Nimmt Abschied vom CDU-Vorsitz, wird die Partei aber weiterhin unterstützen: Annerose Mattmüller. Foto: Göpfert

Führungswechsel in der CDU Kippenheim: Nach mehr als 30 Jahren hat Annerose Mattmüller den Stab an Carola Richter weitergegeben.

Kippenheim - Führungswechsel in der CDU Kippenheim: Nach mehr als 30 Jahren hat Annerose Mattmüller den Stab an Carola Richter weitergegeben. Die LZ hat Mattmüller gefragt, wie sich die Politik in den vergangenen 30 Jahren verändert hat, auf welche Entscheidung sie besonder stolz ist und was die CDU den Wählern zu bieten hat.

Frau Mattmüller, ist Ihnen nach 30 Jahren die Entscheidung, den Vorsitz abzugeben, schwer gefallen?

Nein, ich habe schon ein paar Jahre einen Nachfolger gesucht. Die letzten beiden Versammlungen hätte ich schon gerne eine Ablöse gehabt und jetzt, wo Carola Richter sich bereit erklärt hat, war ich froh drum.

Wie geht es für Sie weiter?

Ich habe die Hoffnung, dass ich wieder Lust am Politisieren bekomme und mich auf anderer Ebene in die CDU einbringen kann. Wir erstellen ja gerade ein neues Grundsatzprogramm und stellen uns neu auf – da würde ich gerne mitarbeiten.

Wie hat sich die CDU im Laufe der Zeit verändert?

Auf Gemeindeebene wird es allgemein schwierig für die Politik. Die Menschen im Lande müssen mehr darüber nachdenken, sich einzubringen. An der Demokratie muss man mitarbeiten, sie mitbefeuern. Von nichts kommt nichts.

Und die CDU auf Bundesebene?

Ich denke, wir haben die letzte Wahl deshalb verloren, weil die Menschen uns nichts mehr zugetraut haben. Weil wir einfach eine alte verstaubte Partei waren, die die Menschen nicht mehr erreicht hat. Deshalb glaube ich, dass dieser Wechsel notwendig war. Vielleicht relativiert sich das ja, wenn die Menschen sehen, dass die anderen auch nur mit Wasser kochen.

Zur Gemeindepolitik in Kippenheim: Was war der größte Meilenstein, den Sie verwirklichen konnten?

Ich freue mich riesig darüber, dass wir dieses neue Bürgerhaus vors Dorf stellen. Ich habe das schon vor 20 Jahren befürwortet. Denn auf einem neuen Platz hat man ganz andere Gestaltungsmöglichkeiten. Und der zweite wichtige Grund ist, dass zumindest der halbe Verkehr, der nach Kippenheim kommt, nicht erst in das Dorf hineinmuss.

Gab es in Ihrer Zeit als Gemeinderätin etwas, was sie geärgert hat?

Diese unendliche Geschichte B 3, die macht mir schon Sorgen: Seit 40 Jahren renne ich wegen dieser blöden B 3-Umfahrung von Pontius zu Pilatus. Ich weiß noch 1995/96 hatte mir der damalige Verkehrsminister von Baden-Württemberg gesagt: 2000 habt ihr eure Umfahrung. Jetzt ist 2022 – und es ist immer noch nichts geschehen. Wir haben mehr als 6000 Autos und 20 000 Lkws an Spitzentagen, unter denen Kippenheim unendlich leidet.

Gab es eine Entscheidung, die Ihnen schwer gefallen ist?

Es gab sicherlich viele, aber keine, an die ich mich erinnere. Aber ich habe immer eine Entscheidung getroffen. Ich habe mich nie enthalten, denn ein Gemeinderat ist dazu da, zu entscheiden. Und selbst wenn mir dann die Entscheidung der Mehrheit nicht gefällt, dann bin ich auch so fair, sie zu akzeptieren und auszuhalten. Es kann sein, dass man im Nachhinein eine Entscheidung, wie etwa die der Schule, anders getroffen hätte. Aber damals haben wir alle nach besten Wissen und Gewissen entschieden.

Wie sich hat die Politik in den vergangenen 30 Jahren verändert?

Es ist alles medialer geworden, das heißt, es findet viel auf Facebook, Instagram, Twitter und im Fernsehen statt. Dadurch wird alles auf ein paar Sätze reduziert – so dass man in diese Formate hineinpasst. Zum anderen sind unsere Parlamente zu groß geworden. Der aktuelle Bundestag ist zwar bunt und wunderschön – aber für die 80 Millionen Menschen in Deutschland einfach zu groß. Wenn immer alles größer wird und immer mehr Menschen reden, dann schaltet man geistig irgendwann ab. Es hilft nichts, wenn ich tausend Arbeitsgruppen habe, die ich dann aber nicht mehr berücksichtigen kann. Im Gegensatz dazu, ist der Kippenheimer Gemeinderat für mich ein Beispiel, wie ein Gremium gut funktionieren kann.

Inwiefern ist Kippenheim ein Vorbild für Berlin?

Der Kippenheimer Gemeinderat hat 14 Mitglieder, wir haben damals bewusst die niedrigst mögliche Zahl gewählt. Er tagt effizient und hat in der Regel 14 Sitzungen im Jahr mit überschaubaren Zeiten – und er kommt zu einem Ergebnis. Räte manch anderer Gemeinden hingegen tagen unendlich, alle 14 Tage, mit stundenlangen Überhängen. Aber in dem Moment, wo man alles kompliziert und alles länger geht, verlieren die Menschen das Interesse daran. Die Länge einer Sitzung hat übrigens auch etwas mit der Verwaltung zu tun. Wenn die Verwaltung gut vorbereitet in die Gemeinderatssitzung geht, dann ist die Sitzung auch effizient.

Was hat sie damals zum Eintritt in die CDU bewegt?

Ich bin damals in die CDU eingetreten, weil ich überzeugte Europäerin bin. Ich sagte immer: Ich will Europa haben. Wir Jungen Unionler waren sehr aufmüpfig und radikal, aber wir waren auch grenzenlose Europäer – und wir haben alles getan, um dieses Europa auf den Weg zu bringen. Wenn ich heute mit meinen Enkeln über die Grenze fahre, sage ich immer: "Da sind früher Schranken gewesen. Und das gibt es jetzt nicht mehr." Man muss immer wieder deutlich machen, dass das nicht selbstverständlich ist – und Europa etwas ganz Besonderes ist.

Das war damals. Aber was hat die CDU ihren Wählern heutzutage noch zu bieten?

Wenn meine Partei überleben und Deutschland besser machen will, müssen wir bestimmte Dinge in die Wege leiten: Wir brauchen ein Gesundheitssystem, das jeden halbwegs gerecht wird. Es kann nicht sein, dass in einem kleinen Land wie Deutschland 160 Krankenkassen rumwirtschaften. Wir brauchen ein Rentensystem, das fairer und gerechter wird. Es kann nicht sein, dass einige Berufsgruppen gut aufgestellt sind und andere nicht wissen, wie sie über die Runden kommen. Und ich glaube, die CDU kann das. Und dann dürfen wir noch eines nicht vergessen: Die CDU ist einmal für die soziale Marktwirtschaft in die Bütt gestiegen. Und dann haben wir sie vergessen, weil wir dachten, das Geld und der Markt regeln alles – das stimmt aber nicht.

Die CDU sollte sich also wieder auf ihre Werte besinnen?

Wir müssen uns auf den Weg machen, dass wir eine soziale Marktwirtschaft und eine anständige Landwirtschaft kriegen. Wir müssen wieder Selbstversorger werden, wenigstens zu 70 Prozent. Und wir müssen nachhaltiger werden. Denn wir hätten diese Abhängigkeit von Putin nicht, wenn wir in den vergangenen 20 Jahren unsere energetischen Hausaufgaben gemacht hätten. Aber jetzt haben wir eine Situation, in der wir sagen: Alles wieder auf Anfang. Wir müssen anständig wirtschaften, unsere Landwirtschaft stärken und unsere Wirtschaft muss dafür sorgen, dass die Menschen, die den ganzen Tag arbeiten, auch von ihrem Lohn leben können, alles andere ist nicht gerecht. Und wenn wir uns darauf besinnen, kriegen wir auch die jungen Menschen wieder.

Wird die CDU Ihrer Ansicht nach diese Wende schaffen?

Wenn ich unsere neuen, jungen Abgeordneten wie Marion Gentges und Yannik Bury ansehe, dann sind wir auf keinen schlechten Weg. Wir werden jetzt die Oppositionsbänke nutzen, um uns neu aufzustellen – und die Partei macht das. Und deshalb glaube ich: Wir schaffen das. Ich glaube, die CDU ist die große Volkspartei, die ihre Berechtigung in Deutschland hat. Ich habe vieles an meiner Partei zu kritisieren, aber wenn ich heute alle Parteien nebeneinanderstelle, dann ist die CDU immer noch die Partei, die am meisten macht, was ich für richtig halte.

Zur Person

Annerose Mattmüller hat ihr politisches Engagement bei der Jungen Union begonnen und es dort in den Landesvorstand geschafft. Auf Listenplatz zwei ist sie 1989 auf Anhieb in den Gemeinderat gewählt worden – und blieb dort 25 Jahre bis 2014. Mehr als 30 Jahre lang war sie Vorsitzende der CDU Kippenheim, bevor sie diesen Vorsitz im Juni an Carola Richter abgab.