Großer Bahnhof am Flughafen: Zwei Jahre nach der sie verbindenden Stammzellenspende treffen sich der Acherner Tobias Schnurr (Mitte, links) und Scott Cantrell (Mitte, rechts) in den USA. Cantrells Familie und Freunde bereiteten dem Ortenauer ein warmes Willkommen. Foto: privat

Einmal um die halbe Welt: Tobias Schnurr aus Achern hat in den USA den Mann besucht, dem er durch eine Stammzellenspende das Leben rettete. Mit Scott Cantrell und seiner Familie verbrachte er gemeinsam das amerikanische Erntedankfest

(red/ma) - Eins steht für Scott Cantrell fest: 2021 feierte er sein schönstes Thanksgiving-Fest überhaupt. Und mit seinen 62 Jahren hatte er zuvor schon einige erlebt. Denn pünktlich zum großen Feiertag in den USA durfte der Amerikaner aus Tennessee in der vergangenen Woche einen ganz besonderen Menschen erstmals in die Arme schließen: Tobias Schnurr aus Achern. Den Mann, der ihm mit seiner Stammzellspende das Leben gerettet und mit dessen Hilfe er seine Blutkrebserkrankung besiegt hatte, teilt die Deutsche Knochenmarkspenderdatei (DKMS) mit. "Dieser Moment ist durch nichts zu übertreffen", erklärt Cantrell.

Herzliche Umarmung für den Lebensretter

Kurz zuvor ist die Stimmung am kleinen Flughafen von Chattanooga im Bundesstaat Tennessee freudig-gespannt. Cantrell und seine Frau Becky warten dort mit ihrer Familie und ihren Freunden auf die Ankunft eines Passagiers, dem sie nie zuvor begegnet sind. Sie haben Luftballons mitgebracht. Ihre Tochter Olivia, die in der Schule Deutsch gelernt hat, hat ein Plakat gemalt. "Willkommen in Tennessee, Tobias" steht darauf. Als der ankommt, ertönen Jubel und Applaus. Scott nimmt seinen Lebensretter in den Arm.

Dann begrüßen Freunde und Familie einer nach dem anderen den Gast aus Deutschland. "Es war ein Moment purer Dankbarkeit", sagt Scott wenig später beim gemeinsamen Videotelefonat mit der DKMS. "Ich fühlte eine Mischung aus Adrenalin, Gespanntheit, vor allem aber Dankbarkeit, Demut – und Liebe", beschreibt Schnurr seine Emotionen bei seiner Ankunft.

Anonymitätsfrist wurde aufgehoben

Den Namen des anderen erfuhren die beiden erst wenige Wochen zuvor. Genau genommen Mitte Oktober 2021, als sich Schnurrs Stammzellspende zum zweiten Mal jährte und somit die vorgeschriebene Anonymitätsfrist zwischen Spender und Empfänger aufgehoben wurde. "Wir haben umgehend telefoniert und hatten sofort eine sehr innige und emotionale Beziehung zueinander", erzählt der Acherner Schnurr. "Dass wir uns kennenlernen wollten, stand sofort fest", ergänzt Scott. "Ich dachte an 2022. Aber Tobias sagte, er wolle sofort kommen. Also planten wir seinen Besuch für ›Thanksgiving‹. Es hätte wohl keinen passenderen Anlass geben können!"

Rückblick

Im Jahr 2010 erkrankt Scott Cantrell, Vater von drei heute erwachsenen Kindern, an einem Lymphom, einer Form von Blutkrebs. Er wird zunächst mit seinen eigenen Stammzellen transplantiert. 2019 erleidet er einen Rückfall. Er gibt seinen Job im Labor eines großen Süßwarenherstellers auf und lässt sich pensionieren, um sich ganz seiner Genesung zu widmen. Eine solche sei nur mit Hilfe eines Stammzellspenders möglich, sagen die Ärzte damals.

Der Suchlauf in den weltweiten Datenbanken fördert einen Treffer in Deutschland zutage:

Tobias Schnurr aus Achern. Er hatte sich bei einem Aufruf der DKMS in seinem Heimatort schon Jahre zuvor registriert. Es sei für ihn keine Frage gewesen, ob er versuchen wolle, das Leben eines Unbekannten zu retten, sagt der 36-Jährige, der als Heilerziehungspfleger in einer Kindertagesstätte arbeitet. "Das Leben ist eine Straße von Geben und Nehmen. Etwas zu geben, ist dabei so viel wichtiger als zu nehmen", sagt er. "Kein Auto oder Haus der Welt hätte mir das gute Gefühl geben können, das die Stammzellspende bei mir hinterlassen hat."

Aktuell

Inzwischen ist Tobias nach einem aufregenden "Thanksgiving"-Wochenende mit vielen Begegnungen und Ausflügen in die nähere Umgebung wieder zu Hause in Deutschland. Doch der Gegenbesuch soll, so die Pandemie es zulässt, in greifbarer Zukunft stattfinden. Dann wollen Scott und Becky Tobias‘ Zuhause, seine Frau und Tochter kennenlernen.