Die fast 84-jährige Inge Auerbacher berichtete rund 400 Ettenheim von ihren Erlebnissen während der Nazi-Zeit. Foto: dec

Inge Auerbacher spricht in Ettenheim vor 16 Schulklassen. Beeindruckende Geschichte

Ettenheim - Wenn 16 Schulklassen 80 Minuten gebannt einer fast 84-Jährigen lauschen, kann man davon ausgehen, dass sie eine eindrucksvolle Geschichte zu erzählen hat: Am Montag war die Holocaust-Überlebende Inge Auerbacher zu Gast in Ettenheim.

Wieder einmal ist die an Weihnachten 1934 in Kippenheim geborene Jüdin, die seit 1946 in New York lebt, zur Erinnerungs- und Versöhnungsarbeit in Deutschland. Eingeladen hatte sie die Freiburger Initiative "Naziterror gegen Jugendliche". Über den Deutsch-Israelischen Arbeitskreis ist es dem August-Ruf-Bildungszentrum gelungen, Auerbacher für einen Vortrag zu gewinnen. Schulleiterin Beate Ritter fand in ihren Begrüßungsworten schnell den Bogen zwischen Auerbachers Vita und dem Namensgeber der Schule: August Ruf, gebürtiger Ettenheimer, Pfarrer in Singen, der einer jüdischen Frau zur Flucht verhalf und dafür mit Haft und am Ende dem Tod büßen musste.

Auch mit ihrem Dialekt, den sie nicht verlernt hat, fand die gebürtige Kippenheimerin schnell den Zugang zu den rund 400 Siebt- bis Zehntklässlern in der Stadthalle. Sie sahen historische Bilder von Auerbachers Elternhaus in Kippenheim, der Synagoge und der Vorgänge während des Novemberpogroms 1938.

Mit ihren persönlichen Erinnerungen an das Schicksal ihrer Familie und anderer Juden in Kippenheim sowie der späteren "Flucht" zu den Großeltern ins Schwäbische zog Auerbacher die jungen Zuhörer in ihren Bann.

Auerbachers Vater kämpfte für Deutschland im Ersten Weltkrieg, von dem er schwer verwundet heim kam. Schon als Kind habe sie nicht auf die Reihe bekommen, dass er als Jude in Deutschland plötzlich verhasst war. Zum guten Glück, so ihre heutige Sicht, hatte sie ihre Puppe "Marlene", die heute in einem Holocaust-Museum in den USA zu sehen ist. Schwer falle ihr noch immer zu begreifen, dass damals so viele Menschen die Nazis haben machen lassen. "Zuschauen ist genauso schlimm wie Schlechtes tun" – und nicht nur einmal hob sie den mahnenden Zeigefinger mit Blick auf die AfD, in der sie Verhaltensweisen der Nazis ausmacht und die Jugendlichen warnt, deren Denken und Tun tatenlos hinzunehmen. "Stellung beziehen", rief sie den Schülern zu.

Auerbachers Schilderung von ihrer Deportation nach Theresienstadt, vom Leben im Konzentrationslager, von den menschenunwürdigen Zuständen im Lager, die Gaskammer von Auschwitz gleichsam vor Augen, von der Befreiung durch die Russen schließlich – ganz viele der Fragen, die die Schüler im Anschluss an den Vortrag vorbrachten, bezogen sich auf die für sie unvorstellbare Situation.

Erleichtert, als sie vom Tod Hitlers hörte

Natürlich seien sie, die Überlebenden, erleichtert gewesen, als sie von Hitlers Tod erfahren hätten, antwortete die Zeitzeugin auf eine Schülerfrage. Ihr Vater sei es in Theresienstadt gewesen, der immer wieder Hoffnung auf Rettung verbreitet habe, so Auerbacher. Ob sie bei all dem Erlebten zur Verzeihung in der Lage sei? Den Tätern, den Mördern, denen könne sie nicht verzeihen, vielmehr liege ihr aber an Versöhnung. Das hat mit ihrem Lebensmotto zu tun: Jeden Menschen wertschätzen, unabhängig von Rasse und Religion. Eine Frage an die seit nunmehr 70 Jahren in den USA lebende Chemikerin und Autorin konnte nicht ausbleiben: Was sie von Donald Trump halte? Auerbachers Antwort: Wem er nichts passe, habe bei den Präsidentschaftswahlen in zwei Jahren die Möglichkeit, gegen ihn zu stimmen. Am Ende von Vortrag und Fragerunde stand das Fazit: eine authentische, bewegende Doppelstunde in Geschichte für die aufmerksamen und interessierten August-Ruf-Schüler.

Info: Gedichte als Autobiografie

"Ich bin ein Stern" heißt Inge Auerbachers bekanntestes Werk. Der autobiografische Gedichtband stand 1991 auf den Auswahllisten zum Deutschen Jugendliteraturpreis und zum Gustav-Heinemann-Preis. 2005 erhielt die Autorin den Ehrendoktortitel "Doctorate of Humane Letters" der Long Island University in New York.