Licht und Schatten über der katholischen Seelsorgeeinheit in Lahr, hier die Pfarrkirche Peter und Paul. Gegen den Ex-Dekan wurde Anklage erhoben. Das sorgt jetzt für Unruhe. Foto: Braun Foto: Lahrer Zeitung

Kirche: Katholiken entsetzt über Höhe des Schadens / Aufarbeitung half den Ermittlern

Die Details des mutmaßlichen Betrugsfalls in kirchlichen Einrichtungen in Lahr sorgen für Unruhe bei den rund 17 600 Katholiken. Viele sind schockiert, andere wollen die Sache möglichst schnell vergessen. Und nur wenige wollen sich dazu äußern.

Lahr/Freiburg. Der frühere katholische Dekan Markus Erhart sitzt seit mehr als einem halben Jahr in Untersuchungshaft. Der Vorwurf: 89 Fälle von Betrug und Untreue mit einem Schaden von rund 240 000 Euro für verschiedene kirchliche Einrichtungen. Während sich der Geistliche dafür bald vor Gericht verantworten muss, sorgen die neuen Details des Falles erneut für Unruhe in der "Seelsorgeeinheit an der Schutter" mit ihren rund 17 600 Katholiken. Ein Blick hinter die Kulissen.

Wer darf etwas sagen?

Die rechtliche Aufarbeitung des Falles obliegt der Staatsanwaltschaft Mannheim, die auf Fälle von Wirtschaftskriminalität spezialisiert ist. Von ihr gab es eine Mitteilung mit Details der Anklageschrift, wir hatten berichtet. Des weiteren ist die Erzdiözese Freiburg als Arbeitgeber des Ex-Dekans beteiligt. Sie behält sich das Recht vor, einzige Auskunftsstelle für die Presse zu sein. Andere Beteiligte auf örtlicher Ebene wurden angehalten, keine Auskunft zu geben. Diese Direktive greift. Nur wenige Lahrer Katholiken wollen sich zum Stand des Falls gegenüber unserer Redaktion äußern. Und wenn, dann nur mit der Versicherung, dass ihr Namen nicht in der Zeitung auftaucht.

Wer hat ermittelt?

Eingeschaltet in die Ermittlungen war das Landeskriminalamt Stuttgart. Die Fahnder konnten sich auf umfangreiches Material der Erzdiözese stützen. Diese hatte über ihren Rechnungshof den Fall schon intern aufgearbeitet.

Wann ging der mutmaßliche Betrug los?

Offenbar schon vor mehr als fünf Jahren, der erste Fall aus der Anklageschrift datiert vom Januar 2013.

Wann war Schluss?

Das ist pikant. Erhart wurde laut Kirchenleitung zum 1. September 2017 krankheitsbedingt von seinen Aufgaben entpflichtet. Zuvor hatte es intern heftig gekracht. Noch eine Woche später, am 8. September 2017, soll er laut Anklage in die Barkasse des Pfarramtes gelangt haben. Insgesamt fehlen dort laut Ermittlern "mindestens 2400 Euro", die er zwischen Mai und September 2017 entnommen und privat verbraucht haben soll. Dass so viel Geld in dieser Barkasse war, erstaunt Kenner. Barkassen würden sonst nur geringe Beträge enthalten. Sie werden für Abrechnungen etwa von Gemeindemitgliedern genutzt.

Fehlt auch Opfergeld?

In der Anklage steht davon nichts. Für Opfergeld, das in Gottesdiensten von den Gläubigen gesammelt wird, gelten scharfe Regeln und das VierAugen-Prinzip bei der Weiterleitung. Opfergeld wird umgehend zur Bank gebracht.

Was sagt die Caritas?

Der Caritasverband Lahr ist der Hauptgeschädigte. Der Ex-Dekan arbeitete dort ehrenamtlich. Er soll den Verband laut Anklage um rund 196 000 Euro geschädigt haben. Dies über Scheinrechnungen zweier ausländischer Firmen, die angebliche Leistungen im IT-Bereich einforderten. Ohne formale Zuständigkeit soll Erhart diese fingierten Rechnungen abgezeichnet haben. Gutgläubige Mitarbeiter des Caritasverbands hielten das offenbar für in Ordnung. Das Geld verschwand auf ausländischen Bankkonten. Die Ermittler gehen davon aus, dass sich der Ex-Dekan rund 165 000 Euro in die eigene Tasche steckte. Wo der Rest der Rechnungssumme blieb, rund 31 000 Euro, ist noch unklar. Hinzu kommen laut Staatsanwaltschaft weitere rund 22 000 Euro, die die Caritas dem Beschuldigten an offenbar fingierten Auslagen und ungerechtfertigten Vorschüssen überwiesen hat. Zu diesen Vorgängen will sich der Lahrer Caritasverband selbst nicht äußern. Vorstandsvorsitzende Katharina Beck verweist auf die Pressestelle der Erzdiözese. Zu erfahren ist aus Kirchenkreisen, dass die Caritas die Schwachstellen in ihrer Finanzkontrolle ausgemerzt hat.

Hat die Summe überrascht?

Am Ende nicht. Die Ermittler hatten aufgrund der umfangreichen Vorarbeiten des Freiburger Rechnungshofs schon viele Details auf dem Tisch. "Von daher gab es für uns keine weitere böse Überraschung", erklärt der Sprecher der Erzdiözese, Michael Hertl. "Die Anklage jetzt zeigt uns, dass unsere Reaktion richtig war, Anzeige zu erstatten."

Liegt alles auf dem Tisch?

Nach Einschätzung von Staatsanwaltschaft und Erzdiözese ist in der Anklage alles enthalten, was an mutmaßlichen Verfehlungen zusammenzutragen war. Mehr dürfte nicht kommen.

Was sagt der Erzbischof?

Stephan Burger hat nach dem Bekanntwerden des Lahrer Falles scharf reagiert, eine Taskforce eingerichtet und sich eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft an die Seite geholt. Er wollte mit harter Hand durchgreifen und hat dies auch getan. Ein neuerliches Statement des Erzbischofs gibt es noch nicht. Doch sein Sprecher Michael Hertl sagt, dass der Erzbischof mit der schonungslos offenen Aufarbeitung des Falles zufrieden sei.

Was sagt die Kirchenbasis?

"Natürlich wird über den Fall in unserer Seelsorgeeinheit gesprochen", erklärt Johannes Mette, der neue Dekan und Nachfolger von Erhart. Mehr will und darf er nicht sagen. Klar ist aber nach Gesprächen mit maßgeblichen Gemeindemitgliedern, dass die Stimmung nach dem Bekanntwerden der Details bedrückt ist. Die Höhe des mutmaßlichen Schadens, immerhin fast eine Viertelmillion Euro, hat die Gläubigen entsetzt, heißt es mehrfach. Viele sind auch sehr geknickt, weil die unangenehme Angelegenheit nun wieder in die Schlagzeilen gerät, jetzt, vor dem baldigen Beginn des Prozesses. Nicht wenige hoffen, dass alles schnell vorbei geht und wieder Ruhe einkehrt. Ein Mandatsträger der Seelsorgeeinheit bringt es so auf den Punkt: "Alles muss rechtlich geahndet werden. Doch dann sollten wir auch verzeihen können, das gibt uns unsere christliche Grundhaltung vor. Wir wollen nach vorne blicken, nicht mehr zurück."

Wann beginnt der Prozess?

Einen Termin gibt es noch nicht. Doch es könnte schnell gehen. Erhart sitzt seit sechs Monaten in Untersuchungshaft. Solche Fälle haben bei der Justiz Vorfahrt. Manche, die dicht am Fall dran sind, rechnen mit einem Prozess noch im Sommer. Es könnte aber auch Herbst werden.

Was macht die Kirche?

Die Erzdiözese wartet nun den Ausgang des Verfahrens ab. Es gelte weiterhin die Unschuldsvermutung, sagt Sprecher Hertl. Falls es zu einer Verurteilung komme, werde man im Anschluss zivilrechtliche und kirchenrechtliche Schritte einleiten. Schließlich geht es um viel Geld, das man sich zumindest teilweise zurückzuholen erhofft.

Wie läuft die Nachfolge?

Johannes Mette als Nachfolger in der Seelsorgeeinheit und im Dekansamt kommt bei den Kirchenmitgliedern bestens an. Er kümmere sich um seine Schäfchen, nehme sich Zeit für die Menschen und ihre Themen und arbeite seelsorgerisch vorbildlich, hört man an verschiedenen Stellen der Gemeinde. Da geht nun ein Aufatmen durch die Seelsorgeeinheit, das auch bis nach Freiburg zu spüren ist. "Es läuft sehr gut, hören und spüren wir mit Freude", bestätigt Sprecher Hertl.