Polizeisprecher Patrick Bergmann Foto: Lahrer Zeitung

Suche: Polizei legt selbst Fälle nach Jahrzehnten nicht zu den Akten / Holländer wird seit 1966 gesucht

Offenburg - Es ist eine nackte Zahl: Doch hinter jedem der 140 Vermisstenfälle, die beim Polizeipräsidium Offenburg offen sind, könnte ein Verbrechen stecken. Eine tragische Angelegenheit ist es auf jeden Fall.

Mal ist es ein Jugendlicher, der unerlaubt ausbüxt und nach drei, vier Tagen zurückkehrt. Mal endet die Suche nach einem Vermissten aber auch in einem grausigen Fund, weil der Gesuchte seinem Leben ein Ende bereitet hat oder bei einem Wanderausflug tödlich verunglückt ist. 140 Menschen gelten im Bereich des Polizeipräsidiums aktuell als vermisst, berichtet Patrick Bergmann, einer der Pressesprecher der Institution. "Vermisst" heißt im Sinne der Polizeiarbeit, dass eine Person ihren gewohnten Lebenskreis verlassen hat, ihr Aufenthaltsort unbekannt ist und eine Gefahr für Leib oder Leben angenommen werden kann.

In der Mehrzahl der Fälle erfährt die Öffentlichkeit vom Verschwinden einer Person gar nichts, erläutert Bergmann, denn man sei von Seiten der Polizei bemüht, sehr behutsam mit dem Thema umzugehen: "Oft stellt sich ein zunächst dramatisch dargestelltes Verschwinden im Nachhinein als Flucht in die Freiheit oder auch als die Suche nach Ruhe eines Erwachsenen dar." Gerade in solchen Fällen wäre eine breite Öffentlichkeitsfahndung kontraproduktiv.

Wird eine Person als vermisst gemeldet, gehe es zunächst darum, dessen persönliches Umfeld zu befragen. Zum einen soll versucht werden, mögliche Aufenthaltsorte zu ermitteln, zum anderen die Persönlichkeit des Gesuchten zu erfahren. "Oft sind bereits hier Anhaltspunkte für ein Verschwinden der Person zu finden", weiß Bergmann aus Erfahrung. Das könnten Freitodabsichten, die Suche nach Ruhe und Distanz oder auch Streit sein. Erst dann stehe die Information der Öffentlichkeit zur Disposition.

Bei Kindern stelle sich diese Frage nicht. "Hier ist die Schwelle zur Information einer breiten Öffentlichkeit deutlich schneller überschritten", beschreibt es Bergmann. Denn während bei Erwachsenen die Gefahr für Leib oder Leben oft nicht sofort begründet werden könne, "so gelten Minderjährige oder möglicherweise auch behinderte Personen in jedem Fall als vermisst, wenn sie ihren gewohnten Lebenskreis verlassen haben und ihr Aufenthalt unbekannt ist". Aufgrund des jungen Alters – oder einer Behinderung – werde "grundsätzlich eine Gefahr für Leib oder Leben angenommen".

So lange die gesuchte Person nicht gefunden wurde, so lange werde der Fall auch nicht zu den Akten gelegt. "Der Vermisstenfall selbst bleibt in Akten und Fahndungssystemen so lange ›aktiv‹ bis die Person gefunden wurde, oder – gerade im Bereich von sehr wahrscheinlich tödlichen Unfällen – amtlich für tot erklärt werden." Der älteste Fall datiert von 1966, ist also mehr als 50 Jahre her. Es ist ein niederländischer Bürger, der von der Wasserschutzpolizei Kehl ausgeschrieben wurde.

Generell seien Vermisstenfälle schwierig: "Die aktive Suche der Polizei stößt immer dann an ihre Grenzen, wenn alle möglichen Hinwendungsorte überprüft und durch die möglichen Instrumentarien und Einsatzmittel kontrolliert wurden."

Wie hoch die Aufklärungs- oder Auffinderate ist, lasse sich aus verschiedenen Gründen nicht darlegen. Das liege unter anderem an den vielschichtigen Faktoren des Verschwindens. "Viele in der Statistik erfasste Vermisstenfälle eignen sich bei näherer Betrachtung nicht für eine belastbare Aussage. Als Beispiel können hier Jugendliche angeführt werden, welche mehrmals im Jahr ›verschwinden‹ und bald wieder auftauchen."

Info: Wann gilt man als vermisst?

Drei Faktoren bedingen, dass eine Person als vermisst gilt: Sie hat ihren gewohnten Lebenskreis verlassen, ihr Aufenthaltsort ist unbekannt, und es kann eine Gefahr für Leib oder Leben angenommen werden. Bei gehandicapten Erwachsenen und Kindern reichen bereits die beiden ersten Faktoren, dass sie als vermisst eingestuft werden.