"Offenbar fehlt die Solidarität­": Ärzte, Pflegekräfte und Sanitäter demonstrieren gegen die Lahrer "Spaziergänge". Foto: Baublies

Gut 50 Mitarbeiter aus dem Gesundheitswesen haben am Montag gegen den "Spaziergang" in Lahr demonstriert. Organisator war Wael Hamdan. In der LZ spricht der Arzt über seine Eindrücke des Abends, berichtet von einer angespannten Situation im Krankenhaus – und richtet einen Appell an Impfskeptiker.

Herr Hamdan, wie fällt Ihr Fazit vom Montag aus?

Positiv. Ehrlich gesagt haben wir lange überlegt, wir wussten nicht, wie es ankommt, wenn wir auf die Straße gehen. Im Nachhinein war es wohl die richtige Entscheidung. Es gab viele Rückmeldungen: Kolleginnen und Kollegen, die Dienst hatten, finden es schade, dass sie nicht dabei sein konnten, um unsere Botschaft auszusenden.

Die da lautet?

Nach zwei Jahren sind wir alle pandemiemüde, trotzdem müssen wir den Fokus auf das Personal im Gesundheitswesen, aber vor allem auch auf Nicht-Covid-Patienten richten. Viele Menschen mit ernsthaften Erkrankungen müssen Tage oder sogar Wochen auf lebenswichtige Behandlungen warten, weil wegen Corona OP-Kapazitäten fehlen, Intensivbetten belegt und Ärzte und Pflegekräfte gebunden werden.

Was denken Sie, wenn Sie 400 Menschen ohne Abstand und Maske gegen die Corona-Maßnahmen protestieren sehen?

Ich kenne die Hintergründe und Motivation der Einzelnen nicht. Aber es ist gerade sehr schwierig, dieses Bild zu sehen – und entmutigend, dass offenbar die Solidarität unter den Menschen fehlt.

Haben Sie mit einem »Spaziergänger« gesprochen?

Nein. Wir wurden von einigen wenigen angepöbelt, mehr Kommunikation war nicht. Wir hatten damit gerechnet, dass der eine oder andere Gesprächsbedarf hat. Eine Demo ist aber wohl auch nicht der richtige Ort für einen Meinungsaustausch.

Wie erleben Sie als Arzt die aktuelle Corona-Lage?

Was mir sehr zu denken gibt, ist, dass zunehmend Jüngere, also Menschen zwischen 30 und 60 Jahren, mit einer schweren Covid-Pneumonie auf der Intensivstation liegen, nicht mehr nur die Älteren. Die allermeisten sind ungeimpft. Das war letztlich auch ausschlaggebend für unsere Demo. Das müssen die Menschen wissen.

Wie ist die Stimmung unter dem Lahrer Krankenhaus-Personal?

Ich würde sagen, wie fast überall ein Stück weit gereizt. Den Fachkräftemangel im Gesundheitswesen gibt es schon seit Jahren. Durch Corona spitzt sich die Lage weiter zu. Viele müssen Arbeiten übernehmen, für die sie sich bei ihrer Berufswahl nicht entschieden haben. Kurzfristig geht das, auf unbestimmte Zeit aber ist das extrem anstrengend und demotivierend.

Viele Experten sagen, die zwar ansteckendere, aber deutlich mildere Omikron-Variante läutet das Ende der Pandemie ein …

Da stelle ich die Frage: Wie oft wurde ein Pandemieende in den vergangenen zwei Jahren schon eingeläutet? Es ist ein bisschen so wie mit dem Esel, der der vor ihm baumelnden Karotte hinterherläuft. Dieses Virus hat uns immer wieder überrascht. So sehr ich mir das Ende herbeisehne, so vorsichtig bin ich mit Prognosen.

Sind wir bereit für eine Durchseuchung?

Ich denke nicht. Dafür gibt es noch zu viele Ungeimpfte, und dafür wissen wir noch zu wenig über die Langzeitfolgen von Corona. Deshalb appelliere ich an alle, die Bedenken gegen eine Impfung haben, sich unverbindlich informieren zu lassen, sei es vom Hausarzt oder vom Aufklärungsarzt im Impfzentrum. Es kursieren so viele Unwahrheiten über die Corona-Impfung, dabei gab es nie eine besser untersuchte Impfung mit einer dichteren Datenlage. Das sollte jeder nutzen.

Sollten die »Montagsspaziergänge« verboten werden?

Das ist in erster Linie eine juristische und politische Frage. Aus medizinischer Sicht überrascht es mich, dass der Staat in allen Bereichen Regeln zum Infektionsschutz aufstellt, man gleichzeitig aber Hunderte Menschen völlig schutzlos durch die Straßen laufen lässt.

Sind Sie am Montag wieder auf dem Rathausplatz?

Das überlegen wir uns in den nächsten Tagen noch. Die Bereitschaft wäre bei vielen trotz anderweitiger Verpflichtungen sicherlich da. Am liebsten wäre es uns aber natürlich, wenn es gar nicht mehr nötig wäre. 

Info: Zur Person

Wael Hamdan ist Facharzt für Anästhesie und Intensivmedizin und seit 2019 am Ortenau-Klinikum Lahr-Ettenheim tätig. Der 37-Jährige ist in Lahr aufgewachsen und zur Schule gegangen. Er ist verheiratet und hat drei Kinder.