Sila-Asena Öztürk bei einem Wettkampf Mitte 2017 Foto: Künstle Foto: Lahrer Zeitung

Turnen: Die 13-jährige Sila-Asena Öztürk ist in der Rhythmischen Sportgymnastik nicht zu schlagen

Für Sila-Asena Öztürk gibt es nur die Rhythmische Sportgymnastik. Bis zu 25 Stunden pro Woche trainiert die Deutsche Meisterin vom TV Lahr für ihr großes Ziel: die Olympischen Spiele. Dabei helfen soll auch ihre Trainerin Viktoria Tereschenko.

Jeden Mittwochabend vor dem Schlafengehen ertappt sich Sila-Asena Öztürk dabei, wie sie sich im Bett verrenkt. Plötzlich und ganz automatisch schnellt dann ein Bein nach oben und die Lahrerin fängt mit Dehnübungen an, bei denen sich wohl so ziemlich jeder andere Mensch alle Knochen brechen würde. Denn Mittwoch hat die Schülerin trainingsfrei – es ist der einzige Tag in der Woche, an dem die Turnerin ohne ihre geliebte Rhythmische Sportgymnastik auskommen muss. Für die 13-Jährige ist es der härteste Tag der Woche. "Mittwochs laufe ich den ganzen Tag durchs Haus oder turne dort herum, weil mir das Training so fehlt", erzählt die Hochbegabte, die seit Jahren ihren Podestplatz bei Badischen- und Baden-Württembergischen Meisterschaften fest gebucht hat und sogar schon in den Kader der Nationalmannschaft berufen wurde. 20 bis 25 Stunden in der Woche investiert die Schülerin des Lahrer Scheffel-Gymnasiums für ihren Sport, vor Wettkämpfen sind es auch mal acht Stunden am Tag.

Nur zufällig zur Sportgymnastik

Zur Rhythmischen Sportgymnastik ist die Turnerin dabei eher zufällig gekommen. Mit vier Jahren tanzte sie Ballet, während in der Nebenhalle die Gymnastinnen des TV Lahr am Werk waren. "Ich habe immer bei denen zugeguckt und gestaunt, was die alles können. Deren Körperbeherrschung war unglaublich." Und obwohl der Spagat bei der Aufnahmeprüfung noch nicht richtig klappen sollte, überzeugte die junge Turnerin die Übungsleiter. Sila war dabei.

Nur wenig später der erste Wettkampf: Als ihr Name aufgerufen wird, bekommt es Sila mit der Angst zu tun und flieht aus der Halle. "Meine Trainerin hat mir dann Mut gemacht und mich zurückgeholt. Ich wurde allerdings Letzte", erinnert sich die heute 13-Jährige, die inzwischen kaum noch weiß, wie sich Verlieren anfühlt. "Am Anfang war ich aber echt schlecht."

Doch das ist lange her. Mit acht Jahren folgt der zweite große Wettkampf, den die Lahrerin pompt für sich entscheidet. Seitdem hat sie auf badischer Ebene nicht mehr verloren. Auch auf Landesebene setzte sich die Schülerin nur wenig später die Krone auf. "Ich bin wahnsinnig ehrgeizig und will unbedingt Erste werden", gesteht Sila.

Ihr Name verpflichtet schließlich: Auf Türkisch bedeutet Sila "Stärke". "Ich muss für meinen Namen einstehen", sagt die Turnerin, die für ihren großen Erfolg im Alltag auf vieles verzichten muss: "Wenn bei Geburtstagen die anderen Mädchen Kuchen essen, muss ich immer verzichten. Das fällt schwer, aber ich habe gelernt, damit umzugehen." Auch für weitere Hobbys bleibt neben dem Turnen keine Zeit: "Nach der Schule esse ich Müsli und dann starte ich los zum Training. Am Abend mache ich noch schnell meine Hausaufgaben und dann geht es ins Bett. Das ist schon unglaublich hart."

Hohes Pensum für Vater und Tochter

Ein ähnliches Pensum wie seine Tochter leistet auch Silas Vater Mutlu. Nach der Arbeit bringt er Sila zu den zahlreichen Trainingseinheiten und Wettkämpfen und kümmert sich nebenbei um die Vereinsarbeit: "Die Kinder können diese Sportart nur ausüben, weil wir Eltern unheimlich viel dafür investieren", sagt Öztürk.

Und nicht nur im Alltag, sondern auch im Training zeigt seine Tochter große Disziplin. "Gerader Rücken, saubere Beine, Spannung", sind Schlagworte, die ihre Trainerin Viktoria Tereschenko während der Übungen gern und viel benutzt, während Justin Timberlake-Musik aus dem Ghettoblaster dröhnt und sie wachsam an den Matten voller Mädchen vorbeischreitet. Neben Sila kümmert sich die Georgierin, die vor ihrer Ankunft in Lahr vor 20 Jahren auch schon in Kroatien und Russland trainiert hat, 27 weitere Mädchen zwischen sechs und 14 Jahren in der schmucken Sporthalle des Clara-Schumann-Gymnasiums. Während das kleinste der Mädchen verträumt mit einem Seil hantiert, sind die anderen mit Eifer und Konzentration bei der Sache. Drei bis vier Stunden dauert eine Übungseinheit insgesamt und abgesehen von wenigen Trink- und Verschnaufpausen recken und strecken sich die Turnerinnen ohne Unterlass. "Im Training habe ich großen Respekt vor Viktoria, aber danach reden wir über alles", sagt Sila über ihre erfahrene Trainerin, die sie seinerzeit von der Rhythmischen Sportgymnastik überzeugen konnte und die heute auch als Choreografin die deutsche Juniorennationalmannschaft im Geräteturnen betreut. "Ich sehe Viktoria häufiger als meine Familie. Sie hat das gleiche Herz wie ich und will immer gewinnen. Sie ist für mich wie eine Schwester oder eine beste Freundin."

2016, bei Silas erster Teilnahme an einer Deutschen Meisterschaft, hatte ihre Trainerin erneut großen Anteil am überraschenden Erfolg. Auf Anhieb holte die damals 11-Jährige auch auf der ganz großen Bühne den Titel. "Es war das schönste Gefühl meines Lebens", erinnert sich Sila, die es in diesem Jahr bei der DM als Vizemeisterin erneut aufs Podest schaffte.

Schwerste Entscheidung des Lebens

Nach dem "schönsten Gefühl des Lebens" folgte jedoch bald auch die "schwerste Entscheidung des Lebens": Silas Erfolge waren auch den großen Leistungszentren nicht verborgen geblieben. Erst kam die Berufung in den Bundeskader, dann folgte Anfang des Jahres die Anfrage, ob die 13-Jährige nicht nach Stuttgart aufs Internat kommen wolle, um ihren Sport zukünftig auf höchstem Level zu betreiben. "Ich habe geweint, weil das Angebot so schön war, ich aber meine Familie, meine Freunde und vor allen meinen zweijährigen Bruder nicht verlassen wollte." Zudem hängt sie an "ihrem Verein", dem TV Lahr, betont Sila. "Der TV Lahr ist alles für mich. Hier hat alles angefangen." Am Ende musste sie deshalb den Stuttgartern schweren Herzens einen Korb geben.

Ihr Traum von den ganz großen Titeln lebt – Leistungszentrum hin oder her – jedoch auch beim TV Lahr weiter, der neben Sila noch weitere Hochkaräter im Verein hat und sich von der Qualität her vor den großen Vereinen nicht zu verstecken braucht. Zusätzlich zum Training in der Ortenau geht es zudem mindestens einmal pro Monat zum Bundeskadertraining in Fellbach-Schmiden. "Ich habe noch immer die Möglichkeit auf Olympia", betont die Lahrerin. "Aber in erster Linie geht es mir darum, alle meine Titel zu verteidigen und dabei auch weiterhin Spaß zu haben", fügt sie mit einem Lächeln hinzu.

Die Rhythmische Sportgymnastik (kurz RSG) ist eine Turnsportart. Sie ist aus der Wettkampfgymnastik mit und ohne Handgeräten entstanden und wird mit Musikbegleitung durchgeführt. Die Sportart ist vor allem durch gymnastische und tänzerische Elemente gekennzeichnet und erfordert in hohem Maß Körperbeherrschung, Gleichgewichts- und Rhythmusgefühl. Die RSG ist ein reiner Frauensport bei dem es fünf Handgeräte gibt: Seil, Reifen, Ball, Keule und Band. Beim TV Lahr sind insgesamt 28 Mädchen im Alter von sechs bis 14 Jahren in der RSG aktiv. Eine eigene Halle haben die Lahrer dafür nicht. Stattdessen müssen die Mädchen zum Training zwischen dem Lahrer Hallensportzentrum, dem Clara Schumann Gymnasium und der Rheintalhalle pendeln. "Das ist natürlich nicht ideal", sagt Mutlu Öztürk vom TV Lahr.