die Katholische Kirche in Haslach Foto: Kornfeld Foto: Schwarzwälder Bote

Offener Briefe: Katholische Pfarrer im Kinzigtal schätzen Forderungen bekannter Theologen an die Kirche ein

Theologen in Führungspositionen haben in einem offenen Brief an den Vorsitzenden der deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, Reformen der Kirche gefordert. Wie stehen die Pfarrer im Kinzigtal dazu?

Mittleres Kinzigtal. Die Schreiber des Briefs an Marx beziehen sich auf die sogenannte MHG-Studie, die sich mit dem sexuellen Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester beschäftigt und fordern einen Abbau des Klerikalismus.

Der Brief ist auch in Bezug auf das Treffen von Papst Franziskus mit den Vorsitzenden der Bischofskonferenzen aus aller Welt in den kommenden Tagen zu sehen.

Der Haslacher Pfarrer Steidel sagt zu den in dem Brief gestellten Forderungen: "Das kann ich vorbehaltlos unterstützen." Er wisse nicht, ob Lösungen in Sicht seien, aber die angesprochenen Themen gehörten auf den Tisch. Steidel sieht wie in dem Brief dargestellt, systemische Gründe für den Missbrauch. Auch an der Überhöhung des Priestertums "ist viel dran, manche gehören entzaubert". Er habe den Eindruck, "dass bei manchen jüngeren Kollegen der Klerikalismus wieder eher zu empfinden ist, als es schon mal war". Er stehe generell voll und ganz hinter dem Brief und befürworte auch die Öffnung des Priesteramts für Frauen.

Der Wolfacher Pfarrer Hannes Rümmele hingegen schätzt den Brief als nicht sehr wichtig ein. Die Verbindung von Zölibat und Missbrauch sieht er nicht.

Aber er sagt auch: "Es ist gut, dass es ein Wachrütteln gibt". So könne ein Läuterungsprozess eingeleitet werden. Eine Atmosphäre des gegenseitigen Respekts sei nötig um Missbrauch zu vermeiden.

Rümmele weist darauf hin, dass auch die evangelische Kirche unter Nachwuchsmagel leidet, obwohl viele der im Brief gestellten Forderungen dort erfüllt werden. "Es braucht nicht eine Wende in diesen Dingen, sondern zu Gott hin", so Rümmele.

Den Zugang von Frauen zum Priesteramt sieht Rümmele skeptisch, was er jedoch nicht als Abwertung der Frauen versteht. "Wir stehen auf einer Stufe und unterscheiden uns nicht im Grad sondern im Wesen", so Rümmele. Die Frauenordination würde seiner Meinung nach eine Spaltung der Kirche zur Folge haben.

"Ergebnisse wurden von kirchlichen Machtträgern ignoriert"

Pfarrer Christoph Nobs freut sich über die offenen Worte im Brief: "Unter den Päpsten Johannes Paul II und Benedikt XVI kam es leider dem beruflichen Selbstmord gleich, wenn Theologen sich in heiklen Fragen freimütig geäußert haben." Von Berufs wegen und in ihrer Verantwortung müssten die Kirchenwissenschaftler das tun, damit Theologie wieder zeitgenössisch und praxisrelevant bleibt oder wieder wird, so Nobs. Die Theologie habe in den vergangenen Jahrzehnten viel "für die Schublade" geforscht, die Ergebnisse wurden von den meisten kirchlichen Machtträgern ignoriert oder bestenfalls hinter den Kulissen zaghaft zur Kenntnis genommen. Ernsthafte offene und öffentliche Debatten gab es so gut wie nicht. Ein "offener Brief" sei das letzte Mittel, um noch etwas zu bewirken, so der Pfarrer der Seelsorgeeinheit Seelsorgeeinheit Hausach-Hornberg. Der kirchliche Apparat regiere leider immer noch mit großen Repressionen – und das sei möglich, weil es eine ›echte Gewaltenteilung‹ wie sie die Theologen einfordern, in der derzeit noch massiv hierarchisch-monarchisch verfassten katholischen Kirche nicht gebe, teilt Nobs mit.

Eigentlich sage der Brief nichts, was nicht schon gefordert worden wäre. Er sei skeptisch, ob sich in nächster Zeit etwas Wesentliches ändert. Selbst wenn Kardinal Marx die Anliegen in Rom einbringe, werde das in der mehrheitlich klerikal-machistischen Weltkirche nur ein müdes Lächeln bewirken. Die einzige Erfolgsaussicht sei wachsender öffentlicher Druck. Dazu bräuchte es aber in der Kirche eine Massenbewegung. Das Gegenteil sei der Fall: statt dass die Kirchenmitglieder "auftreten", sind sie am "austreten".

Das Wichtigste sei die Forderung einer "echten Gewaltenteilung", die es bisher in der katholischen Kirche nicht gebe. Darin sehe ich die Wurzel fast aller Probleme, die wir zur Zeit kirchlich haben", meint er.

Lehramtliche Positionen und Praxis klaffen auseinander

Von fundamentaler Bedeutung sei auch, dass die kirchliche Sexualmoral zumindest für westeuropäische Menschen nicht mehr auf dem heutigen Standard ist. Die lehramtlichen Positionen und die Praxis der Katholiken klaffen eklatant auseinander. Was die Haltung zur Homosexualität betreffe, gingen die Meinungen bei den Gläubigen auseinander. Eine weniger "naturrechtliche" Sicht auf die Sexualität hätte eine andere Sicht auf die Homosexualität zur Folge.

Zum Problem der sexualisierte Gewalt sagt Nobs: "Die MHG-Studie hat aufgezeigt, dass die Gründe hierfür nicht nur in ›persönlichem‹ Versagen und kriminellem Tun liegen, sondern auch in den Strukturen der Kirche. Sogenannte ›systemische Gründe‹". Hier nennen die Theologen ein ganzes Bündel an Strukturen, die geändert werden müsste: Gewaltenteilung, Freistellung der Lebensform der Priester und Zugang der Frauen zum kirchlichen Amt.

"Eine zentrale Frage für die Zukunft von Theologie und Kirche wird es sein, ob wir es lernen, Pluralität zuzulassen und zu integrieren. Ich halte es für irrig, anzunehmen, dass das Leben nur uniform sein muss und kann.", so Pfarrer Nobs.

Es gebe unterschiedliche Lebensweisen, die eine Berechtigung haben. Aber das hätten viele noch nicht verstanden, die "christliche Wahrheit" mit Uniformität und Autoritarismus verwechseln.

In dem Brief an Kardinal Marx stehen beispielsweise diese Forderungen: "Binden Sie sich selbst durch echte Gewaltenteilung – das passt besser zur Demut Christi und in den Rahmen der für alle geltenden Gesetze. Bauen Sie die Überhöhungen des Weiheamtes ab und öffnen Sie es für Frauen. Stellen Sie den Diözesanpriestern die Wahl ihrer Lebensform frei, damit der Zölibat wieder glaubwürdig auf das Himmelreich verweisen kann."