Betörend: Das "Russische Nationalballett" bei seinem Gastspiel in der Lahrer Stadthalle Foto: Künstle Foto: Lahrer Zeitung

Bei seinem diesjährigen Gastspiel überzeugt das russische Ensemble mit "Giselle"

Von Jürgen Haberer

Lahr. Das "Russische Nationalballett" lebt nicht nur die Tradition des klassischen Balletts. Mit seinem alljährlichen Gastspiel in der Stadthalle hat das Corps eine eigene Tradition in der Adventszeit geschaffen. In diesem Jahr wurde zum ersten Mal das romantische Ballett "Giselle" gezeigt.

Heinrich Heine hat in seinem 1835 erschienenen Buch "D’Allemangne" die "Wilis" aus der slawischen Mythologie in die deutsche Sagenwelt übertragen. Es sind vor ihrer Hochzeit verstorbene Mädchen, die nachts ihre Gräber verlassen, um an Wegkreuzungen und auf Waldlichtungen zu tanzen. Ihr Anblick ist betörend, eine Begegnung mit ihnen aber höchst gefährlich. Wenn sie eines Mannes habhaft werden, tanzen sie wild und leidenschaftlich mit ihm, bis er vor Erschöpfung tot umfällt. Heines Erzählung stellt eine Steilvorlage für das Ballett dar, die 1841 von dem französischen Schriftsteller Théophile Gautier und dem Komponisten Adolphe Charles Adam aufgegriffen wurde. Mit dem im selben Jahr an der Pariser Oper uraufgeführten Ballett "Giselle" landeten die beiden einen Welterfolg, der längst zum Standardrepertoire vieler Ballettkompanien zählt.

Die am Freitag in Lahr gezeigte Fassung basiert dabei auf einer Choreografie von Marius Petipa, dem Vater des klassischen Balletts, der fast ein halbes Jahrhundert lang am weltberühmten Mariinski-Theater in St. Petersburg wirkte. Die Inszenierung folgte damit klar den Traditionen der russischen Schule, einem überaus schwelgerischen, durch und durch klassischen Ansatz, den das Ballett in all seinen Choreografien immer wieder neu aufleben lässt. Es gibt keine Zugeständnisse an den Zeitgeist, keine Versuche einer modernen Deutung. Das Nationalballett lebt auf höchstem technischen Niveau die Tradition, verzaubert damit seit fast einem Jahrzehnt immer wieder neu das Lahrer Publikum. "Giselle" macht dabei keine Ausnahme, auch wenn das Ballett nur bis zur Pause mit einer echten, pantomimisch wunderbar transportierten Handlung aufwartete.

Das Bauernmädchen Giselle (Anna Seregina) betört den Prinzen Albrecht (Filipp Parkachev), der sich als Bauer verkleidet in ihr Dorf schleicht und ihr ewige Liebe schwört, obwohl er mit der Fürstentochter Barthilde (Anastasiia Abramova) verlobt ist. Der ebenfalls in Giselle verliebte Wildhüter Hilarion (Konstantin Dunaev) deckt das Doppelspiel des Prinzen auf. Giselle erleidet einen Schock und stirbt in den Armen ihrer Mutter.

Der zweite Teil spielt an ihrem Grab. Die von ihrer Königin (Anastasiia Abramova) angeführten Wilis kommen, um Giselle in ihren Kreis aufzunehmen. Hilarion stirbt beim Tanz mit ihnen, auch Albrecht gerät in ihre Fänge, überlebt am Ende nur, weil das Morgengrauen den Zauber bricht.

Die im ersten Teil noch mit bunten Bildern und lebhaften Szenen aufwartende Aufführung konzentrierte sich nun ganz auf die schwelgerische, exzessive Seite des Balletts, auf das Tanzen um des Tanzens Willen. Die beeindruckende Grazie und Eleganz des Corps, die Faszination perfekter Formationstänze wurde dabei durch die Ausdruckskraft und Technik der als Primaballerina fulminant auftrumpfenden Anastasiia Abramova noch einmal deutlich in den Schatten gestellt. Sie erntete ebenso immer wieder reichlich Szenenapplaus wie Giselle und ihr Prinz, der mit seiner Angebeteten um sein Leben tanzt.