Vor Beginn des Verfahrens öffnet ein Justizbeamter Markus Erharts Handschellen, dahinter steht Verteidiger Edgar Gärtner. Mehrere Fotografen sind zum Auftakt des Prozesses ins Mannheimer Landgericht gekommen. Foto: Lahrer Zeitung

Prozess: Richter untersuchen Markus Erharts Arbeit für Lahrer Caritasverband / Schaden von 195 000 Euro

An den ersten Verhandlungstagen vor dem Landgericht ist Markus Erharts Rolle bei der Lahrer Caritas in den Blick genommen worden. Es entstand das Bild eines Mannes, der dem Wohlfahrtsverband erst geholfen und ihn dann ausgenommen hat.

Mannheim/Lahr. Als Erhart zum Prozessauftakt in den Gerichtssaal geführt wird, versteckt er sein Gesicht nicht vor den Fotografen, die vor der Anklagebank auf ihn warten. Ruhig blickt er in die Kameras. Erst als der Staatsanwalt die ellenlange Anklageschrift verliest, wirkt der Geistliche niedergeschlagen, hat sich aber rasch wieder im Griff. Doch was ist das wahre Gesicht des 54-Jährigen? Die Anklage wirft ihm vor, zwischen Januar 2013 und April 2017 die Lahrer Caritas um insgesamt 195 000 Euro betrogen zu haben. Dagegen versuchte er das Gericht davon zu überzeugen, nur zum Besten des Verbands gehandelt zu haben.

 Priester und Berater: "Er hat seinen Beruf verfehlt", sagte ein Prozessbeobachter über Erhart, der neben seiner Tätigkeit als Geistlicher immer schon auch als Unternehmensberater tätig war. Bereits Ende der 1990er-Jahre baute er im Auftrag des Jesuitenordens des Bistums Speyer eine Beraterfirma für kirchliche Institutionen auf. "Zuerst war ich allein, am Ende waren es zehn Mitarbeiter", verdeutlichte Erhart seinen Erfolg mit dem "Zentrum für soziales Management", das später in Konkurs ging – aber das war nach seiner Zeit dort.

In dem kirchlichen Beratungsunternehmen muss er auf den Geschmack gekommen sein, denn von dieser Tätigkeit wollte er später nicht mehr lassen – von 2001 an mit einer eigenen Firma. Dabei gestattet die Erzdiözese Freiburg ihren Priestern keine beruflichen Nebentätigkeiten.

Erhart, der 2004 nach Lahr versetzt wurde, erzählte, dass er als Unternehmensberater Tagessätze von 1600 bis 2200 Euro berechnete. Auf die Frage des Richters, wie sich das mit seinen Arbeitszeiten als Geistlicher in Einklang bringen ließ, antwortete er: "Ich hatte keine Arbeitszeiten und keinen Arbeitsvertrag, bei Priestern ist das so."

Über ein Wirtschaftsstudium verfügt Erhart nicht, doch als Kleriker habe er andere Qualifikationen, "zum Beispiel im Bereich Kommunikation". Zuletzt beriet er ein Krankenhaus über die Re-Strukturierung des Personalwesens. Vor Gericht gab er an, seine Kunden hätten gewusst, dass er Geistlicher ist – das habe ihm Türen geöffnet. Einstieg bei der Caritas: Der Caritasverband Lahr hat die Rechtsform eines eingetragenen Vereins, betreibt vier Pflegeeinrichtungen, sechs seniorengerechte Wohnanlagen und eine umfangreiche Sozialarbeit. Das alles mit 400 Mitarbeitern. Doch auf der Verwaltungsebene habe es beim Personal geklemmt, sagte Erhart. Vor allem das Fehlen eines hauptamtlichen Geschäftsführers sei ein Problem gewesen. Es sei nicht gelungen, die Stelle zu besetzen, da die Bezahlung nicht attraktiv genug sei. Die Geschäftsführung des Caritasverbands, der von den 28 Pfarrgemeinden im Dekanat Lahr getragen wird, obliegt deshalb einem dreiköpfigen Vorstand.

Ohne Mandat übernahm Erhart operative Aufgaben bei der Caritas, stellte etwa Mitarbeiter für die Verwaltung ein, "weil sonst keiner da war, der es gemacht hat". Gleichzeitig war er ehrenamtlicher Vorsitzender des Caritas-Rats, der als Aufsichtsrat fungierte. Damit war er in eine Lage gekommen, in der er sich selbst kontrollieren sollte.

Der katholische Stadtpfarrer hat sich für den katholischen Wohlfahrtsverband der Erzdiözese verantwortlich gefühlt, vermittelte er glaubhaft vor Gericht. Die Wege waren kurz, ein Büro der Caritas ist im selben Gebäude wie die Dienstwohnung des Pfarrers untergebracht.   Erharts Geldprobleme: Der Geistliche hat bei der Caritas ausgeholfen, weil Not am Mann war – diese Darstellung blieb vor Gericht unwidersprochen. Allerdings wurden auch seine notorischen Geldprobleme offengelegt – vor diesem Hintergrund erscheint Erharts Wirken bei dem Verband in einem anderen Licht.

Der Angeklagte, der sonst alle Fragen ausführlich beantwortete, sich auch durch kritische Nachfragen der Richter nicht von seiner Linie abbringen ließ, wurde wortkarg, als er erklären sollte, wie man bloß so viel Geld ausgeben kann. Allein von 2013 bis 2017 floss mehr als eine Million Euro auf seine Konten – alles weg. Dabei ist von früheren Mitarbeitern Erharts beim Dekanat zu hören, dass ihnen kein verschwenderischer Lebensstil an ihm aufgefallen ist. "Ich habe mir nichts Großes gekauft", sagte er achselzuckend vor Gericht, als er erklären sollte, wieso bei ihm ständig Ebbe in der Kasse war. Ein Thema, das ihm sichtlich unangenehm war.

Insgesamt entstand der Eindruck, als musste Erhart alle denkbaren Geldquellen anzapfen, um finanzielle Löcher zu stopfen – seiner Glaubwürdigkeit hat das geschadet.

  Berater ohne Auftrag: Auf die Frage, weshalb er von der Caritas Geld genommen hat, sagte Erhart: "Warum sollte ich umsonst arbeiten?" Dabei beharrte er darauf, er sei das Salär wert gewesen, dass er (im Namen seiner estnischen Firma) forderte. Sogar von einem "Freundschaftspreis" war die Rede: Der Caritas habe er einen Tagessatz von 1200 Euro berechnet – weniger als den anderen Kunden seiner (Ein-Mann-)Unternehmensberatung, so Erhart.   Scheinrechnungen? Für jede einzelne der 72 Rechnungen, die Erhart der Caritas stellte, muss er sich vor Gericht verantworten. Und für jede einzelne hatte er an den ersten beiden Verhandlungstagen eine Erklärung parat. Allerdings waren seine Ausführungen häufig abstrakt – Richter Ratzel hakte regelmäßig nach und war dann immer noch nicht überzeugt, dass hinter Erharts Forderungen adäquate Gegenleistungen standen. So berechnete Erhart 3000 Euro für eine "Datenbankprogrammierung" – die Installation eines Programms, für die man keine besonderen Computerkenntnisse benötigt.

Für sechs Schulungen, in denen Führungskräfte des Caritasverbands lernen sollten, wie Mitarbeitergespräche zu führen sind, stellte er 18 000 Euro in Rechnung. Allein für die Folien, die er für die dazugehörige Präsentation verwendete, forderte er 300 Euro.

Diese Summen wurden von der Caritas nach Estland überwiesen, dort versteuert und von einem Helfer zurück auf Erharts Konten transferiert.

  Vier-Augen-Prinzip: Jeder Teilnehmer an der Schulung wusste, dass Erhart sie gehalten hatte, trotzdem zahlte der Verband das Honorar nach Estland aus. Wie war das möglich? Einen Hinweis lieferte Richter Ratzel, als er aus Vernehmungsprotokollen zitierte: Mitarbeiter hatten der Kripo gesagt, sie hätten Erhart für ihren Chef gehalten.

Unter dieser Voraussetzung gelang es dem Geistlichen offenbar, das Vier-Augen-Prinzip auszuhebeln, Rechnungen, die er selbst geschrieben hatte, als sachlich korrekt zu kennzeichnen und am Verbands-Vorstand vorbei zur Auszahlung freizugeben.

  Was sagen die Richter dazu? Ratzel und Olaf Rinio bohren nach, machen Erhart auf Widersprüche aufmerksam – etwa, weshalb er nicht einen externen Unternehmensberater an Bord holte, den der Caritasverband dann vorschriftsmäßig bezahlt hätte. Von Erharts Antwort, alles sei zum Wohl der Caritas gewesen, denn er habe eben billiger als jeder andere Berater gearbeitet, sind die Richter ebensowenig überzeugt wie von weiteren Aussagen. Einmal stutzt Rinio den Geistlichen zurecht, hält ihm vor: "Sie brauchen nicht zu denken, dass wir Ihnen glauben."