Herkömmliche Jod-Tabletten kann man in Lahrer Apotheken kaufen, etwa hier bei Mitarbeiterin Angelique Salathé in der Apotheke am Storchenturm. Sie sind allerdings viel schwächer als die Notfall-Tabletten, die für nuklare Katastrophen bereitgehalten werden. Foto: Braun

In Lahr lagert unbemerkt millionfach Arznei gegen Radioaktivität

Lahr/Freiburg/Berlin - In Lahr lagern Millionen von Jod-Tabletten für den nuklearen Notfall. Etwa, wenn ein Kernkraftwerk in die Luft fliegt. Lahr ist eines von acht Depots des Bundes für solche Notfall-Tabletten. Doch es ist nach Informationen der Lahrer Zeitung höchst geheim.

Mit Sorge blicken die Menschen in der Region auf das Kernkraftwerk Fessenheim jenseits des Rheins im Elsass, 50 Kilometer von Lahr entfernt und weniger als 25 Kilometer von Freiburg. Der Atommeiler ist marode und soll stillgelegt werden. Doch falls es dort zu einer Havarie, einem Unfall mit Radioaktivität kommen sollte, wären Hunderttausende Menschen auf deutscher Rheinseite in Lebensgefahr. Zur Vorbeugung von radioaktiver Verseuchung der Bevölkerung gibt es in Deutschland Notfallpläne. Darin enthalten: die Verteilung von Jod-Tabletten (siehe Info). Mit diesen soll vorgebeugt werden, dass die Menschen beim Einatmen von nuklear versuchter Luft an Schilddrüsenkrebs erkranken. Eines der wenigen Lager befindet sich in Lahr.

Was ist über das Lager in Lahr bekannt?

Wenig. Es befindet sich irgendwo in der Stadt. Nähere Auskünfte will das zuständige Regierungspräsidium Freiburg nicht preisgeben. "Wir wollen da keine falschen Gäste anlocken", erklärt Pressesprecher Markus Adler auf Nachfrage unserer Redaktion. Seine Behörde machte jedoch die Existenz des Lahrer Lagers bei einem Pressetermin mit der Regierungspräsidentin Bärbel Schäfer öffentlich. Ihr Vize Klemens Ficht erläuterte die Notfallpläne der Behörde bei einer möglichen Havarie von Fessenheim.

Wie viele Tabletten lagern in Lahr?

Ebenfalls unklar. Es müssen jedoch Millionen sein, abgepackt in handelsüblichen Packungen. Lahr ist eines von nur acht solcher Lager im ganzen Bundesgebiet. Von hier aus werden die Tabletten im Katastrophenfall verteilt.

Wer weiß etwas über das Depot?

Offenbar kaum jemand. Das Lager ist Geheimsache. Eine Anfrage bei der Stabsstelle für Feuerwehr und Bevölkerungsschutz der Stadt Lahr ergab, dass man dort nichts über das Bundeslager weiß. Thomas Happersberger als zuständiger Verantwortlicher für Katastrophenschutz zeigte sich auf Nachfrage unserer Redaktion verblüfft.

Lagern die Tabletten auf dem Flugplatz-Areal?

Nein, sagt Markus Ibert vom Gewerbepark Startklahr auf dem Flugplatz. "Bei uns gibt es kein Depot. Aber es gab vor einigen Jahren eine Anfrage des Bundes für ein solches Lager. Das zerschlug sich aber wieder", erklärt Ibert.

Was sagt das zuständige Bundesministerium für Umwelt und Reaktorsicherheit in Berlin?

Nichts. Die Pressestelle des Ministeriums reagierte am Mittwoch nicht auf Mail- und Telefonanfragen unserer Redaktion.

Wie lagern die Tabletten?

Mit Sicherheit an einem temperierten, kühlen Ort. Vermutlich gibt es dort eine Lüftung.

Was passiert im Ernstfall mit den Lahrer Tabletten?

Sie werden von der Katastrophenschutzbehörde im Regierungspräsidium an die Kommunen verteilt. Einsatzteams sollen sie zu den Rathäusern bringen, wo Bürger die Tabletten dann abholen können. Das muss alles ziemlich schnell passieren. Es gibt Notfallpläne, in welchen Zonen rund um ein Kraftwerk die Tabletten zur Verfügung stehen sollten. In Freiburg etwa spätestens sechs Stunden, nachdem gefährliche Radioaktivität festgestellt wurde.

Was passiert mittelfristig mit dem Lahrer Depot?

Vermutlich wird es aufgelöst oder verkleinert. Denn der Bund plant, die acht Lager in Deutschland zu dezentralisieren. Also stärker in die Fläche zu verteilen und dann mehr kleinere Depots anzulegen.

Bekommt man die Tabletten als Bürger auch schon vorsorglich vor einem Ernstfall?

Nein. "Es gibt keine Vorab-Verteilung", sagt der Stellvertretende Regierungspräsident Klemens Ficht.

Info: Jod-Blockade

> Gutes Jod schützt: Tritt bei einem Kernkraftwerk-Unfall radioaktives Jod aus, nimmt der menschliche Körper dies durch Einatmen auf und speichert dies in der Schilddrüse. Die mögliche Folge: Schilddrüsenkrebs, vor allem für junge Menschen. Mit speziellen, hoch dosierten Jod-Tabletten kann dem vorgebeugt werden. Diese sollen das Einlagern von radioaktivem Jod blockieren und verhindern. Deshalb spricht man von einer Jod-Blockade.

> Einsatz nach Tschernobyl: Der Reaktorunfall von Tschernobyl war laut des Berliner Bundesamts für Reaktorsicherheit der einzige Unfall in einem Atomkraftwerk, der bislang eine Jod-Blockade zum Schutz der Bevölkerung nötig machte. In Polen wurde Jod an mehr als zehn Millionen Kinder und sieben Millionen Erwachsene ausgegeben. Die positive Wirkung habe sich bei Nachuntersuchungen gezeigt. Bei den mit Job versorgten Personen habe es keinen Anstieg der Schilddrüsenkrebs-Häufigkeit gegeben. In Weißrussland, wo es keine Jod-Aktion gab, sei Schilddrüsenkrebs bei Kindern um das Hundertfache angestiegen.