Waren sich einig, dass Kultur eine ganz besondere Rolle spielt (von links): Nicolaus Wilhelm, Cornelia Lanz, Egbert Tholl und Robert Castellig Foto: Haberer

Negative Folgen durch die Corona-Pandemie befürchtet

Nicolaus Wilhelm, der einzige Lahrer in der Runde, prägte den Begriff eines Lebenselixiers, ohne das die Welt deutlich ärmer, das eigene Dasein schlichtweg langweilig wäre. Die in Offenburg lebende Regisseurin und Theaterpädagogin Annette Müller bezeichnete den durch die Pandemie gleich zwei Mal erzwungenen Lockdown als "Fastenzeit", in der wichtige Bausteine des menschlichen Daseins ausgehebelt und in Frage gestellt wurden.

Wilhelm und Müller waren sich mit Rüdiger Bering, dem Chefdramaturgen des Theaters Freiburg, dem Münchner Kulturredakteur Egbert Tholl (Süddeutsche Zeitung) und Robert Castellig vom Münchner Kulturzentrum Gasteig einig, dass der Begriff "Kultur" weit mehr umfasst als den Besuch einer Ausstellung, eines Konzerts oder einer Theatervorstellung.

Die lebhafte, unter dem Strich sicher etwas theaterlastige, Diskussion zeigte aber auch die Gefahren auf, die den Kulturbetrieb in Ausnahmezeiten bedrohen. Seine Institutionen und Akteure wurden und werden in der aktuellen Ausnahmesituation zwar mehr oder weniger unterstützt und finanziert, letztlich aber doch "bedenkenlos kaltgestellt und ausgehebelt".

Ausbluten der gesamten Branche befürchtet

Nach zwei Jahren Pandemie drohe noch immer ein Ausbluten der Branche, bestehe die Gefahr, dass Sparzwänge zuerst in der Kultursparte umgesetzt werden. Diese wiederum müsse mit Kreativität und Fantasie ihr Feld behaupten. Moderatorin Cornelia Lanz erinnerte daran, dass in Lahr bereits im Mai 2021 wieder eine Oper produziert und unter freiem Himmel aufgeführt wurde, dass trotz Zuschauerbegrenzung, Maskenpflicht und "2G plus" derzeit fast alle Veranstaltungen gestemmt werden. "Die Wintertournee des Russischen Nationalballetts wurde auf sechs Vorstellungen zusammengestrichen, zwei davon fanden in Lahr statt", wie sie betonte.

Annette Müller zeigte am Beispiel ihres Projekts "Room 27" auf, wie in der Pandemie ganz neue Formate entstanden sind. Robert Casellig hat das von ihm geleitete "Gasteig" in ein offenes Haus verwandelt, dessen Foyer ganztägig für Besucher offensteht.

Einfache Lösungen funktionierten aber oft nicht. Die Flut schneller, oft billig produzierter "Livestreams" habe der Livekultur eher geschadet. Projekte wie das von der Lahrer Rockwerkstatt mit organisierte, von Nicolaus Wilhelm vorgestellte Onlinefestival "We Live" seien eben nicht zum Nulltarif zu haben.

Egbert Tholl wagte in diesem Zusammenhang auch eine deutliche Kritik an mancher Kulturinstitution. Große Orchester bekleckerten sich seiner Meinung nach nicht gerade mit Ruhm, wenn sie der Pandemie damit begegneten, große Werke von Beethoven oder Bruckner mit kleiner Besetzung aufzuführen, anstatt die Chance zu nutzen, zeitgenössische Werke auf die Bühne zu bringen, die für genau diese geschrieben wurden.

Gemeinderätin Ti-Dai-Trang Nguyen erinnerte daran, dass Menschen die Kultur in ihrer ganzen Vielfalt ebenso brauchten wie die Luft zum Atmen, dass der kulturelle Austausch auch das Zusammenleben befeuere, Offenheit und Toleranz stärke.

Der Begriff Kultur definiere sich auch über die Begegnung, die Kommunikation und den Austausch, über die Wahrung von Traditionen und einem guten Essen, so die einhellige Meinung. Er stifte Identität, präge gesellschaftliche Normen und die Lebensweise des Menschen, unsere Ästhetik und Modetrends. Die Kultur sei also weit mehr als nur systemrelevant. Sie zähle zu den elementaren Triebfedern der menschlichen Gesellschaft.