Unaufgeregt las Materni aus ihrem Gedichtband "Wünschen und Wollen" vor. Foto: Störr Foto: Schwarzwälder Bote

Literatur: Undine Materni und Bastian Schneider eröffnen "Vom poetischen Wort"

Der Leselenz-Samstag gehört der Lyrik. Für José F. A. Oliver ist es der Tag, auf den er sich das ganze Jahr freut. Das sagte er bei der Begrüßung in der Mediathek, wo Undine Materni und Bastian Schneider den Tag der Lyriker eröffneten.

Hausach. "Es ist mir eine ganz große Freude, dass 16 Lyriker in der Stadt unterwegs sind und für poetische Augenblicke sorgen werden, in denen man den ganzen Tag etwas für sich finden kann", betonte Oliver zu Beginn der Reihe "Vom poetischen Wort". Poesie sei für ihn eine Form des Widerstands. Die deutsche Sprache und den deutschsprachigen Raum zeichne die Vielstimmigkeit aus. Undine Marterni zeige, wie Gedichte das völlig nackte Geräusch der Poesie aufleben lassen.

Unaufgeregt las Materni aus ihrem Gedichtband "Wünschen und Wollen" den Text "Das abwesende Haus meines Vaters". In der Backstube umkreist er seine mehlweiße Welt. "Mein Vater dachte Worte wie Zuckersalzhefeundmehl, Kakaucrememilchundschokolade, Kardamonmingwerundzimt. So sprach er in der vierten Stunde des Morgens mit sich, dann verschwieg er sich über den Tag. Mein Vater ist immer auf halber Sohle gegangen."

Tiefgründig führte sie ihre Zuhörer in seine Welt, in der er sich stetig und still den Teig und die Brote zu täglich wechselnden Freunden machte. "Halb hat er eine Frau geliebt, ein viertel blieb für die Kinder. Die waren weder formbarer Teig noch vergängliche Kruste", las Materni. Beeindruckend verstand es die Autorin, mit schlichten Worten das Bild des schweigsamen Bäckers und seinen späteren Verfall bis hin zum Tode zu zeichnen.

Mit dem nächsten Gedicht entführte sie in die nächtliche Stadt. "Dunkel wird es in der Stadt nie ganz, immer ist da noch eine Tagspur übrig. Nachts hat das Wort ›Licht‹ ein anderes Gewicht."

Mit zwei unveröffentlichten Texten aus ihrem Herzensprojekt, den alten Handwerken, verabschiedete sich Materni und machte den Stuhl frei für Bastian Schneider, den Oliver als Juror des Post-Poetry-Preises kennengelernt hatte. In der Jury des Dresdner Lyrik-Preises habe Oliver erneut Schneiders Gedichte gelesen und wenn er ihn mit einem kurzen Text beschreiben solle, würde er wählen: "Der Krieg dauert – die Sonne scheint – irgendwo backt einer einen Apfelkuchen."

So zeichneten sich Schneiders Texte durch eine feine Ironie aus, die tiefgreifend und sehr unterhaltsam neue Sichtweisen eröffneten. Wenn er beispielsweise aus seinem Buch "Die Schrift, die Mitte, der Trost – Stadtstücke" seine Gedanken über einen Bleistift-Stummel vorstellt und meint: "Jeder Bleistift hat das Zeug, zum Stummel zu werden." Das Vergehen der Zeit könne in Bleistift-Längen gemessen werden und Bleistifte würden vergehen, um in der Schrift für alle aufzugehen.

Auch seine ausführlichen Gedanken über die vielschichtigen Beziehungen des Sicherheitspersonals in blauen Pullovern mit roter Aufschrift, das sich montags als einziges in der Bibliothek aufhält, dem Magazin, dem Hand-Apparat und den Toiletten der Bibliothek unterhielt er tiefsinnig. Es war eine große Freude, Schneider zuzuhören und beinahe schade, als er sich mit dem Dilemma des Bleistifts verabschiedete: "Ich weiß nicht viel über Afrika – und dieser Bleistift wird nichts daran ändern."

Der Leselenz-Samstag stand ganz im Zeichen der Lyrik. Von 9.30 bis 15.30 Uhr gaben die Dichter aus verschiedenen Ländern in der Hausacher Mediathek das Mikrofon weiter. Der Schwabo hat stellvertretend die Lesung von Undine Materni und Bastian Schneider besucht. Außerdem lasen Carmen Camacho, Dincer Gücyeter, Matin Löwe Piekar, Lisa Goldschmidt und Andreas Neeser.