Im Diaolog mit Michael Serrer stellte Muhterem Aras ihre Sicht auf die Heimat dar. Foto: Störr

Literatur: "Politsache Buch": Muhterem Aras im Gespräch zum Thema "Heimat – Kann die weg?"

Hausach - Die letzte Veranstaltung des Leselenz 2.0 hat sich der Reihe "Politsache Buch" und Landtagspräsidentin Muhterem Aras gewidmet. In einer der ersten Präsenz-Veranstaltungen nach dem Lockdown verfolgten 100 Gäste das Gespräch zum Thema: "Heimat – kann die weg?".

Bei der Begrüßung sprach Leselenz-Kurator José F. A. Oliver von einem historischen Moment, weil genau vor einem Jahr die letzte Präsenz-Veranstaltung des Leselenz 2.0 habe stattfinden können. "Der Leselenz war das einzige Literaturfestival, das trotz der Corona-Krise stattgefunden hat", verwies er auf die Besonderheit.

Sein besonderer Dank galt Bürgermeister Wolfgang Hermann und Kulturamtsleiter Hartmut Märtin mit ihrem jeweiligen Team, weil die Veranstaltung trotz des hohen logistischen Aufwandes möglich wurde. Landtagspräsidentin Muhterem Aras habe er bereits vor 30 Jahren im Rahmen eines Literatur-Frühstücks getroffen und freue sich, dass sie jetzt Gast des Leselenzes wäre.

"Heimat ist ein Gefühl und ein Prozess"

Im Gespräch mit Michael Serrer, dem Leiter des Literaturbüros Nordrhein-Westfalen, stellte sie ihre Sicht auf die Heimat dar und erntete immer wieder großen Applaus. Nachdem ihr Buch bereits 2019 erschienen war (siehe Info), stellte Serrer nicht die gleichen, sondern lediglich ähnlich gelagerte Fragen. Bei deren Beantwortung hielt Aras ein Plädoyer für Offenheit und Gelassenheit im Miteinander der unterschiedlichen Kulturen. Heimat müsse nicht der Ort sein, an dem man geboren werde. "Heimat ist ein Gefühl und ein Prozess, der grundsätzlich etwas Positives und mit Emotionen verbundenes ist."

Für sie wäre Heimat wie ein Zwiebel, an erster Stelle stehe Stuttgart, dann Baden-Württemberg, Deutschland, Europa – und am Ende der Weltbürger. Selbst in der Türkei geboren, habe es bei ihr Jahre gedauert, bis Deutschland für sie zur Heimat wurde. Je mehr politische Verantwortung sie übernommen habe, je mehr habe sie das liberale Deutschland geliebt. "Heimat ist auch emotional. Man muss sich zugehörig fühlen", erklärte die Landtagspräsidentin und erklärte, warum die Türkei trotz dort verbrachter Kindheit und dort lebender Verwandtschaft nicht ihre Heimat wäre. Sie könne und wolle sich mit den Werten der Türkei nicht identifizieren. Seit Jahren gehe sie nur noch zu familiären Anlässen dort hin. Wenn sie hingehe, sei sie die Deutsche, obwohl sie sehr gut türkisch spreche.

Das Integrations-Paradox, wie Serrer es nannte, wurde anhand der Tischgesprächs-Metapher von der Landtagspräsidentin aufgezeigt. "Wenn Menschen mit Migrationshintergrund mit am Tisch sitzen, wollen sie nicht nur essen, was wir für sie bestellt haben. Sie wollen eigene Speisen und vielleicht auch die Tischregeln ändern, die festgelegt wurden, als sie noch nicht dabei waren." Eine heterogene Gesellschaft mit Interkulturalität wäre nicht nur Friede-Freude-Eierkuchen, sondern bringe auch Streit mit sich. Aber es müsse zivilisiert, anständig und fair gestritten werden.

Das "Tischgespräch" werde länger und anstrengender, aber man müsse es so führen, dass am Ende nicht nur Scherben übrig blieben. "Für mich ist das Fundament des Miteinanders das Grundgesetz. Es ermöglicht das vielfältige Miteinander." Es müsse gehütet werden wie ein Schatz. Der Begriff "Heimat" dürfe nicht den Rechtspopulisten überlassen werden, sie sei etwas Inklusives, Offenes und werde nicht weniger, wenn man sie teile. Den Ausführungen von Metherem Aras schlossen sich die Gäste mit einem ganz großen Applaus an.

Info

Muhterem Aras wurde 1966 als alevitische Kurdin in Elmaağaç (Türkei) geboren und studierte Wirtschaftswissenschaften. Sie arbeitete als Steuerberaterin und war Abgeordnete im Landtag von Baden-Württemberg für die Bündis 90/Die Grünen. Seit 2016 ist Aras Landtagspräsidentin und bekleidet damit als erste Frau dieses hohe Amt in Baden-Württemberg. Ihr Buch "Heimat – kann die weg?" ist im Dialog mit dem Kulturwissenschaftler und Germanisten Hermann Bausinger und unter der Moderation von Reinhold Weber entstanden. 2019 erschien es im Verlag Klöpfer, Narr (Tübingen).