Erst am 24. September wurde ein neuer Bundestag gewählt. Jetzt sind die Verhandlungen zur Jamaika-Koalition gescheitert – unsere Redaktion hat Stimmen zu diesen Entwicklungen eingeholt. Foto: Archiv: Braun

Kinzigtäler Politiker äußern sich deutlich zum Aus der Jamaika-Verhandlungen

Jamaika ist gescheitert. Wie am Montag bekannt wurde, hat die FDP die Koalitionsgespräche abgebrochen. Wie es nun weitergeht, war bei Redaktionsschluss noch offen. Der Schwabo hat ein Stimmungsbild im Mittleren Kinzigtal eingeholt.

Mittleres Kinzigtal. Das wochenlange Ringen um die Macht hat in der Nacht auf Montag ein jähes Ende genommen. Die Entwicklung wurde unterschiedlich aufgenommen.

Kordula Kovac, ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete aus Wolfach, ist "nicht überrascht", wie sie im Gespräch erklärt. "Das hat sich schon am Freitag abgezeichnet." Vorher habe es eine Fifty-Fifty-Chance für das Gelingen gegeben. Sie persönlich findet die Situation "sehr schlimm". "In der derzeitigen Situation, in der sich Deutschland befindet, ist es wichtig, dass wir eine starke Regierung haben." Bei derartigen Gesprächen müssten alle Parteien Federn lassen und aufeinander zu gehen. Kovac hofft, dass die Beteiligten nochmals versuchen, zu einer Einigung zu kommen und appelliert an sie, "sich zusammenzureißen". Bei der FDP vermisse sie die Demut vor den Wählern.

Haslachs Bürgermeister Philipp Saar (CDU) hält es für "falsch, der FDP den schwarzen Peter zuzuschieben". "Da könnte man jetzt auch der SPD vorwerfen, sie würde sich dem Wählerwillen widersetzen." Diese hatte gut 20 Minuten vor unserem Gespräch mit Saar bekannt gegeben, weiterhin nicht für eine Große Koalition zur Verfügung zu stehen. Ob Saar überrascht ist? "Es war von vornherein klar, dass sich insbesondere die Vorstellungen über Politik und Gesellschaft bei der CSU, den Grünen und der FDP diametral gegenüberstehen", bewertet er die Situation. "Immerhin haben die Parteien den Versuch unternommen. Ein Scheitern einzugestehen ist auch besser, als dass man sich in einer Koalition vier Jahre lang quält und bei jeder Entscheidung um Mehrheiten ringen muss." Trotzdem: "Ich bedaure diesen Ausgang natürlich zutiefst und hoffe, dass keine Neuwahlen stattfinden."

Sehr überrascht dagegen ist Gutachs Bürgermeister Siegfried Eckert. "Ich war sehr positiv gestimmt, dass man sich bei den Sondierungsgesprächen findet und den Wählerauftrag wahrgenommen hat. Entsprechend habe ich mir heute morgen Augen und Ohren gerieben, als ich die Meldungen vom Abbruch der Gespräche hörte. Ich staune, dass das jetzt an der FDP gescheitert ist, die ja in punkto Platzen lassen von Koalitionen vorbelastet ist. Ich bin schon davon ausgegangen, dass man sich zusammenrauft und Kompromisse schließt. Schließlich suchen wir diese auf kommunaler Ebene auch. Jetzt bin ich wie viele andere auf die weitere Entwicklung gespannt. Neuwahlen auf die Schnelle sind ja kaum möglich. Ich glaube nicht, dass sich dann die Stimmenverhältnisse groß ändern würden. Derzeit sind mehr Fragen offen als beantwortet."

Der stellvertretende Vorsitzende von Haslachs CDU-Ortsverein David Eisenmann äußert sich per E-Mail: "Als ich vom Scheitern erfahren habe, stellte sich bei mir umgehend hochgradige Enttäuschung und auch ein wenig Unglaube ein. Wie kann es sein, dass jeder Verhandler täglich die Verantwortung beschreibt, die vom Wähler übertragen wurde, um dann nach Wochen des Sondier-Theaters diese mit dem bewussten Risiko von Neuwahlen scheitern zu lassen? Ich finde es erschütternd, wie verantwortungslos gerade in einer Zeit, in der der Populismus bereits ins Parlament eingezogen ist, agiert wird. Wie soll das Verhalten der Jamaika-Verhandler und der schmollenden SPD Vertrauen in demokratisch stabile Prozesse und in eine zielorientierte Realpolitik stärken?" Eisenmann hofft, dass Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier "zusammen mit Realpolitikern zur Erkenntnis kommen wird, dass Neuwahlen vermieden werden müssen und dass verantwortungsvolle und am Wohle des Landes orientierte Politiker sich zusammenraufen".

Carsten Boser, im Vorstand des Grünen-Ortsverbands Mittleres Kinzigtal, kritisiert das Vorpreschen der SPD: "Von der SPD war es falsch, eine Koalition mit der CDU direkt nach der Wahl auszuschließen." Die Grünen hätten bei allen für ihre Partei wichtigen Themen "Zugeständnisse gemacht, um eine tragfähige, zukunftsorientierte Regierung für unser Land zu ermöglichen". Zudem stellte er fest: "Ich bezweifle, dass die FDP in den vergangenen Tagen überhaupt noch ein Interesse am Erfolg der Gespräche hatte." Für Boser lag der weitere Weg gestern auf der Hand: "Wenn FDP und SPD bei ihren Positionen bleiben und weil eine Minderheitsregierung meiner Ansicht nach keine tragfähige Lösung ist, werden wir wohl um Neuwahlen nicht herumkommen."

Der Vorsitzende der FDP-Ortsgruppe Oberes Kinzigtal, Hans-Jürgen Schneider, war gestern für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

Enttäuschung auch bei Frei

Die Abgeordneten des Wahlkreises Schwarzwald-Baar halten sich mit drastischen Schuldzuweisungen zurück. Thorsten Frei (CDU) ist die Enttäuschung anzumerken. "Bis zuletzt war ich optimistisch, dass eine solche Koalition zu schaffen ist." Die Schuldfrage lasse sich nicht eindeutig klären. Dennoch sieht er Grüne und Liberale im Sucher: Die Grünen mit ihren "Maximalforderungen" mit Blick auf Klimaschutz und Migrationspolitik, die FDP, die vorzeitig den Sondierungstisch verlassen habe. "Am Ende müssen eben alle wollen."

Marcel Klinge (FDP) kontert die Angriffe auf seine Partei: "Wir haben durchaus Kompromissbereitschaft gezeigt." Er verdeutlichte aber auch: "Keine Einigung beim Soli, keine angemessenen und längst überfälligen Einwanderungsregeln – das tragen wir nicht mit." Statt Aufbruch habe man Grabenkämpfe zwischen Grünen und CSU erlebt. "Wir sind es unseren Wählern schuldig, bei unseren Inhalten standhaft zu bleiben."

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Wolfach (ms). Die Jamaika-Verhandlungen der Bundesparteien sind Sonntagabend geplatzt. Der Schwarzwälder Bote hat dies zum Anlass genommen, sich am Montagmorgen in Wolfach umzuhören: Was denken die Bürger und Wähler über diese Entwicklung? Dass die FDP das Handtuch geworfen hat, wird erst einmal nicht so kritisch beurteilt. Vielmehr sehen die Bürger alle Parteien in der Pflicht, eine stabile Regierung zu bilden. Bei möglichen Neuwahlen gehen die Meinungen indes auseinander.

Bernhard Hermann (60), Hausmeister aus Schapbach:

Ich denke, es wird schwierig, noch eine Regierung zu bilden. Eine der Parteien muss nun nachgeben. Es war mir fast schon klar, dass das mit Jamaika nichts wird, weil die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag diesmal so schräg sind.

Jana Nauendorf (31), Putzfrau aus Wolfach:

Ich habe es am Morgen beim Fernsehen aus den Nachrichten erfahren. Ich finde es nicht gut, dass es jetzt noch länger dauert, bis eine stabile Regierung gebildet wird. Ich bin auf jeden Fall für Neuwahlen. Hauptsache, es geht mal was voran.

Erwin Bächle (58), Zimmermann aus Wolfach:

Es ist eine traurige Angelegenheit. Man hat auf die Parteien gesetzt. Jamaika sollte noch Einigung finden. Dass sich die SPD ausgeklinkt hat, kann ich nachvollziehen. Wenn es Neuwahlen gibt, behaupte ich, wird die AfD noch stärker.

Vera Brites (53), Verkäuferin aus Wolfach:

Ich habe es heute Morgen im Radio während der Autofahrt auf dem Weg ins Geschäft gehört. Ich denke, eine Jamaika-Regierung wäre ein ganz guter Weg gewesen: Von beiden politischen Lagern hätte sich eine gute Mitte ergeben. Schade.