So geht Einkaufen diese Woche in Bergamo: Abstand halten und vor dem Eingang wird den Kunden vom Supermarkt-Personal mit einem Gerät Fieber gemessen. Foto: Buss

Pandemie: Wie Vanessa Buss aus Lahr mit zwei Kindern die schon monatelange Quarantäne in ihrer italienischen Wahlheimat erlebt

Lahr/Bergamo - Während die Menschen in Lahr ersten Lockerungen der Corona-Beschränkungen entgegensehen, harrt eine einstige Lahrerin im italienischen Bergamo weiter in scharfer Quarantäne aus. Vanessa Buss aus der Druckhaus-Familie Kaufmann schildert Heftiges.

Ex-Lahrerin wohnt in italienischem Corona-Epizentrum 

Seit 17 Jahren lebt die 41-Jährige in der Lombardei, im Norden Italiens, unweit von Mailand. Ihr Ex-Mann stammte von dort. Mit ihren beiden Kindern, 14 und 8 Jahre alt, wohnt Vanessa Buss in der 120 000-Einwohnerstadt Bergamo. Im Zentrum der Corona-Hölle Italiens, wie man aus den Nachrichtensendungen der vergangenen Wochen weiß.

Am Telefon klingt die 41-jährige Ex-Lahrerin, die noch immer auch einen Wohnsitz in der Ortenau hat, sehr fröhlich. "Mir und meinen Kindern geht es gut, wir sind gesund und passen auf uns auf", sagt sie. Das ganze Leben um sie herum, dort am Fuße der Alpensüdseite, ist jedoch seit Monaten alles andere als lustig. "Es ist tatsächlich sehr, sehr heftig, hier", schildert die Hausfrau.

Militär holt Särge ab: In Bergamo war die größte Keimzelle der Corona-Pandemie Italiens. Viele Tausend Menschen sind dort bereits gestorben. Die Bilder der Militärlastwagen, die nachts Särge mit Toten abtransportierten, um sie andernorts verbrennen zu lassen, gingen um die Welt.

"Die Laster sehe ich von meinem Haus aus vorbeifahren", berichtet Vanessa Buss. "Das Krematorium hier in Bergamo arbeitet seit acht Wochen nonstop, rund um die Uhr. Aber sie kommen nicht mit dem Verbrennen der Gestorbenen nach. Es waren zeitweise 200 Menschen, statt üblicherweise nur 20."  

Klinik nur für Coronafälle: Längst sei auch das Krankenhaus der Provinzhauptstadt rein zur Behandlung von Corona-Kranken umfunktioniert worden. "Wer sich zum Beispiel den Arm bricht, muss auf eine rollende Ambulanz warten.

Das wird dann in einem speziellen Krankenwagen direkt daheim bei den Verunglückten behandelt." Wer Medikamente brauche, müsse sie sich beim Arzt telefonisch bestellen, Rezepte gebe es dann für die Patienten per Internet.

Angst vor dem Abschied: Angehörige haben, hört Vanessa Buss im Bekanntenkreis, Angst davor, ihre an Corona erkrankten Angehörigen in die Klinik geben zu müssen. "Das ist bei Schwerkranken meist der Abschied für immer. Angehörige bekommen keinen Zutritt mehr zur Klinik, auch nicht zu ihren sterbenden Eltern, Verwandten.

Sie bringen Mutter oder Vater ins Krankenhaus und bekommen dann nach einigen Tagen die Urne in die Hand gedrückt. Grauenvoll."  

Alles dicht: Während sich ihre Verwandten in Lahr ab Montag auf Lockerungen bei den Corona-Bestimmungen freien, ist in Bergamo an eine Öffnung nicht zu denken. "Es gibt minimale Erleichterungen in Italien. Blumenläden und Buchgeschäfte dürfen wieder öffnen. Aber das gilt nicht für unsere Region, nicht für Bergamo. Hier ist noch alles dicht. Alles geschlossen, bis auf die Supermärkte."

Fiebercheck im Supermarkt: "Wer einkaufen möchte, braucht Geduld, hat Vanessa Buss gelernt. "Schnell geht da gar nichts". Es gibt lange Schlangen vor den Supermercati, nur mit Einkaufswagen kommt man rein und vor dem Eintreten wird den Kunden vom Personal am Eingang Fieber gemessen, zeigen Fotos, die Vanessa Buss unserer Redaktion zuschickte.  

Lachen über Klopapier:  Dass die Deutschen in der Krise WC-Papier horten, darüber lache man in Italien herzhaft. "Wir haben hier nie leere Regale gehabt. Klopapier gab und gibt es immer. Und auch sonst ist alles da. Bis auf die Hefe, die bekommt man einfach nicht. Alle Leute wollen in der Krise offenbar backen, backen, backen", lacht sie durchs Telefon.  

Acht Wochen Quarantäne: Seit gut zwei Monaten ist die gebürtige Lahrerin mit ihren beiden Kindern nun schon zu Hause. "Und das geht noch mindestens drei weitere Wochen so", berichtet sie. Sie habe das große Glück, in einem Haus mit Garten zu leben. "Da kann man wenigstens ein bisschen raus. Aber sonst geht nichts. Kein Ausflug, kein Ausgang, keine Freunde treffen, nichts", schildert sie.

Ja, das sei hart. Aber eben nicht zu ändern. Wenigstens würden ihre Kinder auf eine internationale Schule gehen, die geöffnet habe. "Das erleichtert es den Kindern sehr, da gibt es wenigstens etwas Abwechslung." An den staatlichen italienischen Schulen sei das Chaos groß, hört sie. "Ich glaube nicht, dass da gerade viel gelernt wird".   

Scharfe Kontrollen: "Vor unserem Telefonat war ich gerade einkaufen, mit dem Auto. Prompt bin ich von den Carabinieri gestoppt und gefragt worden, wohin ich wolle. Die Kontrollen hier auf der Straße sind sehr scharf. Man wird ständig kontrolliert. Man darf nur zum Einkaufen fahren und das auch nur einmal die Woche.

Und: nur zwei Kilometer im Umkreis rund um seinen Wohnort. Wer sich nicht daran hält, zahlt ein Bußgeld, zwischen 400 und 3000 Euro. Die Polizisten verstehen da keinen Spaß. Da gibt es sofort Ärger, wenn man die Regeln nicht einhält", weiß die 41-Jährige.  

Keine Tests: Wie viele Menschen in der Provinz Bergamo mittlerweile an Corona infiziert sind, sei unklar. "Es gibt hier keine Tests. Alle gehen davon aus, dass es viel mehr Infizierte gibt, als offiziell bekannt wird."

Zumindest gingen die Zahlen bei den Neuinfizierten nun zurück, ein Lichtblick in dieser monatelangen Tragödie, bei der Bergamo mit seinen Bergen von Särgen wochenlang im Brennpunkt der internationalen Corona-Berichterstattung stand.  

Warum Bergamo? Wie ihr Wahlheimatort so zum Zentrum der Corona-Krise in Italien werden konnte, ist Vanessa Buss noch immer ein Rätsel. Es gebe viele Spekulationen, aber kaum fundierte Belege. "Es wird sehr viel geraunt und es gibt viele Fake-News, das kann man aber alles vergessen".

Die Theorie, dass auch ein Fußballspiel im nahen Mailand großen Anteil an der Verbreitung des Virus gehabt haben soll, glaubt sie nicht so richtig.

 Kontakt zur Heimat: Ein halbes Dutzend Mal pro Jahr reist Vanessa Buss mit ihren Kindern normalerweise zu ihren Eltern Bernadette und Markus Kaufmann nach Lahr. Doch normal ist seit Monaten nichts mehr. "Nicht mal zur Beerdigung meiner Oma durfte ich nach Lahr reisen", berichtet die Enkelin traurig.

Kontakte halte sie zu ihrer großen Familie in Lahr über die digitale Welt von Skype und Whatsapp. Und natürlich per Telefon. So ist sie immer informiert, was in ihrer Heimat los ist, wie es der Familie geht.

Und nun, wie sich das Leben in Lahr wieder zu normalisieren beginnt, während sie mit ihren Kindern in Bergamo weiter tapfer ausharrt, dass auch in der italienischen Krisenregion Nummer eins das Virus in den Griff bekommen wird. Den Mut hat Vanessa Buss noch nicht verloren: "Das wird schon. Dauert eben halt nur lange."  

App für Bürgeraustausch in Gefahrensituationen entwickelt 

Vanessa Buss hat mit anderen eine App fürs Handy entwickelt, die den Austausch zwischen den Bürgern erleichtert. Sie heißt "1SAFE". Eigentlich ist sie dafür ausgelegt, dass Bürger dort ungewöhnliche oder möglicherweise gefährliche Situationen melden können. "In diesen Zeiten bieten wir einen zusätzlichen Service an", sagt Vanessa Buss.

Wegen Corona können etwa Menschenaufläufe, unerlaubt geöffnete Lokale oder andere Regelwidrigkeiten gemeldet werden. Oder lange Schlangen vor dem Supermarkt. Dann sparen sich andere Nutzer den Weg und können später einkaufen. Bei einer Funktion für freiwillige Helfer wird mit einer Vereinigung verlinkt, um hilfsbedürftigen Menschen bei Erledigungen zu helfen.

Zu finden ist die App online im Apple App-Store und bei Google Play. Infos auch unter www.1safe.it.