ab, die er vor dem Gemeinderat halten wird, sagte Ibert  unserer Redaktion. Offiziell war der OB über die  Herkunft der drei Opfer und das mutmaßlichen Täters aus Lahr noch nicht informiert worden, als er am Sonntag mit unserer Zeitung telefonierte.