Kann die allgemeine Verunsicherung durch die derzeitige Situation auch eine individuelle Angststörung auslösen? (Symbolfoto) Foto: geralt / pixabay

Pandemie stellt die Psyche vor Herausforderungen. Klinik informiert über Folgen.

Hornberg - Die Corona-Pandemie hat weltweit Ängste geschürt. Neben der Sorge vor einer Ansteckung mit dem Virus SARS-CoV-2 stellte sich bei vielen Menschen eine Angst vor Jobverlust, gesundheitlichen Folgen oder dem Verlust der eigenen Freiheit ein.

Die in Hornberg ansässige Oberberg-Fachklinik Schwarzwald informiert darüber, was das für die Menschen bedeutet. "Anders als bei bekannten Phobien gegen bestimmte Situationen oder Objekte, wie enge Räume, Höhe oder Tiere, stellt die Pandemie eine unsichtbare Bedrohung dar", heißt es in einer Mitteilung der Klinik. Die Neuartigkeit des Virus steigere demnach die Unsicherheit zusätzlich, weil erfolgreiche Verhaltensmuster fehlen oder zumindest nicht erprobt sind, um entsprechend reagieren und sich vor der Entstehung von Ängsten schützen zu können.

Eigentlich ist Angst eine normale Reaktion auf greifbare Bedrohungen

Angst sei zunächst nichts Schlimmes. Sie schützt und mahnt zur Vorsicht. "Sie ist eine normale Reaktion, die bei realen Bedrohungen auftritt. Üblicherweise ist Angstempfinden individuell, die Pandemie führte jedoch zu einer kollektiven Angst", heißt es.

Kann die allgemeine Verunsicherung durch die derzeitige Situation auch eine individuelle Angststörung auslösen? Und führen die der-zeitigen Lockerungen rund um Corona dazu, dass die Ängste abnehmen?

Matthias J. Müller, Ärztlicher Direktor und Medizinischer Geschäftsführer der Oberberg-Gruppe, erklärt: "Gerade in Krisen ist Angst zunächst als emotionale und affektive ›Sofortreaktion‹ angelegt und sinnvoll. Denn diejenigen, die sich vermeintlich angstfrei Gefahren aussetzen, nehmen in der Regel auch häufiger Schaden." Mit zunehmender zumindest subjektiver Kontrolle über das Pandemiegeschehen, zum Beispiel durch den Rückgang der Infektionszahlen oder fehlende ernste Krankheitsverläufe im eigenen Umfeld, reduziere sich in der Regel das Angstniveau. Dies geschehe auch durch "Habituation" (Gewöhnung), egal, ob diese angemessen sei oder nicht. Bei manchen Menschen mache sich das als unangemessen geringe Angst und Sorge bemerkbar, "als ob schon alles vorbei wäre".

"Bei anderen kann sich jedoch die Angst weitgehend unabhängig von den objektiven Entwicklungen unbemerkt weiterentwickeln, jede auch vernünftige Lockerung wird zur zusätzlichen Bedrohung. Dies kann zu irrationaler oder unangemessener Angst führen oder gar Angststörungen auslösen", so Müller weiter.

Darüber hinaus komme noch ein zweiter Mechanismus ins Spiel. "Unser Alltag hat sich durch die Pandemie und auch durch die Schutzmaßnahmen dramatisch verändert", erläutert Andreas Wahl-Kordon, Ärztlicher Direktor der Oberberg Fachklinik Schwarzwald.

Vieles, was im Alltag als sicher angesehen wurde, musste aufgegeben werden. Viele neue Dinge sind dazugekommen und einiges davon in kurzer Zeit. "Dieser Verlust von Routinen kann Unsicherheit auslösen und bei Unsicherheit empfinden viele Menschen Angst", so Wahl-Kordon. Dazu kommen konkrete Sorgen um Angehörige und ganz reale Ängste vor finanziellen Folgen oder beruflichen Konsequenzen. "Je nachdem, wie gut unsere Fähigkeiten sind, solche Herausforderungen zu meistern, kann der Einzelne damit gut umgehen, während für andere diese Unsicherheit eine große Herausforderung darstellt", sagt der Ärztliche Direktor.

Betroffene einer Störung verlieren die Kontrolle

Bei Angststörungen, also krankhafter Angst, handelt es sich demnach um gesteigerte und situationsunangemessene Angst in eigentlich ungefährlichen Situationen. "Eine Angststörung entsteht meist nicht aus heiterem Himmel. Oft haben Betroffene eine vererbte Neigung zu dieser Erkrankung, oder angstprägende und auch traumatische Ereignisse in der Lebensgeschichte", erklärt Wahl-Kordon.

Alle Angststörungen hätten gemeinsam, dass die Angst sehr intensiv ist und lange anhält, während sie der realen Gefahr nicht angemessen ist. Die Angst scheine für Betroffene unkontrollierbar zu sein. Sie hätten die Tendenz, aus der bedrohlichen Situation zu fliehen oder diese zu vermeiden. Dieses Verhalten führt zu deutlichen Einschränkungen in der Lebensführung, weil immer mehr angstbehaftete Situationen vermieden werden.

Da Angststörungen unbehandelt chronisch verlaufen können, ist laut Mitteilung eine effektive Therapie wichtig, um den Umgang mit den Ängsten zu erlernen. Die Behandlungsmöglichkeiten der Angststörungen lassen sich in drei Kategorien unterteilen: Psychotherapie, medikamentöse Therapie und weitere Behandlungsverfahren. Diese Verfahren können auch miteinander kombiniert werden. In der Psychotherapie kommen in der Regel verhaltenstherapeutische oder psychodynamische Therapien und Techniken zum Einsatz. "Ziel einer Psychotherapie ist es, die gestörte Angstwahrnehmung zu normalisieren und Techniken im Umgang mit der Angst, zum Beispiel in sogenannten Expositionsübungen, zu erlernen", heißt es. Bei der medikamentösen Therapie handelt es sich hauptsächlich um angstlösende Bedarfs- oder Dauermedikamente, die oft aus der Gruppe der Antidepressiva kommen. In manchen besonders schweren Fällen machen Medikamente eine psychotherapeutische Behandlung erst möglich. Wichtig sei, dass abhängig machende Beruhigungsmittel vermieden werden. Andere Verfahren sind beispielsweise Sport und Entspannungsverfahren. Sport als Therapie ist noch nicht bis ins Detail untersucht, scheine aber vielversprechend bei der Bewältigung von Angststörungen zu sein.