An einer Kuhherde vorbeizulaufen ist nicht gefählich, sofern man die Tiere in Ruhe lässt und nicht erschreckt. Foto: Warnack

Tierangriff: Grund für tragischen Vorfall in Ichenheim ist noch unklar / Bauern-Kollegen mahnen zur Vorsicht

Ichenheim - Zu einem tragischen Vorfall ist es am frühen Dienstagabend in Ichenheim gekommen: Ein Landwirt ist auf einer Weide von einem Stier attackiert und schwer verletzt worden. Er war gerade dabei, die Kühe zum melken in den Stall zu treiben.

"Der Verletzte musste nach einer notärztlichen Erstversorgung mit einem Rettungshubschrauber in eine Offenburger Klinik gebracht werden", schreibt die Polizei in einer Meldung. Ersthelfern sei es zuvor gelungen, den Stier und weitere im Gatter befindlichen Tiere von dem Angegriffenen zu trennen.

Wie genau es zum Stier-Angriff kam, ist noch unklar und wird derzeit von der Polizei Neuried ermittelt. Eine Beteiligung Dritter sei nach aktuellen Feststellungen der Ermittler nicht erkennbar.

Spaziergänger sollen Kühe auf keinen Fall erschrecken

Landwirt und Sprecher für die freien Bauern Baden-Württembergs Thomas Frenk kennt das hohe Gefahrenpotenzial, das mit einem solchen Tier einher geht. Auch er habe früher Zuchtbullen gehalten, ist aber genau aus diesem Grund auf die künstliche Besamung seiner Kühe umgeschwenkt (siehe Info).

"Ein Deckbulle, der für rund zwei Jahre in einer Kuhherde mitlaufen und ›sich austoben‹ darf, wird mit der Zeit schwerer, größer und gewinnt an Stärke – und das merkt er auch", erklärt der Landwirt aus Nonnenweier.

Bei vielen Bullen würde sich über die Zeit hinweg auch der Besitzanspruch über die Herde ausprägen. "Da handelt das Tier dann aus seinem Instinkt heraus", so Frenk. Fremdes und Bedrohliches würden "platt gemacht".

Durch die Besteigungen würde außerdem mehr Adrenalin ausgeschüttet, "was bei vielen Bullen zur erhöhten Aggressivität führt". Äußerste Vorsicht sei bei diesen Tieren geboten, auch der Besitzer müsse stets ein wachsames Auge behalten.

Mit dem "Torbogenreflex" bringt Frenk einen weiteren Grund an, weshalb es immer wieder zu Vorfällen mit Bullen kommt. "Dreht der Landwirt in einem ungünstigen Moment dem Stier den Rücken zu, könnte dieser den Menschen als Paarungsobjekt ansehen und aufspringen." Und das werde mit einem 700 bis 800 Kilogramm schweren Tier zur Lebensgefahr.

Ein Bulle, der einmal einen Menschen angegriffen hat, werde dies wieder tun – "man kann das Tier ja nicht einfach in eine Psychotherapie schicken." Für Frenk sei somit klar, der Stier müsse geschlachtet werden – "da gibt es keine andere Wahl".

Den Teufel an die Wand malen, wolle der Nonnenweierer aber nicht. Spaziergänger müssen nun nicht in Angst und Schrecken leben, wenn sie an einer Weide vorbeilaufen. "In der Ortenau gibt es keine Bullenweide – und wenn, dann ist diese gekennzeichnet." Dennoch weißt Frenk ausdrücklich darauf hin, die Tiere – auch die Kühe – nicht zu füttern oder gar zu erschrecken.

TikTok Challenge "Kulikitaka"

"Es ist unfassbar, dass es Menschen über soziale Medien schaffen, eine wahnsinnig gefährliche Challenge auf die Beine zu stellen, die dann auch noch zigfach nachgeahmt wird", ärgert sich der Landwirt und spricht von der "Kulikitaka Challenge" bei TikTok.

Die Menschen stellen sich dabei vor eine Kuhherde und erschrecken diese. "Kühe können diese Bewegungen nicht reflektieren, sie handeln instinktiv – und sind sie einmal voller Panik am Rennen, dann machen sich alles platt, was ihnen in den Weg kommt", warnt Frenk. Einfach in Ruhe anschauen, den Anblick genießen und weitergehen.

"Es ist ein unglaublich tragischer Vorfall", sagt der Neurieder BLHV-Ortsverbandsvorsitzende David Mild im Gespräch mit unserer Zeitung. Er wolle sich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, da er selbst kein Vieh hält.

Aber auch er schließt sich den Anweisungen Frenks an: "Man sollte den notwendigen Respekt und die Achtung vor dem Tier nicht vergessen." Eine hundertprozentige Sicherheit gebe es aber natürlich nicht. "Die gibt es aber auch zwischen uns Menschen nicht", gibt Mild zum Nachdenken mit.

Für Thomas Frenk, Landwirt aus Nonnenweier, ist das Risiko mit einem Zuchtbullen zu groß geworden. Er hat sich für seine Kühe stattdessen seit einigen Jahren für die künstliche Besamung entschieden.

Mithilfe eines Mitarbeiters des Zuchtverbands und dem Anpaarungsprogramm "CowShip" werden für die Kühe die passenden Bullen herausgesucht. "Für meine 40 Tiere habe ich zwölf verschiedene Bullen zur Auswahl und die optimalen Bedingungen", so Frenk.