Obwohl sie jahrzehntelang gearbeitet haben, sind immer mehr Menschen von Altersarmut betroffen. Rein rechnerisch müssten auch viele Ortenauer mehr als 45 Jahre lang arbeiten, um auf eine Rente oberhalb der Grundsicherungsschwelle von aktuell 835 Euro zu kommen, mahnt die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten. Foto: Symbolfoto: Alireza Khalili/NGG

Ortenau - Ein Leben lang arbeiten – und trotzdem reicht die Rente nicht: Im Ortenaukreis sind rund 14.100 Vollzeitbeschäftigte selbst nach 45 Arbeitsjahren im Rentenalter von Armut bedroht. Davor warnt die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten.

Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) beruft sich auf Zahlen der Bundesagentur für Arbeit und der Deutschen Rentenversicherung. Demnach verdienen 11,4 Prozent aller Beschäftigten, die im Ortenaukreis in Vollzeit arbeiten, weniger als 2050 Euro brutto im Monat. Rein rechnerisch müssten sie mehr als 45 Jahre lang arbeiten, um auf eine Rente oberhalb der Grundsicherungsschwelle von aktuell 835 Euro zu kommen, heißt es in einer Mitteilung.

"Altersarmut ist kein Schreckensszenario in der Zukunft, sondern für viele Menschen längst Realität. Die Rente derer, die zum Beispiel jahrzehntelang in einer Bäckerei oder Gaststätten gearbeitet haben, reicht schon heute oft nicht aus. Rentenkürzungen oder Forderungen über ein späteres Eintrittsalter sind der falsche Weg. Stattdessen muss die Politik die gesetzliche Rente stärken", so Claus-Peter Wolf, Geschäftsführer der NGG-Region Schwarzwald-Hochrhein. Das Rentenniveau, also die durchschnittliche Rente nach 45 Beitragsjahren bei mittlerem Verdienst, dürfe nicht weiter absinken.

Rentenniveau seit 2000 auf 48 Prozent gefallen

Seit 2000 sei das Rentenniveau bereits von rund 53 Prozent auf aktuell 48 Prozent abgesenkt worden. "Konkret bedeutet das, dass Geringverdiener mit einem Einkommen von weniger als 2.050 Euro brutto im Monat statt 42 nun fast 46 Jahre lang arbeiten müssen, um überhaupt noch die Grundsicherungsschwelle im Alter zu erreichen. Aber vier Jahre länger an der Bäckereitheke, in der Lebensmittelfabrik oder im Schlachthof am Band zu stehen, ist vielen Beschäftigten gesundheitlich gar nicht möglich.

Jede Anhebung des Renteneintrittsalters ist somit faktisch eine Rentenkürzung", unterstreicht Wolf. Die nächste Bundesregierung müsse das derzeitige Rentenniveau stabilisieren und perspektivisch anheben, um einen weiteren Anstieg der Altersarmut zu verhindern. Die von Wirtschaftsverbänden geforderte "Rente mit 70" sei der falsche Weg – und ein "Schlag ins Gesicht der Menschen, die körperlich arbeiten und schon bis 67 nicht durchhalten können".

Zugleich seien die Unternehmen in der Pflicht, prekäre Beschäftigung zurückzufahren. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit verdienen in Baden-Württemberg aktuell rund 31.700 von insgesamt 60.100 Vollzeitbeschäftigten im Gastgewerbe weniger als 60 Prozent des bundesweit mittleren Monatseinkommens von 3.427 Euro. "Hier darf es niemanden überraschen, dass während der Corona-Krise so viele Köche und Hotelangestellte ihre Branche verlassen haben", sagt Wolf.

Zu hohe Hürden für neue Grundrente

Die NGG verweist darauf, dass die neu eingeführte Grundrente zwar zu höheren Bezügen führen könne. Allerdings seien die Hürden mit erforderlichen 33 Beitragsjahren zu hoch und der Zuschlag falle oft gering aus. "Die mögliche Einkommensanrechnung, etwa des Lebenspartners, lässt die Beträge weiter schrumpfen. Damit bekommen viele Menschen keinen oder nur einen geringen Zuschlag. Die Grundrente muss daher ebenfalls weiterentwickelt werden", unterstreicht Wolf.

Ab wann gilt man als arm?

Der Berechnung der potenziell von Altersarmut betroffenen Beschäftigten liegt die Definition "relativer Armut" zugrunde. Laut Statistischem Bundesamt gilt als armutsgefährdet, wer inklusive staatlicher Transferleistungen über weniger als 60 Prozent des mittleren Nettoeinkommens – als Einzelhaushalt etwas 1.200 Euro im Monat - der Gesamtbevölkerung verfügt.