Fototermine zählt Jochen Paleit nicht zu seinen Paradedisziplinen. Für die Lahrer Zeitung ließ er sich dennoch ablichten, vor seinem Arbeitsplatz, dem Rathaus in Kappel. Foto: Bender

Bürgermeister Jochen Paleit über Schönes, Unangenehmes und Erhellendes

Kappel-Grafenhausen - Ein Nordlicht in Südbaden – kann das gut gehen? Es kann. Der lebende Beweis: Jochen Paleit, seit zehn Jahren Bürgermeister von Kappel-Grafenhausen. Redakteur Felix Bender hat sich mit dem gebürtigen Osnabrücker unterhalten und – entsprechend seiner Amtszeit – zehn "Momentaufnahmen" seiner Arbeit und seines Lebens in der Doppelgemeinde zu Papier gebracht.

1. Meine schönsten Momente: "Solche stehen gerade vor der Tür. Diese Woche darf ich den Kindergarten Blumenwiese einweihen, nächste Woche die Grafenhausener Ortsdurchfahrt. Dahinter stecken lange Vorbereitungen, energische Diskussionen, punktgenaue Abstimmungen und präzise Arbeiten. Wenn solche Projekte erfolgreich sind, ja, das ist schön."

2. Meine schlimmsten Momente:  "Grundsätzlich ärgern mich alle Entscheidungen, bei denen nicht alle Argumente gehört werden und wo Lobbyisten das Ruder übernehmen. Ein Beispiel aus der großen Politik ist der Diesel-Skandal, vor unserer Haustür fällt mir da der Ausbau der Rheintalbahn ein. Wer aber kritisiert, muss sich auch klar machen, dass jeder Entscheider Verantwortung übernimmt. Und selten steht am Ende eine Entscheidung, die für alle das Paradies bedeutet."

3. Meine großzügigsten Momente: "Die habe ich bei allem, was mit Kindern und Schule zu tun hat. Wir prosperieren, unsere Einwohnerzahl ist erstmals auf über 5000 geklettert, da investieren wir gerne in die Bildung. In die Ausstattung der Gemeinschaftsschule, die wir zusammen mit Rust auf den Weg gebracht haben, fließen Hunderttausende Euro. Für das kommende Schuljahr haben wir mehr als 60 Anmeldungen. Das ist eine Hausnummer und zeigt uns, dass wir das Richtige getan haben und tun."

4. Meine intensivsten Momente:  "Erlebe ich grundsätzlich bei Gemeinderatssitzungen, vor allem bei Entscheidungen, die unser Leben auf Jahre prägen. Beispielsweise die Abkehr vom blinden Prozessieren beim Rückhalteraum Elzmündung, hin zu einer Lösung, die eine Verbesserung der Situation in unserer Gemeinde bedeutet. Der Rückhalteraum wird jetzt seit zwei Jahren gebaut. Wir bekommen gute Schutzmaßnahmen für unseren Ort, die nicht nur bei Flutungen helfen, sondern auch trockene Keller in Kappel bei einem Elz-Hochwasser gewährleisten. Gleichzeitig tun wir etwas für das Gemeinwohl, für die Menschen in Karlsruhe, Mannheim und Köln."

5. Meine skurrilsten Momente: "Da gibt es unzählige. Das reicht von kleinen Missgeschicken des Alltags, über die man schmunzelt, bis hin zu Kriminalfällen im Ort, die unglaublich wären, wären sie nicht tatsächlich passiert. Für mich persönlich sind Fototermine skurril. Die gehören nicht zu meinen Lieblingsaufgaben als Bürgermeister."

6. Meine erhellendsten Momente: "Erhellend sind für mich immer Gespräche mit Menschen, die von Obdachlosigkeit bedroht sind. Wenn ich feststelle, wie wenig diese Menschen im Fokus der Gesellschaft stehen. Wir kümmern uns um so vieles und ganz viele Gruppen haben Lobbyisten. Aber einige sind einfach unter dem Radar. Es ist erhellend im Sinne von verdeutlichend, zu sehen, dass wir diese Menschen viel stärker in unsere tägliche Arbeit einbinden müssen."

7. Meine aufregendsten Momente:  "Liegen schon ein bisschen zurück. Wenn man jung und unerfahren ist, geht der Puls schon mal hoch, wenn man meint, vieles beeinflussen zu können und allem hinterherrennen zu müssen. Mit der Zeit kommt aber die Erfahrung und damit auch eine gewisse Gelassenheit, die für diesen Job unerlässlich ist."

8. Meine unangenehm sten Momente: "Alle paar Jahre kommt es vor, dass man einen Tagesordnungspunkt für eine Gemeinderatssitzung falsch eingeschätzt, nicht ganz so gut vorbereitet hat. Wenn das dann offensichtlich wird und es dafür Kritik gibt, ist das sicher keine Sternstunde im Leben eines Bürgermeisters. Ich nehme es dann an und arbeite noch mal nach. Fehler gehören dazu. Da muss man die Größe haben und sagen: ›Das ist echt dumm gelaufen‹."

9. Meine nachdenklich sten Momente: "Die habe ich am Volkstrauertag, wenn ich an den Kriegsgräbern stehe. 2014, als sich der Beginn des Ersten Weltkriegs zum 100. Mal jährte, habe ich mir die Mühe gemacht, alle Namen der Söhne Kappel-Grafenhausens bei der Gedenkfeier vorzulesen, die in den beiden Weltkriegen gefallen sind. Es waren weit über 300. Die Vorstellung, damals Bürgermeister gewesen zu sein und all diese Todesnachrichten zu erhalten, das ist fürchterlich!"

10. Meine stolzesten Momente: "Stolz ist ein Attribut, das ich mit Überheblichkeit verbinde und mir nicht zuschreiben würde. Zufrieden ist besser. Zufrieden bin ich, wenn uns das Regierungspräsidium in diesem Monat für den Autobahnausbau 120 000 Ökopunkte für ebenso viele Euro abkauft. Wir haben insgesamt 5,6 Millionen Ökopunkte auf unserem Konto. Man sieht, dass auch Projekte wie die Wilden Weiden im Taubergießen, jenseits des Mainstreams, Erfolg und am Ende sogar Ertrag bringen können."

Info: Zur Person

Jochen Paleit, Jahrgang 1970, ist gelernter Ingenieur und Landschaftsarchitekt. Nach einigen befristeten Anstellungen in den 90ern kam er 2001 ans Regierungspräsidium in Freiburg. Dort begleitete er viele Projekte entlang des Rheins und lernte dabei die Doppelgemeinde kennen. Als das Amt des Bürgermeisters vakant wurde, bewarb sich Paleit. Im Januar 2008 hievten ihn die Kappel-Grafenhausener – für viele überraschend – im zweiten Wahlgang auf den Chefsessel im Rathaus. Im November 2015 wurde der Vater zweier erwachsener Töchter mit großer Mehrheit im Amt bestätigt.