Franz und Luitgard Seidler mit einem Urlaubsbild, das ihre Söhne auf dem Hasenöhrl zeigt, einem 3257 Meter hohen Alpengipfel. Sieben und fünf Jahre alt waren die Jungen damals. Foto: Schabel

Familie: Eheleute Seidler sprechen über den Tod ihrer Söhne / Unglück am Mont Blanc

Lahr - Es ist herzzerreißend, was Franz und Luitgard Seidler widerfahren ist: Ihre Söhne Gunnar und Lennart kamen beim Bergsteigen ums Leben. Die Eltern haben mit unserer Redaktion darüber gesprochen, wie sie mit diesem Verlust heute leben.

Gunnar und Lennart Seidler haben Ehefrauen und drei Töchter hinterlassen, Johanna, Charlotte und Alexandra, die heute zehn, acht und knapp fünf Jahre alt sind. Für ihre verwaisten Enkelkinder hat Luitgard Seidler "Papa-Bücher" verfasst, damit die Kinder möglichst alles über ihre Väter erfahren, die im Alter von nur 42 und 40 Jahren gestorben sind.

Als Luitgard Seidler dafür Familienfotos sichtete und in ihren Erinnerungen kramte, sei es ihr vorgekommen, "als ob Gunnar und Lennart mit am Tisch sitzen", erzählt sie im Gespräch mit unserer Redaktion. Das Schreiben habe ihr gutgetan, sagt sie, während sie ein "Papa-Buch" aufblättert und an einer Seite hängen bleibt, auf der es um einen Urlaub in Sankt Gertraud in Südtirol geht. Dort verbrachte die Familie zehn Sommer hintereinander ihre Ferien, und dort haben die Söhne auch ihre Liebe zu den Bergen entdeckt, erzählen die Eltern dem Textautor.

An der Esszimmerwand hinter ihnen hängt ein großes Foto, das in jener Zeit entstanden ist. Es zeigt ihre Söhne im Alter von sieben und fünf Jahren auf dem 3257 Meter hohen Hasenöhrl, ein Gipfel in den Ostalpen.

Die Brüder waren versierte Bergsteiger, der ältere Gunnar sogar Hochtourenführer im Lahrer Alpenverein. "Er war konditionsstark, verantwortungsbewusst und immer gut vorbereitet, das sagen alle, die mit ihm auf Tour waren", stellen die Eltern fest.

Ihre Söhne erfroren in einem Sturm im Gebirge

Der Tag, der ihr Leben verändern sollte, war der 9. August 2017. Gunnar und Lennart verabschiedeten sich für eine Tour im Mont-Blanc-Massiv. Sie entschieden sich für die besonders schwierige Route über den "Teufelsgrat", wo ein Unwetter über sie hereinbrach. Zwei Nächte und einen Tag waren sie in 4250 Metern Höhe dem Sturm ausgesetzt, bis ihre leblosen Körper morgens gegen 9 Uhr von einer Hubschrauberbesatzung der Gendarmerie entdeckt wurden. Sie waren erfroren.

"Bei der Obduktion ist festgestellt worden, dass sie in der zweiten Nacht noch bis in den frühen Morgen gelebt haben, so lange haben sie durchgehalten", sagt Franz Seidler. "Verirrt haben sie sich nicht, sie wurden auf dem Hauptweg gefunden. Den schwierigsten Teil hatten sie durchklettert, bei gutem Wetter hätten sie nur noch eine gute Stunde bis zur nächsten Schutzhütte gebraucht."

Die Großeltern, ihre Schwiegertöchter und die Enkelkinder durften von ihren Söhnen, Ehemännern und Vätern im Krankenhaus von Chamonix Abschied nehmen. Gunnar und Lennart Seidler wurden dann auf dem Dinglinger Friedhof und dem Friedhof in Kippenheim beerdigt. Gunnar war Oberkommissar auf dem Lahrer Polizeirevier, Lennart Diplom-Ingenieur für Verfahrenstechnik. Ihre Söhne seien sehr liebevolle Väter gewesen, erzählen die Großeltern.

Nach dem Unglück sei er in ein tiefes seelisches Loch gestürzt, sagt Franz Seidler, der bis zu seiner Pensionierung 2007 Rektor der Johann-Peter-Hebel-Schule in Dinglingen war. Luitgard Seidler ist pensionierte Grundschullehrerin und hat fast zwei Jahrzehnte an der Schutterlindenbergschule unterrichtet. Die gebürtige Lahrerin erzählt, dass sie nach dem Tod ihrer Söhne eine schwere Depression erlitten habe.

Die Enkelkinder bringen wieder Leben ins Haus

Und wie geht es ihnen heute? "Recht gut, den Umständen entsprechend", sagen sie. Sie seien dankbar für die schöne gemeinsame Zeit mit ihren Söhnen und vor allem auch für ihre Enkelkinder, die ihnen "Trost, Rettung und Leben bedeuten".

Im Vorjahr konnten sie ihre Enkel wegen der Coronakrise monatelang nicht sehen "und an Weihnachten nur auf Abstand", erzählen die Großeltern. "Da begann ich für jedes der drei Mädchen ein ›Papa-Buch‹ zu schreiben und zu gestalten. Ich erzählte darin die Geschichte ihrer Väter von der Geburt an", sagt Luitgard Seidler. Die fertigen Büchlein, für die sie jeweils mehr als einen Monat gebraucht hatte, schenkte sie ihren Enkeln am dritten Todestag ihrer Väter. Die Kinder hätten sich sehr darüber gefreut und gleich neugierig darin geblättert, "das war für mich Bestätigung und Dank für alle meine Mühe."

Beim Lesen und Betrachten der Bilder lernen die Kinder ihre Väter neu kennen. So erfahren die Töchter von Gunnar Seidler über ihren Vater etwa, dass er als Kind genauso gern Himbeerkuchen gegessen hat, wie sie es heute tun. In dem Buch, das die Tochter von Lennart Seidler erhalten hat, ist an einer Stelle die Rede davon, dass Lennart als Kind ein weiches Herz hatte und Tiere liebte. Besonders gern habe er mit Katzen gespielt.

Das Schreiben der "Papa-Bücher" sei für sie eine Art Therapie gewesen, so Luitgard Seidler. "Die Erinnerung an die Kindheit von Gunnar und Lennart weckten in mir so viel Wärme, Nähe und Dankbarkeit, sie gehabt zu haben." Jetzt ist sie gerade dabei, für jedes Enkelkind ein weiteres Buch voller Erinnerungen an ihre verstorbenen Väter zu schreiben. In den nächsten "Papa-Büchern" soll es um Gunnar und Lennart im Erwachsenenalter gehen.

Die große Zuwendung und Unterstützung vieler Menschen haben ihnen die über die große Trauer über den Tod ihre Söhne hinweg geholfen, sagen Franz und Luitgard Seidler. Sie seien noch heute dankbar, dass so viele Menschen zur Trauerfeier in der Kirche Sancta Maria kamen.