Schülergespräch über die Zeit vor 1933 für Juden in Kenzingen, Kippenheim und Emmendingen Foto: Lahrer Zeitung

Recherche: Schüler-AG stellt Broschüre über "Jüdisches Leben rund um das Gymnasium Kenzingen" vor

Rund 190 Gäste haben für komplett besetzte Stuhlreihen im Atrium des Kenzinger Gymnasiums gesorgt. Der Anlass war ein besonderer: Die Schüler-AG "Journalistisches Arbeiten" stellte ihre selbst erarbeitete, ausgezeichnete Broschüre vor.

Kenzingen/Kippenheim. Die Broschüre der Schüler berichtet, so der Titel, über "Jüdisches Leben rund um das Gymnasium Kenzingen – damals und heute". Entstanden war das ungewöhnliche Werk als Schlusspunkt eines monatelangen Projekts. Da hatte sich die Schülergruppe mit jüdischer Vergangenheit in Kenzingen, aber auch Kippenheim und Emmendingen beschäftigt, Quellen zusammengetragen, viele Gespräche geführt. Für das Ergebnis dieser Arbeit, an der auch die Presse-AG beteiligt war, wurden die Schüler schon vorigen Monat im Jüdischen Museum Berlin mit dem Rolf-Joseph- Preis ausgezeichnet. Nun liegt die schriftliche Zusammenfassung also auch als 44-seitige Broschüre vor.

Zuvor hatten die Gymnasiasten mit ihrem betreuenden Lehrer Stefan Henninger viel Energie in das Projekt gesteckt, waren tief in das jüdische Leben der Umgebung eingetaucht, samt Gesprächen mit Zeitzeugen. Dabei hätten sie, berichteten zur Begrüßung David Schaeffert und Lynn Schoberer, mehr Eindrücke gesammelt, als sie ursprünglich erwartet hatten. Gruppenweise präsentierten die Gymnasiasten im Atrium bildunterstützte Blicke auf die Situation in den drei Ortschaften vor 1933, in der Hitlerzeit und danach. Zur Zeit im Faschismus hatten sie etwa ein aufgezeichnetes Interview mit der ehemaligen Kenzingerin Alice Dreifuss Goldstein eingespielt, die samt Eltern mit Hilfe des Pfarrers noch zeitig in die USA fliehen konnte. Ihre frühen Erinnerungen sind eindrücklich: "Niemand der nichtjüdischen Kinder spielte mehr mit mir!"

So erging es auch Kurt Salomon Maier. Der hochbetagte, dennoch agile Mann, gerade wieder auf Vortragsreise in Deutschland, ließ es sich nicht nehmen, auch im Kenzinger Gymnasium per Interview über seine Eindrücke zu erzählen. Er war samt Familie 1940 von Kippenheim aus nach Gurs in Südfrankreich deportiert worden. Nur seinen Schulranzen trägt der damals Zehnjährige auf einem Foto bei sich, das beim Abtransport heimlich gemacht worden war. Maier überlebte mit Familie, weil die in die USA auswandern durfte. Heute erinnert er sich nicht nur an den damaligen ohrfeigefreudigen Postleiter ("ein böser Nazi"), sondern auch an Nachbarn, die der Familie heimlich Lebensmittel zusteckten. Ansonsten: "Man traute sich kaum noch, auf die Straße zu gehen, versteckte sich im Haus."

Auch Michael Nathanson kam per Tonaufzeichnung zu Wort, 1947 aus dem Exil in Shanghai zurückgekehrt und heute in Schmieheim lebend. Der sagt: "Was heute in der Welt zählt ist, Mensch und menschlich zu sein!" Auch er findet sich nun in der von Sponsoren finanzierten Schülerbroschüre wieder.

Zeit und Herzblut investiert, um ein kleines Denkmal zu setzen

Auch Klaus Teschemacher (Gründer der neuen Emmendinger jüdischen Gemeinde), Monika Rachel Raija Miklis (jüdische Religionslehrerin und Ausstellungskuratorin des dortigen Jüdischen Museums) sowie Rabbiner Yaakov Yosef Yudkowsky kamen im Gymnasiums-Atrium tonaufgezeichnet zu Wort, und Robert Krais (Vorsitzender des Deutsch-Israelischen Arbeitskreises) erzählte von Zerstörungen an der Kippenheimer Synagoge, die erst nach 1945 geschahen. Er sagt: "Diese Generation hat jüdische Vergangenheit und Gräuel verwischt, versteckt, verdrängt!" Für die Schülergruppe zog David Schaeffert das Arbeits-fazit: "Wir haben viel Zeit und Herzblut investiert, um ein kleines Denkmal zu setzen." Das habe die AG motiviert, nun weitere Projekte in Angriff zu nehmen. Dem zollte Schulleiter Thilo Feucht Dank und große Anerkennung: "Macht weiter, klärt auf!" In Zeiten eines neuen Rechtspopulismus der AfD sei es um so wichtiger, sich mit jüdischer Geschichte und der Ermordung vieler Millionen Menschen auseinanderzusetzen, auch in der eigenen Region.

Catherine und Christopher Czekay sorgten an Geige und Klavier zwischen den Gesprächen für zum Thema passende jüdische Beiträge, etwa der ergreifenden Filmmusik aus "Schindlers Liste".