Beim Eintrag in das Goldene Buch der Stadt Kenzingen: Iréne Epstein De Cou (rechts) und Alice Dreifuss-Goldstein mit ihrer Familie sowie Vertretern des Gymnasiums, der Stadt und einigen Autoren der Pforte. Fotos: Göpfert Foto: Lahrer Zeitung

Präsentation: Holocaust-Überlebende berichten im Gespräch mit Schülern über Ausgrenzung und Verfolgung

Es dürfte wohl eine der eindringlichsten "Pforte"-Präsentationen gewesen sein. Bei der Vorstellung der neuen Ausgabe berichteten die Holocaust-Überlebenden Alice Dreifuss-Goldstein und Iréne Epstein De Cou über ihr Schicksal.

Kenzingen. Was haben Rassenideologie und Gleichschaltung mit den Menschen im Dritten Reich gemacht? Und wie gehen wir heute mit unserem Erbe in unserer Erinnerungskultur damit um? Diese Fragen stellt die aktuelle, 25. Ausgabe der "Pforte", die im Kenzinger Gymnasiums vorgestellt wurde. Und diese Frage stellte auch Kenzingens Bürgermeister Matthias Guderjan in seiner Rede. Es gelte aktiv Widerstand zu leisten, um die nachfolgenden Generationen durch Geschichtsbewusstsein, die Werte von Frieden, Toleranz und einem friedlichen Miteinander zu vermitteln. Denn was bei dem Anschlag in Halle geschehen sei und wie bestimmte Ideen wieder populär würden, sei "beschämend", betonte der Rathauschef und bat um eine Schweigeminute für die Opfer von Halle.

"Die Firnis von Demokratie ist dünn und brüchig", stellte auch Thilo Feucht, Schulleiter des Gymnasiums Kenzingen fest und betonte, dass es die Geschichte brauche, um aus ihr für die Gegenwart zu lernen. Die "Pforte" leiste hierbei einen wichtigen Beitrag. Denn nur durch die direkte Betroffenheit vor Ort werde es begreifbar, was es bedeute, wenn Gesellschaft ausgrenze und schließlich Millionen von Menschen ermordet werden.

Auch Oliver Morlock vom Regierungspräsidium betonte, wie wichtig die Erinnerungskultur sei. Klaus Weber, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Geschichte und Landeskunde in Kenzingen, stellte die aktuelle Ausgabe der Pforte vor und sprach über die Entstehungsgeschichte. Schriftleiterin Roswitha Weber erklärte, dass Kenzingen großes Glück habe mit Iréne Epstein De Cou eine Vermittlerin zu haben, die auch Alice Dreifuss-Goldstein wieder nach Kenzingen gebracht habe und mahnte: "Auch jetzt befinden wir uns wieder in einer Bewährungsprobe. Alle, jeder Einzelne sollte die Verantwortung fühlen", erklärte Weber und forderte auf: "Sprechen Sie mit ihren Kindern in den Familien darüber. Sie brauchen das."

Ausgrenzung ging Schritt für Schritt vonstatten

Wie Ausgrenzung damals Schritt für Schritt vorangegangen war und wie Freunde und Nachbarn schließlich zu Fremden wurden, das berichtete die Holocaust-Überlebende Alice Dreifuss-Goldstein im Dialog mit den Kenzinger Schülern. Diese hatten sich zuvor im Rahmen der Eine-Welt-AG und des internationalen Erasmus-Projekts mit den Stolpersteinen in Kenzingen beschäftigt und eine Broschüre herausgebracht, die über die Juden in Kenzingen Auskunft gab und die der "Pforte" beigelegt ist.

Ihr Vater und ihre Mutter waren fest ins Dorfleben integriert gewesen, berichtete Dreifuss-Goldstein Doch ab 1933 änderte sich das. Ihr Vater war in den Vereinen und bei den Bierrunden mit Freunden nicht mehr willkommen. Als er bei einem Konzert des Kenzinger Gesangsvereins Deutschlandlied und Gruß verweigerte, wurde er "wie ein räudiger Hund" aus dem Saal gejagt. "Wir wussten, dass es nicht richtig war, aber wir ließen es geschehen und sagten nichts", sagte später ein Sänger. Der Nationalstolz sei wichtiger als das Gewissen gewesen.

Freunde begannen sich von der Familie abzuwenden, aus Angst mit Juden gesehen zu werden und kauften allenfalls nur noch heimlich im Laden der Familie ein. Als Alices Vater und Großvater in der Reichpogromnacht deportiert wurden, "tat niemand etwas", erinnerte sich Dreifuss-Goldstein.. Als ihr Vater wieder zurückgekommen war, wanderte die Familie aus und schaffte es mit einem der letzten Schiffe vor dem Ausbruch des zweiten Weltkriegs nach Amerika zu kommen.

Irène Epstein De Cou berichtete von dem Schicksal ihres Vaters, der bereits 1933 ahnte, was passieren würde und gegen die Faschisten kämpfen wollte. 1943 schloss er sich der Résistance, der französischen Widerstandsbewegung gegen die Deutschen, an und starb dabei. "Für mich war er ein Held", erklärte Epstein De Cou und berichtete von ihrer Kindheit sowie von dem Gefühl der Verlassenheit, als auch noch ihre Mutter und Großmutter früh verstarben. "Ich dachte immer, ich bin allein, bis ich die vielen Gräber in Eichstätten sah, die alle den Namen Epstein trugen", berichtete sie.

Epstein De Cou betonte abschließend, dass es nachdem, was in Halle und überall auf der Welt geschehe, wichtig sei, sich bewusst zu machen, dass sich alles wiederholen könne. "Es heißt wachsam sein und kämpfen, damit Lehren aus der Geschichte gezogen werden und Antisemitismus nicht wieder in einer Tragödie endet."

Für versöhnliche Töne sorgten im Laufe des Abends immer wieder die Liedbeiträge der Schüler. So sang etwa der Chor der Grundschule an der Kleinen Elz "Bitte hör nicht auf zu träumen" und Wir sehnen uns nach Frieden", während die Oberstufen-Schüler meisterhaft "The Mermaid’s Song" von Haydn, "Salamander" von Brahms und die Air-Suite von Johann Sebastian Bach darboten.