Andreas Eichler im Ausstellungsbereich der Upcycling-Werkstatt in Herbolzheim, in der alte Dinge aufbereitet werden. Fotos: Göpfert Foto: Lahrer Zeitung

Nachhaltigkeit: Bei 48 Grad Süd werden alte Stoffe und Möbel zu individuellen Schmuckstücken

Aus einer Plane wird ein Kosmetikbeutel, aus einer ausgedienten Gitarre ein Schrank – das Projekt Faircycling bei 48 Grad Süd gibt Gegenständen eine zweite Chance und hilft Menschen dabei, wieder auf die Füße zu kommen.

Herbolzheim/Emmendingen. "Dieses einzigartige Designerstück wurde von Nicole entworfen und genäht. Unser Projekt gibt ihr die Chance, als alleinerziehende Mutter von zwei Kindern einen beruflichen Neuanfang zu wagen", ist auf dem Etikett einer Tasche von "Einzigware" zu lesen. Das Label wurde unter der Federführung des Caritas-Verbands entwickelt. Unter ihm haben sich insgesamt 20 Beschäftigungs- und Qualifizierungsbetriebe zu einer Arbeitsgruppe zusammengeschlossen, mit dazu gehört auch "48 Grad Süd – Zentrum für neue Arbeit" mit der Nähwerkstatt "Fairnäht", der Upcycling-Werkstatt, der Fahrradwerkstatt "Fairbike" und einer Secondhand-Baumarkt-Abteilung in Emmendingen und Herbolzheim.

Dort entstehen aus scheinbar wertlosen Gegenständen und Restposten Unikate, die dann in den "Fairkauf"-Geschäften in Emmendingen oder Herbolzheim erworben werden können. Zudem gibt das Projekt Langzeitarbeitslosen eine Chance, einen Einstieg ins Arbeitsleben zu finden. 15 Frauen und Männer werden momentan in den unterschiedlichen Arbeitsbereichen qualifiziert und betreuen als Warenmeister einzelne Projekte.

Jedes Produkt hat eine individuelle Geschichte

Ein Verkaufsschlager waren auch dieses Jahr wieder die Shopper und Kulturtaschen aus alten Werbebannern der Caritas, erklärt Marlies Hartmann, die Leiterin des Bereichs "Fairnäht". "Das Material ist dafür ideal geeignet. Es kann Sonne und Sand trotzen, ist luftdurchlässig und zudem leicht abwaschbar. Zudem waren die Motive, die die Banner zeigten, dieses Jahr besonders schön, sodass hübsche Taschen entstanden sind", berichtet sie begeistert. Ebenfalls beliebt sind Brot- oder Gemüsetüten aus Baumwolle und Leinen. Mit einem schlichten, aber trendigen Aufdruck versehen, machen sie einiges her – und sorgen, da Leinen und Baumwolle luftdurchlässig sind, für eine gute Haltbarkeit der Produkte. Sie gehören zu den Produkten, die nicht nur in Emmendingen und Herbolzheim, sondern in insgesamt sechs Kaufhäusern von "48 Grad Süd" verkauft werden.

Was genau bei "Fairnäht" aus den gespendeten Stoffen hergestellt wird, das hängt zum einen von den Ideen und Kenntnissen der Warenmeister, zum anderen aber auch von den vorhandenen Materialien ab: So hatte etwa die Feuerwehr ihre alten Jacken zur Verfügung gestellt. Die Grillschürzen und Federmäppchen mit lustigen Sprüchen, die daraus entstanden, waren im wahrsten Sinne des Wortes heiß begehrt, berichtet Hartmann.

Ein Architekt aus Brasilien hat sich der Lederarbeit verschrieben: Mit großer Genauigkeit lässt er aus alten Büchern, Papier und Lederresten stilvolle Notizbücher entstehen. Ein Schneider aus Syrien nähte, während er in Emmendingen arbeitete, bunte Boxershorts aus den alten Stoffen. "Es ist spannend, wie alte Dinge, die ja zum Teil die Spuren ihrer Geschichte tragen, eine neue Bestimmung bekommen", schildert Hartmann. Sie hat auch bemerkt, dass solche Produkte inzwischen verstärkt nachgefragt werden. "Man merkt deutlich, dass gerade auch durch die Fridays-for-Future-Bewegung ein Umdenken in unserer Gesellschaft hin zu mehr Nachhaltigkeit stattfindet."

In jedem Fall ist das, was bei "Fairnäht" entsteht, ein Unikat, das individuell angefertigt wurde und das es so kein zweites Mal gibt. Die Ideen bringen die Teilnehmer selbst mit, so Hartmann. Jeder von ihnen habe seine Projekte, die auf seine Fähigkeiten zugeschnitten sind. Dann wird gemeinsam überlegt, wie das Projekt umgesetzt werden kann. "Das kann mühsam, ist aber notwendig, um bei der Produktion möglichst effektiv voranzukommen", erklärt sie.

Aus alten Betten entstehen neue Sitzbänke

Planung ist auch bei der Upcycling-Werkstatt in Herbolzheim wichtig, erklärt Leiter Andreas Eichler, der mit seinem Team Möbel und kleine Objekte modernisiert. Beim "Fairkauf" in Herbolzheim gibt es ein Lager, in dem die gespendeten Möbelstücke gelagert werden. "Oft legen die Leute beim Entrümpeln speziell Sachen fürs Upcycling bei Seite", sagt Eichler. Bevor mit der Modernisierung gestartet wird, muss jedoch zunächst überprüft werden, ob das Möbelstück den Aufwand überhaupt lohnt. "Schließlich steckt man dort Farbe, Können und Zeit hinein", gibt Eichler zu bedenken. Das rentiere sich bei einem Sperrholzschrank, der kurz vor dem Zusammenfallen ist, weniger als bei einem Möbelstück aus Massivholz, das eigentlich noch gut in Schuss ist und dessen Design nur einfach aus der Mode gekommen ist.

Ein Verkaufsschlager in Herbolzheim sind alte Holzstühle, die Eichler in verschiedenen Pastellfarben bemalt. "Zusammen mit einem weißen Tisch sieht das sehr gut aus", weiß er. Der Fantasie sind in der Upcycling-Werkstatt keine Grenzen gesetzt: So entstehen aus den Fußenden alter Betten Bänke und aus ausgedienten Gitarren Regale. Besonders beliebt sind auch alte Nähmaschinen, bei denen die Mechanik entfernt wird und die zu kleinen Tischen umgearbeitet werden. "Um so etwas zu schaffen, braucht man etwas handwerkliches Geschick, aber auch Freude an der Arbeit", erklärt Eichler. Schließlich müsse das Ergebnis hinterher auch ansprechend aussehen.

Auch Kunstwerke aus verschiedenen Fundstücken sind zu erwerben: "Wir werfen etwa niemals Pinsel weg", sagt Eichler. Nebeneinander geklebt und in Weiß bemalt, entsteht so ein ansprechendes Bild, das etwa schon eine Malerfirma für ihre Firmenräume erworben hatte. Aus Serviertellern entstehen Etageren, aus einem alten Telefon Lampen und aus Jeans, die mithilfe von Teppichröhren versteift wurden, ein Stehtisch. Ein Beispiel für die Kreativität der "Upcycling-Werkstatt" ist auch der öffentliche Bücherschrank in Herbolzheim. Diese Bücherinsel wurde extra für die Marktpassage gestaltet und gebaut.

Doch es ist nicht nur das Material und die Verarbeitung, die die Produkte so einzigartig machen, es sind auch die Menschen, die dahinter stehen. Sie sind Langzeitarbeitslose, die durch das Projekt eine neue Chance bekommen, wieder ins Arbeitsleben zu kommen. Dabei geht es nicht nur um die neuen Kenntnisse, die sie erwerben, wissen Eichler und Hartmann. "Man kann miterleben, wie sie durch die Arbeit wieder Struktur und Freude gewinnen und so das Leben wieder ein Stück lebenswerter empfinden. Sie sind stolz auf ihre Arbeit und auf das, was sie geschaffen haben. Das ist ein hoher Wert, den sie mit nach Hause nehmen", weiß Hartmann.

Weitere Informationen: www.48gradsued.de

Einen kleinen Wermutstropfen gebe es bei Faircycling, erklärt Eichler: "Es wäre schön, wenn der Erlös für die Stücke so hoch wäre, dass man damit auch einen Arbeitsplatz schaffen könnte." Doch würde man diese Preise verlangen, würde niemand mehr die Stücke kaufen. Alleine von den Verkaufserlösen kann das Projekt deshalb nicht gestemmt werden. Mitfinanziert und gefördert wird es seit 2017 über den Europäischen Sozialfonds (ESF). Diese Förderung wurde erst kürzlich für weitere zwei Jahre verlängert. Um die Anleitung der Teilnehmer finanzieren zu können, wird das Projekt zusätzlich vom Jobcenter Emmendingen unterstützt. Die Volkshochschule Nördlicher Breisgau ist als Kooperationspartner neu dazugekommen und wird während im kommenden Jahr begleitende Kurse für Kinder und Erwachsene zu Themen rund um das Upcycling anbieten.