Das Leid der Ukrainer können viele ältere Bürger gut nachvollziehen: Die Zerstörungen ihrer Heimat im Zweiten Weltkrieg und damit verbundene Evakuierung und Flucht haben sie auch nach mehr als 70 Jahren nicht vergessen. Foto: Soeder

Der Krieg, der seit mehr als zwei Monaten in der Ukraine tobt, ruft bei vielen älteren Menschen schreckliche Erinnerungen wach. Bürger Kappel-Grafenhausens haben mit der Lahrer Zeitung über ihre Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg gesprochen.

Kappel-Grafenhausen. Als anlässlich der 70 Jahre Ende des Zweiten Weltkriegs im November 2015 der Arbeitskreis Historie mit 17 Zeitzeugen das Kriegsereignis in Kappel, Grafenhausen und Rhinau in Form eines Filmes festhielten, dachte niemand, dass sich so etwas in Europa noch einmal wiederholen könnte. Die damals älteste Zeitzeugin Emilie Motz, 99 Jahre, appellierte bei ihrem Beitrag eindringlich: "Nie wieder Krieg." Doch der Krieg in der Ukraine, die Bilder von unnötiger Zerstörung, die Flucht von zu Hause und das viele Leid, was derzeit über die Menschen in diesem Land ergeht, ruft auch bei uns, vor allem bei älteren Menschen noch schreckliche und schmerzhafte Erinnerungen wach.

Elsa Pfeifer kann sich noch gut an die Evakuierung mit ihrer Mutter, den fünf Geschwistern und der kranken Oma erinnern: "Mit dem Zug sind wir zuerst nach Teilfingen gefahren und dort in einer Fabrikhalle einquartiert worden. Tage später ging die Zugfahrt weiter nach Schwabmünchen ins Bayerische. Mit sechs Kindern war es sehr schwierig, eine Gastfamilie zu finden, doch dann hat sich eine Frau erbarmt, welche zu Hause selbst sieben Jungs hatte. Für uns war eines nur wichtig: Hauptsache ein Dach über dem Kopf haben, während die bettlägerige Oma in ein Krankenhaus kam. Gemeinsam lebten wir in einem Haushalt, wo gekocht, gespeist, gewaschen, gespielt und geschlafen wurde. Beim Schulbesuch habe ich große Schwierigkeiten, denn der bayrische Dialekt war nicht einfach zu verstehen", erinnert sich die heute 92-Jährige. 

Die Familie von Maria Köbele fand in Ettenheimmünster eine Bleibe. Auch viele weitere Kappeler kamen bei der dritten Evakuierung im Dezember 1944 bis Frühjahr 1945 in umliegenden Gemeinden unter: "Mein Vater ging in dieser Zeit immer wieder nach Kappel, um nach dem Rechten zu schauen und um für unsere zwei Kühe, mit denen wir fort gingen, Futtervorrat zu holen. In unserem Garten in der Vorau war ein Bunker. Als im Februar 1945 die Franzosen diesen beschossen, wurde auch unser Haus und Stallung in Schutt und Asche gelegt. Als wir nach Kriegsende wieder nach Kappel zurückkehrten, hatten wir nur noch das, was wir mitgenommen hatten. Glück hatte meine Familie, dass wir bei weitläufigen Verwandten Unterschlupf fanden, bis wir unser Haus wieder aufgebaut hatten", erzählt die heutige 97-jährige Maria Köbele.

Mit gerade mal 17 Jahren wurde Ernst Herzog im Jahr 1944 als einer der letzten Jugendlichen noch in den Krieg eingezogen, um nicht gegen den Feind, sondern gegen den Gegner zu kämpfen, wie er heute selbst sagt. "Als ich nach Kriegsende und anschließender französischer Gefangenschaft nach Hause kam, musste ich erst meine Tante fragen, wo eigentlich meine Eltern wohnen, denn im Januar 1945 wurde mein Elternhaus, welches sich in unmittelbarer Nähe der Kirche befand, durch Fliegerbomben vollständig zerstört. In einer ehemaligen Zigarrenfabrik, welche der Gemeinde gehörte, waren sie einquartiert. Mein älterer Bruder ist mit 21 Jahren im Krieg gefallen", erzählt Ernst Herzog, 95 Jahre, mit Tränen in den Augen.

 Zwei Jahre war Josef Büchele als Gefreiter bei den Panzerjägern im Krieg eingesetzt: "Glück hatte ich, als in unmittelbarer Nähe eine Granate eingeschlagen hat, und ich mich hinter einem Baum in Sicherheit brachte. Aus amerikanischer Gefangenschaft gelang mir die Flucht, und ich versteckte mich tagelang mit einem Kumpel im Wald. Ein Bauer zeigte sich erkenntlich, gab uns Essen und tauschte die Uniform gegen Zivilkleidung. Als Deutschland kapitulierte und der Krieg zu Ende war, läuteten alle Kirchenglocken und wir hatten Tränen in den Augen", erinnert sich der 96-jährige Josef Büchele. Einige Zeit arbeitete er noch als Tagelöhner auf dem Feld, bis er im August 1945 mit dem Rad vom Odenwald in Richtung Heimat fuhr.

Kurz vor Weihnachten 1944, so erinnert sich Margarete Bührle, mussten sie und ihre Familie erneut Kappel verlassen. "Während zwei meiner Brüder im Krieg waren, bangte der Rest der Familie, als Freiburg bombardiert wurde, denn meine älteste Schwester welche Nonne war, arbeitete in der Uni als Krankenschwester. Mit Patienten suchte sie damals Schutz im Keller. Aber auch in Sulz, wo wir untergebracht waren, war man nicht mehr sicher. Am Neujahrstag 1945 warfen feindliche Flugzeuge Bomben ab, dabei wurde der neunjährige Richard Hund aus Kappel getötet. Mit einem Leiterwagen wurde er Tage später überführt und auf dem Kappeler Friedhof beigesetzt", so die Erinnerungen von Margarete Bührle, 95 Jahre alt.

Tote, Vermisste und Zerstörung

Kappel war vom damaligen Landkreis Lahr die wohl am schwersten getroffene Gemeinde. Neben Kirche, Pfarr- und Rathaus wurden 77 von 288 Gebäuden völlig zerstört, nur zwei Häuser blieben unbeschädigt, 123 Familien wurden obdachlos. Schmerzlicher als der Verlust von Haus, Hof und Gütern aller Art wog der Verlust der Menschen. Nach Kappel kehrten 110 Personen nicht mehr aus dem Krieg zurück, in Grafenhausen waren 92 Männer im Krieg gefallen oder vermisst. In beiden Gemeinden starben zehn Zivilisten. Erst nach und nach kamen noch Soldaten aus der Kriegsgefangenschaft zurück. Der letzte Kriegsgefangene konnte erst am 4. Januar 1950 wieder nach Hause kommen. Den "sinnlosen Krieg in der Ukraine" könnennicht nur die Überlebenden nicht verstehen. Es ist sehr, sehr schlimm die Zivilbevölkerung und Soldaten sind am Ärmsten dran, so die Äußerung aller Befragten. Man hoffe dass auch bald in der Ukraine die Friedensglocken läuten.