Markus Ibert begrüßte die Besucher der Versammlung, an der auch Vertreter der Gemeinderatsfraktionen teilnahmen. Foto: Schabel

Markus Iberts öffentliches Bürgergespräch zur Corona-Politik hat zwar nicht gerade die Massen angezogen, trotzdem brachte der Vormittag interessante Erkenntnisse. Auch Alt-OB Wolfgang G. Müller gab ein emotionales Statement ab.

LahrAn den vergangenen Montagen hätten sich die Lahrer in Gruppen aufgeteilt, die sich "sprachlos gegenüberstehen", so Ibert zur Begrüßung. Gemeint war der wöchentliche Auflauf von Spaziergängern und Gegendemonstranten. Doch man sei eine Stadtgesellschaft, die sich nicht auseinanderdividieren lassen dürfe. Deshalb habe er zu der Runde eingeladen. Die Vertreter der Stadt wollten dabei zuhören und "die Sprachlosigkeit überwinden" – ohne jemanden zu belehren, wie Ibert betonte. "Reden wir miteinander", so die Ermunterung des OB an alle.

Die Ausgangslage: Wie viele Menschen würden kommen, das war die Frage. Nun, zum Beginn am Samstag um 10.30 Uhr waren Ibert und die Sprecher der Ratsfraktionen noch ziemlich alleine, doch der Rathausplatz füllte sich dann doch nach und nach. Letztlich waren es rund 90 Zuhörer. Nach Iberts Einleitung durfte jeder, der wollte, ans Mikrofon gehen. 

Die Wortmeldungen: Es waren teils bekannte Gesichter in der Stadt, die die Chance nutzten und sich zu Wort meldeten. Klaus Schramm vom Friedensforum sagte, er finde es nicht richtig, dass manche Städte Demonstrationen gegen die Corona-Politik verbieten – eine Demokratie müsse Gegenmeinungen aushalten. Er selbst sei geimpft.

Joachim Götz aus dem Leitungsteam des Lahrer Kreisimpfzentrums gab einen Einblick, welche Probleme radikale Impfgegner bereiten können. Er sei schon als "Mörder" beschimpft worden, so der Mediziner, der an alle appellierte, eine Maske zu tragen.

Diakon Christoph Franke berichtete von Trauergesprächen mit Hinterbliebenen, deren Angehörige an Corona gestorben waren. Es sei "ein ganz fürchterlicher Tod", so der Geistliche. Doch die Pandemie habe auch eine große Solidarität in der Stadt bewirkt; viele Menschen würden einander helfen.

Wolfgang G. Müller erzählte von seiner Brasilienreise. In São Paulo, wo 90 Prozent der Menschen geimpft seien, habe er Kranke vor den Kliniken warten sehen, so der Alt-OB. Hierzulande sei Corona nicht so präsent. "Diese bittere Pille hat man uns nicht gegeben", so Müller – gemeint war die öffentliche Sichtbarkeit der Krankheit. Doch es sei "ein erbärmliches Sterben", das habe er auch in seinem persönlichen Umfeld erfahren. Das Bürgergespräch, zu dem Ibert eingeladen hatte, sei ein guter Anfang, so Müller.

Die Wortmeldungen gegen die Corona-Politik waren nicht so zahlreich. Manfred Himmelsbach, Gemeinderatsmitglied der AfD, sagte, er habe das Gefühl, in einem "Obrigkeitsstaat" zu leben. Ein Bürger wies auf die "Kollateralschäden" hin, die die Corona-Maßnahmen mit sich bringen würden – das freie Leben werde beeinträchtigt, die Wirtschaft leide. Ein weiterer Teilnehmer sagte, dass man an so einem sonnigen Tag im Freien doch keine Maske aufziehen müsse. Auch die Forderung, bei der Behandlung der Kranken Alternativmedizin zuzulassen, war zu hören.

Die Gespräche: Hinterher standen einige Zuhörer noch mit den Stadt-Vertretern zusammen. Eine Besucherin fragte Bürgermeister Guido Schöneboom, wie die Stadt Kindern helfe wolle, die unter den Kontaktbeschränkungen besonders gelitten hätten. Man habe das im Blick und werde "ein Format auflegen", so Schöneboom. Ibert bekam die Klage zu hören, dass die Stadt in zwei Lager gespalten sei – der Ob nickte und sagte, dass er gerade deshalb zu der Runde eingeladen habe.

 Die Gesamtsituation: Während auf dem Rathausplatz die Gespräche noch liefen, begann auf dem Museumsplatz die samstägliche Demo gegen die Corona-Politik. Nur fünf oder sechs Menschen nahmen an beiden Versammlungen teil – Iberts Plan, sich auch mit Corona-Kritikern auszutauschen, ging somit nicht zu 100 Prozent auf. Denn auf dem Rathausplatz waren die Befürworter der staatlichen Maßnahmen fast unter sich. Trotzdem war das erste Bürgergespräch dieser Art kein Fehlschlag – die Beteiligten waren sich hinterher zurecht einig, dass es ein guter, fruchtbarer Austausch gewesen war.

Das sagte Anette Franz: Warum war Anette Franz, die bekannteste Kritikerin der Corona-Politik in Lahr, bei Iberts Bürgergespräch nicht dabei? Dazu nahm sie bei der von ihr organisierten samstäglichen Demo auf dem Museumsplatz Stellung. "Warum will der Oberbürgermeister plötzlich so dringend mit den Bürgern sprechen?", fragte sie. "Vielleicht damit wir weiterhin brav und gehorsam sind?" Es sei "Schwachsinn, mit machtlosen Bürgermeistern zu reden". Anette Franz: "Jeder Politiker, jeder Bürgermeister der eine Maske trägt, beweist damit, dass er nur den Anweisungen des wirklich Mächtigen, der unsichtbar hinter ihm steht, folgt."

Kommentar von Herbert Schabel: Chance vertan

Weder der Kanzler noch der Bundespräsident, weder ein Bundesminister noch ein Ministerpräsident hat bislang das öffentliche Gespräch mit den Spaziergängern gesucht. Man spricht über sie, aber nicht mit ihnen. Dass Markus Ibert es auf lokaler Ebene anders machen und sich auch mit den Gegnern der Corona-Politik austauschen wollte, ist ihm deshalb durchaus anzurechnen. Schade nur, dass so wenige Corona-Zweifler diese Chance genutzt haben. Und das, wo viele am Samstag doch sowieso in der Stadt waren, bei der wöchentlichen Kundgebung von Anette Franz nur 100 Meter entfernt auf dem Museumsplatz. Wenn einige mehr von ihnen zuvor auch an der Versammlung vor dem Rathaus teilgenommen hätten, wäre es dort so richtig interessant geworden. Auch Franz selbst hätte dort Menschen erreichen können, die  nicht gerade zu ihrem Stammpublikum gehören. Lahrs prominenteste Corona-Kritikerin hat natürlich Recht damit, dass die Maßnahmen gegen die Pandemie nicht im Lahrer Rathaus beschlossen werden, aber Kanzler Scholz oder Ministerpräsident Kretschmann werden sich kaum mit ihr treffen wollen. Ein Gespräch mit dem Lahrer OB wäre deshalb kein schlechter Anfang gewesen. So aber sind die Corona-Kritiker mehrheitlich doch wieder nur unter sich geblieben – schade drum.