Olaf Nägele (links) begeisterte wieder mit "Nägele mit Köpf" im Gasthaus Löwen. Foto: Störr

Leselenz: Claudia Pohel und Alexander Estis begeistern beim beliebten Format

Hausach - "Nägele mit Köpf" ist eine äußerst unterhaltsame Veranstaltung innerhalb des Hausacher Leselenzes, bei der es in jedem Jahr Überraschendes gibt. In diesem Jahr gab es gleich zwei "Köpf", die den zahlreichen Gästen vorgestellt wurden.

Zunächst gewährte Olaf Nägele in seiner bekannt kurzweiligen Art Einblicke in seine persönliche Gestaltung des Corona-Stillstands. "Ich habe den vierten Band vom Göttle fertig geschrieben. Der dritte Lockdown hat mich dann so zusammengestaut, dass ich lauter kurze Sachen geschrieben habe." Er habe sich auch vorgenommen, die mal an Herrn Böll zu schicken – womit Nägele die Lacher auf seiner Seite hatte und José Oliver zur jüngsten Auszeichnung gratulierte. "Das hat keiner so sehr verdient wie du – oder halt ich", leitete er dann zur Vorstellung seines neuen Buches "Göttle und die Blutreiter" über.

Vor dem Hintergrund des traditionellen Blutritts in Weingarten kriminalisiert Biberachs Gemeindepfarrer Andreas Göttle, während ihm ein Amtsenthebungsverfahren droht. Doch von so einer Kleinigkeit kann sich der Pfarrer natürlich nicht abhalten lassen, wenn es um die verschwundene Reliquie mit dem Blut Jesu geht. Wer Olaf Nägele kennt weiß, dass seine Buchvorstellungen eine äußerst gelungene Kombination aus lustiger Erzählung – bei der er selbst völlig ernst bleibt – und Lesung mit viel schwäbischem Dialekt ist. Und dann machte er etwas, das ein Autor normalerweise nie macht – er las die letzte Seite des Buchs vor

"Eine Matinee unterm Apfelbaum – mit so vielen Leuten – es ist ein Traum"

Als ersten Überraschungsgast stellte er dann Claudia Pohel vor, die sich zunächst "wunderbar aufgetaut" zeigte. Nach der Kälte des Eröffnungsabends sorgte strahlender Sonnenschein am Samstagvormittag für Sommertemperaturen im Außengelände des Gasthaus Löwen. "Eine Matinee unterm Apfelbaum – mit so vielen Leuten – es ist ein Traum", schwärmte sie dann, bevor sie zur Gitarre griff. Eigentlich habe sie den Stillstand des vergangenen Jahres zum Schreiben nutzen wollen, aber nichts geschafft. Ihr geplantes Lied mit drei Strophen wäre über die erste nicht hinausgekommen – was sie dann wortreich besang.

Mit viel guter Laune, passendem Sound-Effekt und einer ordentlichen Portion Humor ging es aufgrund der Friseur-Schließungen poetisch durch die "Heck im Gsicht" und den "horrige Verhau", durch "eiszapfekalte Fiaß" und immer anstrengender werdende Liebesbeziehungen. Und dann sei im Stillstand doch noch etwas entstanden, die "Umbruchs-Zeiten" großer Ereignisse wie der Corona-Krise. Mit großem Applaus bedankten sich die Gäste.

Nach einer Pause stellte Michael Serrer dann den nächsten Überraschungsgast vor: den aus Russland stammenden Alexander Estis. Der Leiter des Literaturbüros in Nordrhein-Westfalen nutzte augenzwinkernd die "offiziöse, weil gravitätischer klingende" offizielle Vorstellung des studierten Literaten – um später die ihm persönlich viel besser gefallende Vorstellung von Estis selbst zu verwenden (siehe Info). Aus seinem Buch "Handwörterbuch der russischen Seele" las Estis dann passend zur Leselenz-Eröffnung: "Kalt. Russland ist groß und kalt – und beides sehr. Lava fließt durch die Adern des Russen, aber weil es so kalt ist, versteinert sie an der Oberfläche des Körpers – das ist der Vorteil der Kälte." Er erklärte er lesend verschiedene Begriffe tiefsinnig wie Freundschaft: "Die russische Freundschaft ist so eng - dass du ihr nicht entgehen kannst."

Info

Alexander Estis, diensthabender Kaminer der Stereotypmaschinerie. In der Schweiz ein Deutscher, in Deutschland ein Russe, in Russland ein Jude. Zentaurischer Hybrid aus sowjetischem Säuferpoeten und ostpreußischem Altphilologen. Arbeitet in literarischen Miniaturformen, die für das Auge des großen Publikums zu klein sind. Bekanntheit erlangte er immerhin dafür, dass er keinen einzigen Roman verfasst hat. Seine Bescheidenheit verbietet es ihm, die zahlreichen Auszeichnungen und Stipendien zu erwähnen, die er beinahe erhalten hätte.