Der Nahverkehr in der Ortenau (im Bild Lahr) leidet: Laut Tarifverbund sind die Fahrgastzahlen wegen Corona um mehr als die Hälfte eingebrochen – Tendenz steigend. Foto: Köhler

Nahverkehr: Wegen Corona verfallen Punktekarten / TGO kann nicht helfen

Lahr/Offenburg - Wegen Corona verfallen derzeit reihenweise Punktekarten für den Nahverkehr. Betroffen sind vor allem Senioren. Der Ortenauer Tarifverbund versteht den Unmut, sieht sich wegen der prekären Lage in der Branche aber außerstande zu helfen.

Elsa Zeidler (Name von der Redaktion geändert) ist 82, ohne Führerschein, aber dennoch mobil. Mit dem Bus fährt die Lahrerin zum Einkaufen, zu Arztterminen und in den Seniorentreff. "Das hat immer gut geklappt, sie ist noch fit und dank des Nahverkehrs viel unterwegs", sagt Tochter Sonja. Sie hat sich an die LZ gewandt, weil ihre Mutter nun abrupt ausgebremst wurde – und vielen anderen Bus- und Bahnfahrern in der Region ähnliches widerfahren dürfte.

Schuld ist wie so oft: Corona. Mit dem Virus kam der Appell der Politik an die besonders gefährdete Gruppe der Älteren, Bus und Bahn zu meiden. Man solle, wurde geraten, zu Fuß gehen, Rad fahren oder sich von Angehörigen bringen lassen. Manche Kommunen richteten extra ein "Corona-Taxi" ein, um ihre Senioren zu schützen.

Ausgerechnet kurz vor der ÖPNV-Offensive

Bei Elsa Zeidler kümmerte sich die Familie. "Wir nahmen die Warnungen ernst", sagt die Tochter. Monatelang hätten sich Kinder und Enkel als Chauffeure betätigt. Erst als die ältere Dame jetzt geimpft wurde, sollte sie wieder vom Auto in den Bus umsteigen. Sollte. "Der Busfahrer weigerte sich, die Punktekarte meiner Mutter abzustempeln, mit der Begründung, sie sei nicht mehr gültig", berichtet Sonja Zeidler.

Tatsächlich läuft das Mehrfach-Ticket des Ortenauer Tarifverbunds TGO nach einem Jahr ab – und die Lahrer Seniorin hatte ihres im Februar 2020 gekauft, kurz vor ihrer coronabedingten Nahverkehrspause. Bis dahin habe sie nur eine Kurzfahrt gemacht, wofür zwei der insgesamt 20 Punkte abgeknipst worden seien, sagt ihre Tochter.

18 Punkte oder umgerechnet 18,54 Euro wären theoretisch noch übrig. Die Punktekarte kostet aktuell 20,60 Euro. "Meine Mutter wird dafür bestraft, dass sie sich an die Corona-Vorgaben gehalten hat, indem man sie jetzt doppelt zur Kasse bittet. Das ist frech", findet Sonja Zeidler.

Dass Punktekarten überhaupt verfallen, hat einen einfachen Grund, wie bei der TGO in Offenburg zu erfahren ist. Wären sie unbegrenzt gültig, könnten sich Bus- und Bahnfahrer im großen Stil eindecken und so Tarifanpassungen – meistens gleichbedeutend mit Preiserhöhungen – aushöhlen. Im Fall von Elsa Zeidler kann davon freilich nicht die Rede sein. Das weiß auch TGO-Chef Sven Malz.

Auf LZ-Nachfrage lässt die Geschäftsführung schriftlich ihr Bedauern ausdrücken. Indes: "Aufgrund der aktuellen Situation sehen wir leider keine Möglichkeit, die Gültigkeit der Punktekarten zu verlängern oder kulanterweise, entgegen der Tarifbestimmungen, Erstattungen auszuzahlen."

Der ÖPNV leide aktuell unter "hohen Verlusten", die Lage der Verkehrsunternehmen sei "äußerst angespannt". Nach eigenen Angaben verzeichnet die TGO coronabedingt einen Fahrgast- und Fahrgeldverlust von mehr als 50 Prozent – "Tendenz steigend". Erschwerend komme hinzu, dass der ÖPNV-Rettungsschirm von Bund und Land lediglich die Hälfte der verlorenen Einnahmen auffange und bis Ende Juni befristet sei.

Der immense Rückgang bei den Fahrgastzahlen bedeutet im Umkehrschluss freilich, dass in vielen Ortenauer Geldbeuteln Punktekarten schlummern dürften, die schon abgelaufen sind oder es bald sein werden. Nicht nur bei Älteren. Schon vor einiger Zeit hat der Tarifverbund überdies mitgeteilt, dass das Pausieren von Abos wegen Corona nicht möglich sei. Alle Linien würden wie gewohnt und ohne Einschränkungen bedient.

Das Landratsamt wollte sich am Mittwoch nicht zu der Sache äußern. Klar ist aber: Aus Sicht des Ortenaukreises kommt der Bus-Frust zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Einstimmig blies der Kreistag im November zur großen Nahverkehrsoffensive: Für jährlich 4,6 Millionen Euro wird ab August die "weitreichendste Tarifneugestaltung in der Geschichte der TGO" (Landrat Frank Scherer) umgesetzt. Verschlankte Fahrzonen und günstigere Tickets sollen die Menschen in die öffentlichen Verkehrsmittel locken.

Elsa Zeidler muss derweil niemand locken. "Bei allem Ärger", sagt die Tochter, "sie ist auf den Bus angewiesen und fährt gerne." Ihre Mutter habe sich bereits eine neue Punktekarte gekauft.

Info

Der Tarifverbund Ortenau wurde 1991 als Tarif-Gemeinschaft (daher noch immer die Kurzform TGO) gegründet. Ziel war und ist eine kreisweit einheitliche Tarifgestaltung. Beteiligt an der TGO-GmbH sind mehrere Verkehrsunternehmen, die SWEG hält mit knapp 50 Prozent die meisten Anteile. Im gegensatz zu anderen Tarifverbünden sitzen bei der TGO weder das Land noch der Kreis direkt mit im Boot. Allerdings ist Landrat Frank Scherer Beiratsvorsitzender.